Ungleichheit als Megatrend des 21. Jahrhundert

Seite 2: Hoffnung auf den globalen Süden?

Es gibt durchaus Schritte, die Staaten und internationale Organisationen unternehmen können, um voranzukommen. Das Aufgeben ideologischer Überzeugungen wäre ein erster Schritt, denn nur so kann Global Governance zumindest halbwegs gelingen. Ein negatives Beispiel aus jüngster Zeit ist die katastrophale Entscheidung von Liz Truss und Kwasi Kwarteng in Großbritannien, Steuersenkungen zu beschließen, die von Natur aus inflationär sind und das Potenzial haben, die britische Wirtschaft zu zerstören.

Ausgehend von jahrzehntelangen falschen Vorstellungen über die Macht von Steuersenkungen und die Fähigkeit der Reichen, die Wirtschaft anzukurbeln, kehrte die neue britische Regierung zu einer Politik aus der Thatcher-Ära zurück, die für eine Welt mit weitaus komplexeren Herausforderungen als einem starken BIP völlig ungeeignet ist.

Jüngste Arbeiten von Hope und Limberg haben gezeigt, dass Steuersenkungen in vielen OECD-Ländern keinerlei Auswirkungen auf das Wachstum hatten. Und dennoch lebt der Mythos weiter. Während wir versuchen, unseren Lebensstil zu ändern und unseren Konsum einzuschränken, sind die obersten zehn Prozent und das oberste eine Prozent für den größten Teil der mit dem persönlichen Konsum verbundenen Emissionen verantwortlich.

Und jede weitere Ungleichheit wird nur dafür sorgen, dass die Verhaltensmuster konstant bleiben. Die wahre Hoffnung auf eine Verringerung der Ungleichheit liegt im Globalen Süden und in den aufstrebenden Volkswirtschaften, die unter denselben wirtschaftlichen Prinzipien gelitten haben, die in weiten Teilen des Westens vorherrschen.

Wenn China in der Lage ist, ein hybrides Modell anzubieten, das den Wohlstand unter einem freien Marktregime effektiv umverteilt, wie es die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) kürzlich zugesagt hat, dann könnten andere bald folgen. Allerdings scheint das chinesische interventionistische Modell einen hohen Preis zu haben, zumindest was bürgerliche Freiheitsrechte anbelangt.

Indien hat zwar ein schnelles Wachstum, aber die Hindutva-Ideologie belastet den sozialen Frieden zwischen Hindus und Muslimen, von denen die meisten zu den ärmeren Gesellschaftsschichten zählen. In Indien bietet sich allerdings auch die enorme Chance, das zu erwartende weitere Wachstum sinnvoll für soziale und ökologische Reformpolitik einzusetzen.

Das könnte ein positiver Präzedenzfall werden und auch eine Alternative zum chinesischen Wachstumsmodell, das einerseits beeindruckende Wachstumsraten vorweisen konnte, die absolute Armut sehr erfolgreich bekämpft hat, technologie- und umweltpolitische Erfolge vorweisen kann, aber durch die Überwachung seiner Bürgerinnen und Bürger nicht überall auf Begeisterung stößt.

Wirtschaftliche Ungleichheit hat vielfach soziale Wurzeln. Von Muslimen in einem hinduistisch geprägten Indien bis hin zu afroamerikanischen Frauen in den USA – die kombinierten Auswirkungen von Religion, Geschlecht, Rasse und Nationalität sind zusammen einkommensbestimmend, da formelle und informelle Diskriminierung die Menschen daran hindert, auf dem Arbeitsmarkt und im Leben insgesamt erfolgreich zu sein.

Die Wahrheit bleibt, dass die Welt eine bewusste und konzertierte Anstrengung benötigt, um wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten, wo immer möglich, zu verringern. Die Länder müssen ihr Selbstbewusstsein von einem unerbittlichen und sinnlosen Wachstum abkoppeln und versuchen, den Menschen nicht nur Sicherheitsnetze zu bieten, die sie gerade so über Wasser halten, sondern solide Voraussetzungen für ein gutes Leben zu schaffen.

Es geht um Bildung, Arbeitsplatzgarantien, menschenwürdige Löhne und Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen sowie zur Gesundheitsversorgung. Um dies zu erreichen, müssen in einer Zeit, die von Privatkapital und finanzieller Unsicherheit beherrscht wird, alte Wirtschaftsdoktrinen fallen und der Multilateralismus, zumindest eine umfangeiche und effektive internationale Zusammenarbeit, die Oberhand gewinnen.

Die westlichen Gesellschaften sollten dabei eine Vorreiterrolle übernehmen, aber das würde ein Schuldbekenntnis erfordern, speziell von manchen politischen Ideologen, Bankinstituten, früheren und aktuellen Regierungen, internationalen Institutionen und Kreditgebern. Es ist wenig wahrscheinlich, dass dies passiert.

Da die Ungleichheit innerhalb der westlichen Grenzen zunimmt und die Menschen die Konzentration des Reichtums in Frage stellen, wird die Polarisierung zunehmen. Opportunistische Akteure werden auch weiterhin den Völkern auf populistische Weise Sündenböcke liefern wollen und sich selbst als politische Alternative in Stellung bringen.

Wenn allerdings mehr Menschen die Zusammenhänge zwischen den Megatrends erkennen und wichtige Trends wie Nachhaltigkeit, zunehmende Ungleichheiten und Digitalisierung gleichzeitig in den Blick nehmen, dann besteht doch Hoffnung, dass manche groben Fehlallokationen und Fehlplanungen vermieden werden können.

Wir sollten z.B. Digitalisierung auch in den Dienst der Bekämpfung von Ungleichheit und Klimaschutz stellen können, wie kürzlich die aktivistische "Bits und Bäume"-Konferenz in Berlin forderte. In unserem Buch "Global Perspectives on Megatrends" möchten wir Einblicke in verschiedene Megatrends vermitteln und Zusammenhänge zwischen diesen aufzeigen, in der Hoffnung "to make the world a better place".

Wir befinden uns damit immerhin in guter Gesellschaft vieler Denkfabriken, auch neuer Akteure im Globalen Süden, mit denen wir kooperiert haben und denen wir viele gute Einsichten verdanken.

Dimitrios L. Margellos, geb. 2000, Studium der Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin, besonders mit politökonomischen Themen befasst, Aktivist, Berater und Autor zu politischen und sozialen Ungleichheiten, zu Digitalisierungsthemen und zu Arbeitsstandards

Dr. habil Berthold Kuhn, geb. 1965, Politikwissenschaftler, berät internationale Organisationen und Denkfabriken. Er ist als Privatdozent an der FU Berlin tätig und hat als Resident Professor an der Universität Leiden, der Tsinghua University und der Xiamen University in China gearbeitet

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