Union verwirrt mit Positionen zu Volksabstimmungen

Markus Söder. Foto: Freud. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Während Markus Söder den Einsatz auf Bundes- und Europaebene fordert, warnt Elmar Brok vor einer "Handlungsunfähigkeit" der EU durch direkte Demokratie

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Der bayerische Heimat- und Finanzminister Markus Söder hat auf Xing einen Beitrag veröffentlicht, in dem er direkte Demokratie als "wirksames Mittel gegen Politikverdrossenheit und die Entfremdung der Bürger von den Institutionen der repräsentativen Demokratie" empfiehlt. Die Einführung von Volksentscheiden nach bayerischem Vorbild auf EU- und Bundesebene, bei denen Bürger die Initiative ergreifen können, wenn sie "den Eindruck haben, dass bei einem wichtigen Thema das Parlament oder die Parteien nicht in die Gänge kommen", würde seiner Ansicht nach der parlamentarischen Demokratie nicht schaden, sondern "das Vertrauen der Menschen in [sie] stärken."

Das zeigten sowohl die guten bayerischen Erfahrungen damit als auch Umfragen, in denen sich regelmäßig zwischen 60 und über 80 Prozent der Bundesbürger dafür aussprechen, dieses Instrument auf Bundesebene einzuführen (wie es das Grundgesetz eigentlich verspricht). Allerdings schränkt Söder ein, Volksentscheide sollten als "demokratische Notbremse oder Überdruckventil […] nur der Ausnahmefall und nicht die Regel sein".

"Wenn einem wie beim Brexit das Ergebnis nicht gefällt" spricht das dem Mittelfranken zufolge nicht gegen das Instrument an sich. Die "Vorbehalte gegen die politische Reife der Bürger", die "seit Beginn der Diskussion in Deutschland [...] im 19. Jahrhundert [...] aus den Argumenten der Gegner [sprechen]", hält der Heimatminister für "völlig unangebracht", weil es "nicht Sinn und Zweck der repräsentativen Demokratie sein [könne], das Volk sozusagen vor sich selbst zu schützen".

Ist die Meinung der Abgeordnetenmehrheit das Gegenteil des Parteiwillens?

Dass Söder seinem Aufsatz den Titel "Wir als CSU sind für Volksentscheide auf Bundesebene" gab, ist insofern bemerkenswert, als der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl (der einer der entschiedensten Gegner von Volksabstimmungen ist) kurz vorher auf eine Volksabstimmungsforderung des CSU-Parteivorsitzenden Horst Seehofer verlautbart hatte, dafür gäbe es "in der CSU-Landesgruppe keine Mehrheit."

Söders Forderung weist dadurch - möglicherweise ohne Absicht - auf einen Mangel der parlamentarischen Demokratie hin: Will man sich seiner Position als Wähler anschließen, indem man bei der Bundestagswahl seine CSU wählt, dann stimmt man für eine Partei, deren Bundestagskandidaten die gegenteilige Position vertreten.

Berücksichtigt man, dass die CDU die Schwesterpartei der CDU ist und eng mit ihr zusammenarbeitet, wird das Problem noch deutlicher: Die Merkel-Partei ist ebenfalls gegen Volksabstimmungen auf Bundes- und Europaebene und verhinderte deren Einführung bei den Koalitionsverhandlungen nach der letzten Bundestagswahl angeblich dadurch, dass sie der CSU gegen ein Versprechen Merkels eine Autobahnmaut genehmigte, deren Einführung nun von Brüssel blockiert wird.

Dort, im Europaparlament, stehen die CDU-Politiker Volksabstimmungen mindestens ebenso ablehnend gegenüber wie im Bund: Ihr Europaabgeordneter Elmar Brok warnt in der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ): "Wenn jedes EU-Land bei einem unliebsamen Thema ein Referendum abhält, würde in der EU nichts mehr funktionieren, dann wäre die EU handlungsunfähig."

Dem Volkswillen noch kritischer sieht der christdemokratische österreichische EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn, der auf die alleinige Kompetenz Brüssel beim Freihandelsabkommen CETA pocht und meint, "Staatsmänner", seien keine "Politiker", sondern müssten "auch unpopuläre Entscheidungen treffen".

Für den Wähler noch verwirrender und schwieriger wird die Situation, wenn man mit einbezieht, dass die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag im Juni einen Vorschlag einbrachte, der fordert, dass Bürger vor dem Inkrafttreten von Landesgesetzen eine hunderttägige Frist eingeräumt bekommen, während der sie die Unterschriften von mindestens zweieinhalb Prozent der Stimmberechtigten sammeln können. Unterschreibt dieser Anteil, können sie ein Referendum einleiten, in der nicht das Parlament, sondern das Volk direkt über das Inkrafttreten des Gesetzes entscheidet.

Der Verein Mehr Demokratie lobt diesen Entwurf zur Änderung der thüringischen Verfassung als "bahnbrechenden" und "bundesweit bisher einmaligen Vorstoß in Richtung mehr direkter Demokratie". Dass der "klare und überzeugende" Vorschlag von der CDU kommt, war für Vereinsvorstandssprecher Ralf-Uwe Beck eine "Überraschung", weil sich die Partei auf Bundesebene generell der direkten Demokratie verweigert (vgl. Thüringen: CDU fordert fakultative Volksabstimmungen).

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