Unterhaltung mit einem Hauch Futurismus

Das Musikfestival "Sonar" in Barcelona erlebte seine siebente Auflage.

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Man kann es auf der Webseite von Sonar lesen. Ein Drei-Tage-Festival ist selbst für die blendend organisierten Leute von Sonar so erschöpfend, dass die neusten Neuigkeiten immer noch sind, dass es keine Tickets mehr gibt, der Bus jeden Abend raus zum Festival fährt, und DJ so und so abgesagt hat. Für eine Schlussbetrachtung war nach diesem Monsteraufwand einfach noch keine Zeit.

Visuelles Erkennungszeichen für Sonar

Eines der wichtigsten Festivals für elektronische Musik ging letzte Woche in seine siebente Runde, und es ist immer noch unbestimmbar, was Sonar eigentlich alles bedeutet. Über die Jahre hinweg hat sich, während in den letzten 10 Jahren im Rahmen elektronischer Musik zentral so etwas wie ein Krieg zwischen Underground, der "wahren" Lehre und dem Ausverkauf an Lifestyle und affirmatives Lebensgefühl stattgefunden hat, Sonar Sommer für Sommer als eine Ausnahmeerscheinung etabliert. Jeden Sommer in Barcelona stellte sich wieder dieses andere Wir-Gefühl ein, das die Gegensätze zwischen experimentellem Selbstverständnis und Partytier einfach so auflösen konnte.

Am Ende von jedem Sonar war es immer wieder egal ob man nun da war, weil die Bassdrum so kickte, oder weil hier die Sounds und Strukturen der nächsten Generation präsentiert wurden. Techno, House, Electronica, Electro, Ambient, Breakbeats, HipHop, ernste Musik, nach ein paar Nächten mit 27° Celsius war das alles vergessen, man konnte einfach dabei gewesen sein und wusste auf einmal von allem mehr.

Sonar ist immer noch nicht zu definieren, auch nach diesem siebenten Mal nicht. Es ist immer noch keine "ordentliche" Messe, obwohl es zum ersten Mal auch eine Area nur für Professionals gab; es ist immer noch keine Kunst, obwohl allein die räumliche Nähe im Museum für Gegenwartskunst, vor allem aber eine paar lamentable Versuche wie Chicks On Speeds - "Unsere Nahrungsaufnahme nennt sich jetzt Performance" - sicherlich auch den dezentesten Kunsthasser in einen rasenden Fudamentalisten des Antisubventionsprinzips verwandeln könnte; es ist kein Kongress, trotz scheinbar unvermeidlichem Berlin-Schwerpunkt, einer Ausstellung des Gegenwartsmultimediagedaddels dieser Stadt (Multimedia heißt: wir machen ganz tolle Flyer, kopieren Designers Republic und versinnbildlichen Berlin-Mitte als Fernsehturm im Discokugel-Outfit) im Keller und diversesten Panels, keine "Children Of Berlin"-Verlagerung in ein Pseudo-Ibiza nach gutem paneuropäischem Rave-Vorbild oder eine "Berlinbeta" für Touristen, kein Warmwasserhahnrave und keine monströse Clubtour, sondern einfach nur Sonar.

Aufgeteilt in zwei Bereiche, Sonar by Day und Sonar by Night und ein paar "Off"-Partyevents, auf denen man sich unter sich erholen konnte von dem Ausnahmezustand einer Stadt im Fieber elektronischer Musik, beginnt jedes Sonar mit dem Einordnen in diverse Schlangen von Akkreditierung, Ticketverkauf, Eingansprozeduren und Durstlöschen. Sonar By Day, mitten in der Stadt nahe an der touristischen Megapolisfranchisingflaniermeile eines immer noch merklichen Postolympiaaufschwungs, den Ramblas, war ein massiv expandiertes Areal aus mindestens 6 Bühnen, Kino, Ausstellung, Skatershowoff, Styleparade, Plattenbörse, Technologieshow und dem typischen iMac-Center, das heutzutage unmissverständlich bedeutet: "Hier ist das Internet!". Wie immer stand auch dieses Jahr Sonar wieder unter der Schirmherrschaft eines Corporate-Identitiy-Designs unter dem Logo eines verbogenen Löffels. Aus jeder Ecke, denn die kleinen ausführlichen Programmheftchen, aber auch Poster, die Taschen und Hinweise waren überall in der Stadt verteilt, starrten die beiden unheimlichen Zwillingsschwestern und ihr gealtertes Pendant mit überfahren ausgeschütteter Blumenerde als Kopf mit einer grundlegen Verunsicherung von Identität und Realität strikt an einem vorbei.

Mitten im Hof des Eingangs konnte man sich jeden Nachmittag mit diesen Ikonen der Selbstverlorenheit im elektronischen Nekrokosmos photographieren lassen, und es würde mich nicht wundern, wenn in ein paar Tagen die ersten Webseiten mit endlosen Photos immer gleich abwesend aussehender Schwestern mit einem belämmert zerrockten Urbanstyleaddict Furore machen. Man bewegte sich auf Sonar also prinzipiell schon mal in einem anderen Raum, und so unterschwellig wie unheimlich funktionierte genau das bis zum letzten Tag, auch wenn man eben endlich mal nicht mehr alles mitbekommen konnte, was auf Sonar stattfand, war das Sehen und Gesehen werden nicht mehr nur einfach ein Zusammenwerfen der neuesten Jugendkulturzeichenidiome zur Ermittlung des diesjährigen Gewinners des Hipsterpreises - auch wenn die "Italiener", die meist keine waren, mit ausgeprägtem Planet-Of-The-Apes-Kinnbart zu verlegener Zauselkurzhaarfrisur mit Fussballermatte dazu hätten gewählt werden können - sondern eher so eine Art Erleichterung, dann doch noch so etwas wie "Normalität" der Differenz zu finden. Kein hey, "wir sind alle so verrückt des Künstlerjargons des letzten Jahrtausends", kein Yuppie, "wir sind alle so stinknormal" des Startupneowirtschaftswunderkonservativismus der "Gründer"-Designer, sondern einfach ein, "nett, dass wir wieder alle da sind".

Bands, Bands, Bands

Waren einige Sonar Festivals noch scheinbar beherrscht von einem experimentellen musikalischen Gestus, der Sähkö in den letzten Jahren zum Beispiel nicht nur dazu bewogen hat, aus Finnland nach Barcelona zu emigrieren, sondern noch dieses Jahr jeden zweiten über ihre Abwesenheit die merkwürdigsten Spekulationen über geheime Pan_Sonic-Partys oder verkappte Auftritte von Mika Vainio produzieren liess, so war dieses mal nach dem Opener von Karl Heinz Stockhausen (der allgemein mit "Respekt" beurteilt wurde, aber eben auch mit "altmodisch") klar: Sonar setzt musikalisch keine neuen Standards mehr, sondern versucht abzubilden was grade eh überall hip ist, und begeht dabei einen Fehler nach dem anderen, denn die Hipnessberater stecken zum Großteil wohl in einer elektronischen Identitätskriese. Und wie es nun einmal ist, begleiten Identitätskriesen immer Vergangenheitsbewältigungserscheinungen.

Wer den ersten Part von "Sonar by Night" mitbekommen hat, der war überzeugt auf einer neuen Form von Rockveranstaltung angekommen zu sein. Bands. Überall nur Bands. Überall Performancekunst aus 80er-Direktimportversänden einer kulturellen Gegengeschichte, wie Artist Unknown in Mumienverkleidung mit Cyborggesten, Funkstörung mit Rapper "for the ladies", und in der grossen Halle gar ein Revivalauftritt von Marc Almond incl. Smoke-on-the-Water-Satisfaction-Angie-Ersatz "Tainted Love".

Fanden die Sonarbesucher das alles gut? Vielleicht. Mochten sie diese merkwürdige spanische Band mit der Moppfrisursängerin, die wirklich auch nicht im Entferntesten als elektronische Musik bezeichnet werden konnte? Oder den Punk-meets-Pubsoul-Auftritt einer weiteren Wave-Legende Namens Death in June? Gemeckert wurde nur an den nächsten Tagen, am Abend wurde alles ertragen, wenn auch erst dann wieder wirklich getanzt wurde, wenn die Bassdrum zurückkehrte. In diesem Licht waren die Papppuppen nebst Punkgeschrei von Chicks On Speed oder der missratene Sun-Ra-in-Oberhausen-Auftritt der Abräumer vom letzten Jahr, Supercollider, inklusive furadelbausartiger Videoprojektorträgerperformancemenschen, am nächsten Abend nur ein weiterer Grund, sich allein über die warme Nacht, den vielen Platz und die wirkliche Attraktion des "Festivals" zu freuen: der Autoscooter, und am nächsten Tag das iMac-Nest zum Mail checken.

Hatte man sich erst mal dran gewöhnt, und Gewöhnung war bei Sonar einfach alles, dann akzeptierte man auch die gelegentlichen Parties von Deutschen in den Barcelonaclubs trotz 42°Windchill und leiser Musik und Nukiravern, lagerte sein Gehirn aus auf den von 50er Jahre kittelgeschürzten Pflegerinnen umsorgten Kunstrasen, traf alle Leute, die man sonst nur in langen Hosen kennt mit einem Hauch relaxter Hitzefreistimmung, und durfte den im rosa Hemd auftretenden Herbert nebst Jazzpianolehrer und Sängerin Dani Siciliano dabei erleben, wie er mit ein wenig Samplewizzardry und eigentlich selbstverständlich transparent gemachter Produktion aus einem Schnupftuch und ein paar leeren Wasserflaschen im Handumdrehen und vor den Augen der ungläubig begeisterten Crowd Technologie und Performance zu etwas verband, das man schon das ganze Wochenende über erwartet hatte. Advancte Unterhaltung mit einem Hauch Futurismus.