Unklare Rolle Russlands bei der US-Operation gegen al-Bagdadi
Trump feierte den Einsatz, der wie im Kino ausgeführt wurde, die vielen Erzählungen über die Mission erzeugen einen undurchsichtigen, wahrscheinlich erwünschten Informationsnebel
Die militärische Aktion eines Delta-Force-Spezialkommandos, bei der der IS-Führer Abu Bakr al-Bagdadi - wenn er es noch war - sich selbst, drei seiner Kinder und andere in die Luft gesprengt haben, war offenbar ganz nach dem Geschmack von Donald Trump. Der konnte, wie er sagt, der Aktion live zuschauen, es sei "wie ein Film" gewesen, man müsste hinzufügen wie ein Actionfilm, den im Übrigen die IS zu ihrer Hochzeit mit realen Szenen imitiert hat, nur habe es leider keinen Live-Ton gegeben, und auch was sich in dem Tunnel ereignet hat, konnte Trump nicht sehen, also gewissermaßen den Höhepunkt. Da musste er sich leider auf Erzählungen verlassen.
Die hat er aber dann am Sonntag auch versucht, so dramatisch wie möglich zu schildern und vor allem darzustellen, wie feige und erbärmlich der angeblich weltweit gefährlichste Terrorchef zunächst in den Tunnel geflüchtet und sich dort in die Luft sprengte. Dass Bagdadi wimmerte und kreischte, hat Trump jedenfalls nicht selbst hören können. Wir hatten auch schon geschrieben, dass Verteidigungsminister Espen sich vor solchen emotionalen Schilderungen zurückhielt (Auch Trump will nun mit Baghdadi wie Bush und Obama den wichtigsten Terrorchef "erlegt" haben).
Das Militär stellt nach Angaben der NYT, die dies von Militärs erfahren haben will, prinzipiell keine Möglichkeit einer Echtzeitkommunikation zur Verfügung, weil man ausschließen will, dass aus dem Weißen Haus während der laufenden Operation Kommentare, Ratschläge oder Befehle kommen. Oft würden auch keine Helmkameras mehr getragen, um keine Echtzeitbilder zu übertragen (oder weil man die Operation überhaupt nicht dokumentieren will). Im Fall von Bagdadi hätten Soldaten am Körper Kameras mitgeführt, deren Bilder aber erst nachträglich heruntergeladen wurden.
Beseitigung von Bagdadis Leichnam und Zerstörung des Gebäudes
Ob nun Trump Fake News verbreitet hat, als er erzählte, die Soldaten hätten ihm in Echtzeit berichtet, was gerade geschieht: "Sir, we just broke in. Sir, the wall is down. Sir, you know, we’ve captured. Sir, two people are coming out right now. Hands up." So sprach er davon, dass angeblich nur ein Mann in den Tunnel ging, obwohl Bagdadi doch drei Kinder mitgenommen haben soll und hier noch mehr Frauen und Männer ums Leben gekommen sein sollen. Man muss annehmen, dass Trump, der Kinoschauer, seiner Phantasie freien Lauf ließ.
Erstaunlich auch, wie schnell festgestellt wurde, dass al-Bagdadi tatsächlich erlegt worden sei. DNA-Analysen dauern für gewöhnlich einige Zeit, aber hier ging alles ganz schnell. Fox News hat die Erklärung. Von Bagdadi blieb sein Kopf verschont. Und so soll seine Identität über einen Gesichtserkennungs-Scanner unmittelbar festgestellt worden sein. Angeblich soll das Pentagon aber auch eine Technik zur schnellen Gen-Analyse entwickelt haben, wie die Washington Post berichtet. Und angeblich habe man Genproben von einer seiner Töchter gehabt.
Mit seinem erweiterten Selbstmord hat Bagdadi auch sein Wissen mitgenommen, an dem man in Washington wahrscheinlich ebenso wenig interessiert war wie an einem Prozess. Abgesehen von 11 Kindern sollen auch Bagdadis Kumpane getötet worden sein. Angeblich wurden, wie General Mark A. Milley, Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff, sagte, zwei Männer gefangengenommen, wer sie sind, ist nicht bekannt. Sie sollen im Irak verhört werden.
Zudem soll vor der Zerstörung des Gebäudes eine Menge an Informationen gefunden worden sein. Wie aufschlussreich sie sind, bleibt offen. Das Material, das bei Bin Laden gefunden wurde, hat jedenfalls keine großen Erkenntnisse offenbart. Offenbar gehen Informanten vom Pentagon und der Geheimdienste davon aus, dass Bagdadi keine operative Kontrolle mehr über den IS hatte. Die nach der Explosion kaum mehr vorhandenen Überbleibsel von al-Bagdadi sollen wie Bin Ladens Leichnam im Meer versenkt worden sein. Damit soll verhindert werden, dass die Gebeine zu Reliquien werden, aber man hat auch jede Möglichkeit beseitigt, die Identität überprüfen zu können. Auch das Gebäude mitsamt den angelegten Tunnels wurde durch Drohnen und Kampflugzeuge zerstört, angeblich um keinen Pilgerort zu hinterlassen, beseitigt wurden aber auch alle Spuren.
Offene Fragen
Was bleibt, ist die Erlegung des Terrorkalifen zu einem verdächtig günstigen Zeitpunkt für Trump. Es ist geradezu ein Geschenk für den US-Präsidenten im Wahlkampf, der wegen der Impeachment-Ermittlungen und seiner Syrien-Entscheidung unter Druck steht und an Popularität eingebüßt hat. Allerdings ist kaum vorstellbar, dass er mit der Trophäe al-Bagdadi, der schon zum Phantom geworden ist, wieder Land gut machen kann, da die Probleme bleiben und der IS in Syrien und im Irak, aber auch in anderen Ländern auch ohne des Kalifen weiterhin präsent, dessen Bedeutung für die Organisation von Anfang an fragwürdig ist. Dass Trump nach der Preisgabe der Kurden ausgerechnet die syrischen Ölfelder sichern will, hat nur bestätigt, dass auf die USA kein Verlass mehr ist.
Offen bleibt im Informationsnebel, ob Bagdadi stetig seinen Aufenthaltsort geändert hat oder bereits längere Zeit bereits in Idlib nahe der türkischen Grenze gelebt hat. Hier sind die Narrative, die Informanten verbreiten, nicht eindeutig. Unklar wird auch bleiben, warum und wie er nach Idlib gekommen ist und welche Beziehungen er mit dem al-Qaida-Ableger HTS und der Türkei hatte.
Aus Damaskus wird die Vermutung angestellt, dass al-Qaida und der IS weiter verbunden seien und die Türkei sowie die USA die Terroristengruppen in Idlib geschaffen und beschützt haben. Die USA hätten "nachweislich" Terroristen, ausgegeben als moderate Rebellen, trainiert und ausgerüstet. Jetzt würden die USA ihre "koloniale Rolle" weiter ausüben und von Syrien Öl stehlen.
Was wusste Russland (nicht)
Interessanter ist die russische Reaktion. Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Generalmajor Igor Konaschenkow, hatte zunächst erklärt, man habe keine Informationen über amerikanische Luftoperationen in diesem Gebiet. Bekanntlich sollen die acht Apache- und Chinhook-Hubschrauber mit Soldaten der Delta Force aus Erbil über auch von Syrien und Russland kontrolliertem Luftraum - "sehr tief und sehr schnell" - nach Barisha geflogen sein. Der Gebäudekomplex, in dem Bagdadi sich aufhielt, soll schon zuvor von Drohnen und Satelliten fotografiert worden sein. Zu den Hubschraubern sollen dann aber noch Kampfflugzeuge oder Drohnen gestoßen sein, um das Gebäude unter Beschuss zu nehmen.
Ob die Drohnen oder Kampfflugzeuge auch aus dem Irak kamen oder eventuell aus der Türkei, bleibt ebenso dunkel wie die Rolle der Türkei, die enge Beziehungen zu den dschihadistischen Rebellen in Idlib - vorher auch zum IS - unterhält und in ihre Milizen viele Kämpfer von diesen als Söldner aufgenommen hat. Möglicherweise war al-Bagdadi auch ein türkisches Geschenk an Trump, ein quid pro quo für den Rückzug der amerikanischen Truppen der die türkische Offensive ermöglicht hat.
Wenn die zwei angeblich gefangenen Männer in den Irak gebracht worden sind, dann müssen die Hubschrauber nach vollendeter Aktion wieder über syrischem Territorium in die Autonome Region Kurdistan zurückgeflogen sein. Trump hatte behauptet, Russland habe die Aktion genehmigt und den Überflug gestattet, er bedankte sich auch bei Moskau. Doch vom russischen Verteidigungsministerium kam erst einmal ein scharfes Dementi. Man sei nicht gefragt worden und habe auch keine Flugbewegungen über dem Gebiet bemerkt. Es wurden Zweifel an der ganzen Aktion angemeldet, weil so viele Akteure - syrische und irakische Kurden, die CIA und der irakische Geheimdienst sowie die Türkei und sogar Syrien - beteiligt gewesen sein wollen. Und dann sei Bagdadi schon mehrmals als tot gemeldet worden, auch vom russischen Militär. Man warte auf einen Beweis.
Kremlsprecher Peskow machte daraufhin aber einen kleinen Rückzug. Wenn der Tod al-Bagdadis bestätigt würde, sei dies in der Tat ein "wichtiger Beitrag zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus". Das könne in Moskau keine negativen Reaktionen hervorrufen. Das klingt noch immer nicht nach Überzeugung. Peskow widersprach aber Konaschenkow und sagte, die russischen Streitkräfte hätten in dem Gebiet amerikanische Drohnen und Flugzeuge beobachtet. Dazu, ob Russland vorab über die Operation Bescheid wusste, wollte er sich nicht äußern.
Gut möglich, dass Moskau nicht den Anschein erwecken will, mit den USA zu kooperieren. Die zunächst getroffene Feststellung, keine amerikanischen Luftbewegungen in dem Gebiet beobachtet zu haben, könnte aber auch ein Hinweis darauf sein, dass die amerikanischen Spezialeinheiten erfolgreich die russische Flugüberwachung austricksen konnten. Das wäre eine Blamage, besonders deswegen, weil Russland sein S-400- Raketenabwehrsystem in Syrien stationiert hat. Das wäre ähnlich wie in Saudi-Arabien, wo die amerikanischen Patriot-Systeme die Angriffe auf Ölanlagen weder feststellen noch abwehren konnten.