Unser Bauch gehört immer noch uns

Mittelalterliche Methoden - fanatischer Abtreibungsgegner, Richmond, USA. Bild: Taber Andrew Bain/ CC BY 2.0

Nur die betroffene Frau kann entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft austragen will oder nicht

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Seit Jahrtausenden wird Frauen das Recht auf Selbstbestimmung, auch im Falle einer Schwangerschaft, streitig gemacht. Frühe theologische Schriften, sowohl des Juden- als auch des Christentums, beschäftigten sich mit dem Thema und lehnten absichtlich herbeigeführte Abbrüche ab.

In der christlichen Lehre gilt eine Eizelle ab der Befruchtung als menschliches Leben, dessen Schutz oberste Priorität genießt - höhere Priorität als das Leben der austragenden Mutter, und der Schutz endet auch sehr schnell nach der Geburt, wie sich an dem Umgang mit Müttern und Kindern in unserer Gesellschaft ablesen lässt.

Der Kampf gegen Schwangerschaftsabbrüche ist also ein ur-christliches Anliegen, da verwundert es nicht, dass gegenwärtig überall, wo "Lebensschützer" auftreten, der christliche Fundamentalismus nicht weit ist. Egal, ob in den USA, hierzulande bei Protestaktionen vor Beratungsstellen oder Kliniken, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden.

Oder bei Markus Krause, dem Mathematikstudenten aus Kleve, von dem weiter unten noch die Rede sein wird, der das Internet nach Webseiten von Arztpraxen durchforstet, die darauf hinweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.

Wird er fündig, wird er aktiv - hyperaktiv: Er erstattet Anzeige bei der zuständigen Staatsanwaltschaft und schwärzt die Praxen bei der jeweiligen Landesärztekammer an. Das Recht ist dabei auf seiner Seite, denn seit 1871 ist Schwangerschaftsabbruch eine Straftat, als solche im § 218 des Strafgesetzbuches festgeschrieben, aktuell nach § 218b unter bestimmten Bedingungen indes straffrei. Zu diesen Bedingungen zählt u.a. nach § 219 die Pflicht zur Beratung in einer dafür ausgewiesenen Einrichtung.

Werbung für Schwangerschaftsabbrüche ist laut § 219a verboten. Die Auslegung von "Werbung" ist dabei sehr streng, es durfte in der Vergangenheit nicht einmal darauf hingewiesen werden, dass diese Leistung angeboten wird.

Das hat sich inzwischen geändert, seit Ende März 2019 dürfen Praxen auf ihrer Webseite erwähnen, dass dort Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. Mehr allerdings auch nicht, beraten dürfen die Ärztinnen und Ärzte ihre Patientinnen nicht. Einmal im Monat gibt das Familienministerium eine Liste aller Praxen und Kliniken heraus, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden.

Ersatzlose Streichung des §218: Eine der ältesten Forderungen der Frauenbewegung

Die Leidtragenden waren und sind immer die Frauen, entsprechend wehr(t)en sie sich dagegen. Die Forderung nach ersatzloser Streichung des §218 aus dem Strafgesetzbuch ist keine Erfindung der Jusos im 21. Jahrhundert, sondern sie ist über 100 Jahre alt; eine der ältesten Forderungen der Frauenbewegung - neben Weltfrieden und dem Wahlrecht. Eine Forderung nicht nur der proletarischen, sondern auch eines Teils der bürgerlichen Frauenbewegung.

Am 15. Mai 1871 wurde das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich beschlossen, das am 1. Januar 1872 in Kraft trat und die §§218 und 219 enthielt. §218 legte fest, dass Schwangerschaftsabbrüche rechtswidrig seien und mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren oder einer Geldstrafe bestraft werden.

Damals wurde noch zwischen Zuchthaus und Gefängnis unterschieden, Zuchthaus galt als unehrenhaft und war verbunden mit Arbeitszwang.

Dieses Los blühte also Frauen, die eine Schwangerschaft nicht austragen wollten, sie galten als schwere Straftäterinnen. Abgesehen davon, dass Geldstrafen seinerzeit nicht so selbstverständlich waren wie heute, hatte die Mehrheit der Frauen kein Geld, d.h. nur gut betuchten Frauen war es möglich, sich vom Zuchthaus freizukaufen.

Dieses Bild der Straftäterin ist bis in die Gegenwart erhalten geblieben, noch vor einigen Jahren urteilte ein Richter, dass Schwangerschaftsabbruch nicht zur gesellschaftlichen Normalität werden dürfe. Schwangerschaftsabbruch wird ganz klar als Straftat gewertet. Frauen, die abgetrieben haben, werden als Straftäterinnen definiert, denen großzügig unter bestimmten Bedingungen Straffreiheit gewährt wird. Das gilt auch für die Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche durchführen:

Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist davon auszugehen, dass für die gesamte Dauer der Schwangerschaft die Abtreibung grundsätzlich Unrecht ist, da auch dem ungeborenen Leben Menschenwürde zukommt (BVefGE, 88/203 ff.). § 218 a Abs. 1 StGB stellt den Schwangerschaftsabbruch unter den dort genannten Voraussetzungen lediglich ausnahmsweise straflos. Das Verbot, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten, wurde in § 219 a StGB deshalb ausgesprochen und unter Strafe gestellt, um zu verhindern, dass die Abtreibung in der Öffentlichkeit als etwas normales dargestellt und kommerzialisiert wird

Landgericht Bayreuth, Urt. v. 13.01.2006, Az.: 2 Ns 118 Js 12007/04

In §219 wurde 1871 festgelegt, dass derjenige, der "einer Schwangeren, welche ihre Frucht abgetrieben oder getödtet hat, gegen Entgelt die Mittel hierzu verschafft, bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat", mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft werde.

Ab 1900 wurde auch die Verbreitung von Verhütungsmitteln unter Strafe gestellt, §184 verbot sogar die Werbung für Verhütungsmittel.

Dagegen gab es von Anfang an Widerstand. Als erste veröffentlichte 1904 die Frauenrechtlerin Gertrud Bülow von Dennewitz die Streitschrift "Das Recht zur Beseitigung keimenden Lebens. 218 des Reichs-Strafgesetzbuches in neuer Betrachtung". Darin bezeichnete sie den § 218 als einen "unwürdigen Eingriff in die allerintimste Privatangelegenheit eines Weibes".

1918 setzt sich die AWO mit Ihrer Gründung für die Streichung des § 218 ein.
1920 bringt die Sozialdemokratische Reichstagsfraktion einen Antrag auf Straffreiheit bei Abtreibung in den ersten 3 Monaten ein, der nicht durchkommt. Der § 184 verbietet das öffentliche Propagieren von Verhütungsmitteln. Außerdem sind sie unglaublich teuer.
1922 fordert die KPD mit einem in den Reichstag eingebrachten Gesetzentwurf die Streichung des § 218, das Recht auf kostenlose Abtreibung, Sexualaufklärung, Abgabe von Verhütungsmitteln durch die Krankenkassen, öffentliche Fürsorge bei Schwangerschaft, Geburt und für die Kinder.
1924 fordert der Sozialhygieniker Grotjahn die Beibehaltung der Bestrafung bei Abtreibung. Im Folgejahr werden 7.193 Frauen nicht verurteilt.
1926 wird auf Antrag der SPD bei Abtreibung die Zuchthaus- in Gefängnisstrafe umgewandelt. Das Reichsgericht läßt die medizinische Indikation zu.
1928-31 bringt die KPD mehrere Gesetzesentwürfe zur Abschaffung des § 218 ein; zusammen mit der SPD wäre mehrere Male die Möglichkeit gewesen, den § 218 zu Fall zu bringen.
1931 werden die Ärztin Else Kienle und der Arzt Friedrich Wolf unter dem Vorwurf der "gewerbsmäßigen Abtreibung" verhaftet. Dies löst die größte Massenbewegung der Weimarer Zeit gegen § 218 aus. Hunderttausende Frauen und Männer demonstrieren.

Aus Der § 218 in Zahlen

Unter den Nazis wurde der §219 wieder reaktiviert:

Die Nationalsozialisten führten mit ihrem ersten Strafrechtsreformgesetz vom 26. Mai 1933 den § 219 StGB zum 1. Juni 1933 wieder ein. Mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wurde seit diesem Zeitpunkt bestraft, "wer zu Zwecken der Abtreibung Mittel, Gegenstände oder Verfahren öffentlich ankündigt oder anpreist oder solche Mittel oder Gegenstände an einem allgemein zugänglichen Orte ausstellt". Dieser Tatbestand wurde auch nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland wortgleich in die damaligen Neufassungen des § 219 StGB aus den Jahren 1953 und 1968 übernommen. 1969 wurde lediglich das Wort "Gefängnis" durch den zeitgemäßeren Begriff "Freiheitsstrafe" ersetzt.

Axel W. Bauer, Nur ein Relikt aus der NS-Zeit? Zur Geschichte des § 219a StGB

Kirchen: Vereint im Kampf gegen das Recht der Frau auf Selbstbestimmung

Gleich nach dem Krieg beschäftigte das Thema Schwangerschaftsabbruch die Kirchen, damals aufgrund von Schwangerschaften als Resultat von Vergewaltigungen der Kriegsbeute Frau. Die Sorge um das ungeborene Leben führte sogar zur ersten gemeinsamen Denkschrift der katholischen und protestantischen Kirche.

1950 wurde in der DDR Schwangerschaftsabbruch medizinischer und eugenischer Indikation erlaubt; 1965 die psycho-soziale Indikation ergänzt. Medizinnische Indikation bedeutet, dass der Mutter aus medizinischer Sicht eine Schwangerschaft nicht austragen kann, eugenische Indikation, dass bei dem Kind mit einer Behinderung zu rechnen und psycho-soziale Indikation, dass der Mutter aufgrund ihrer Verfasstheit oder ihrer sozialen Situation eine Schwangerschaft nicht zuzumuten ist. Aus der sogenannten Indikationslösung wurde später die Fristenlösung, d.h. Schwangerschaftsabbrüche waren in den ersten 12 Wochen straffrei.

Anfang der 1970er Jahre kam es in der alten Bundesrepublik zu massiven Protesten gegen den §218, im Wochenmagazin Stern beteiligten sich mehr als 300 prominente Frauen an der Aktion "Ich hab abgetrieben".

Es folgten Jahre der harten Auseinandersetzung und juristischen Tauziehens, Beschlüsse des Bundestags wurden vom Bundesverfassungsgericht gekippt, 1976 wird das sogenannte "erweiterte Indikationsmodell" beschlossen, das auch Spielraum für subjektive Gründe lässt. Erst 19992 wurde die "Fristenregelung" beschlossen. Diese wurde 1993 modifiziert und eine Beratungspflicht wurde eingefügt.

"Mein Bauch gehört mir", war die Losung der Frauenbewegung. Damit sollte deutlich gemacht werden, dass niemand außer der Frau selbst entscheiden kann, ob sie ein Kind bekommen möchte oder nicht.

Grundsätzlich ist Schwangerschaftsabbruch bis heute eine Straftat, von einer Bestrafung wird indes innerhalb der ersten 12 Wochen der Schwangerschaft abgesehen, sofern die betroffene Frau die Schwangerschaft von einer Ärztin/einem Arzt feststellen lässt, anschließend eine Beratungsstelle aufsucht.

Laut Gesetz sind die Beratungsstellen gehalten, die Frauen zum Austragen der Schwangerschaft zu ermuntern. Daran halten sich - glücklicherweise - nicht alle Beratungsstellen. Nach einer Frist von 3 Tagen nach diesem Gespräch kann der Abbruch durchgeführt werden, allerdings von einer anderen Ärztin oder einem anderen Arzt. Die Patientinnen beraten dürfen weder der Arzt, der die Schwangerschaft feststellt, noch die Ärztin, die den Abbruch vornimmt.

Alle, die sich nicht vorstellen können, was das für die betroffenen Frauen bedeutet, mögen sich bitte mal folgendes Szenario vorstellen: Unerträgliche Schmerzen lassen den Besuch bei der Zahnärztin unaufschiebbar werden. Die konsultierte Ärztin stellt fest, dass dringender Handlungs-, bzw. Behandlungsbedarf besteht, darf aber selbst nicht tätig werden, sondern muss den Patienten an eine Beratungsstelle verweisen.

Diese ist angewiesen, in jedem Falle zum Erhalt der Kauleiste zu raten, darf jedoch die verschiedenen Behandlungsmethoden neutral vorstellen, eventuelle alternative Heimmethoden ins Gespräch bringen und auch die persönliche Situation des Patienten in die Überlegungen einbeziehen. In der Beratungsstelle finden sich idealerweise kompetente Berater, die Für und Wider professionell erörtern können und den Patienten mit einem Berechtigungsschein für eine adäquate Behandlung entlassen.

Drei Tage nach dem Gespräch kann eine weitere Zahnärztin aufgesucht werden, die zwar die Behandlung vornehmen, den Patienten auch über die einzelnen Behandlungsschritte informieren, aber ebenfalls kein persönliches Patientengespräch führen darf, bei dem gemeinsam die subjektive Lebenssituation sowie Behandlungsmöglichkeiten, alternativen und Konsequenzen bei Nicht-Behandlung erörtert werden können.

Möglicherweise spricht eine akute Erkrankung anderer Natur dafür, zunächst einmal für Schmerzfreiheit zu sorgen und nach der Genesung die eigentliche Behandlung durchzuführen. Bei jeder grundlegenden medizinischen Behandlung stehen Fragen an, die Patientinnen und Patienten mit dem Arzt oder der Ärztin des Vertrauens besprechen möchten. Und nicht mit völlig fremden, medizinisch nicht ausgebildeten Personen.

Selbstverständlich muss es Beratungsstellen geben, die Frauen im Falle einer ungewollten Schwangerschaft in Anspruch nehmen können. Weil sie es wollen, nicht weil ein Gesetz es vorschreibt. Wer bespricht schon gern eine der tiefgreifendsten Entscheidungen für das gesamte Leben mit einer völlig fremden Person? Und mag sie noch so empathisch und noch so gut ausgebildet sein.