Unvollständige Ursachenforschung

Ein Interview mit Rainer Hank über Regulierung als Ursache der Finanzkrise

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Rainer Hank ist Wirtschaftressortleiter der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. In diesen Tagen ist von ihm das Buch erschienen: "Der amerikanische Virus. Wie verhindern wir den nächsten Crash", in dem er die These vertritt, dass nicht in erster Linie Deregulierung für die Weltwirtschaftskrise verantwortlich ist.

Herr Hank - in Ihrem Buch weisen sie auf die Rolle hin, die staatliche Regulierung für das Ausbrechen der Finanzkrise spielte ...

Rainer Hank: Ja, das ist mir wichtig, weil es sich eingebürgert hat, der Deregulierung die Schuld an der Finanzkrise zu geben. Das ist falsch, zumindest aber ist es unvollständig. Denn im Kern der amerikanischen Immobilienkrise sehen wir die Folgen des Eingriffs staatlichen Handelns. Es gab in Amerika regierungsamtliche Programme, die den Erwerb von Eigenheimen förderten. Sie waren sozialpolitisch motiviert und sollten dazu beitragen, aus den Armen Besitzende zu machen: eine Eigentümergesellschaft. Die Banken wurden aufgefordert, diesen Leuten Kredit zu geben und es mit den Sicherheiten nicht ganz so genau zu nehmen. Hinzu kommt - zweiter Staatsanteil - dass die Notenbanken durch ihre Zinspolitik das Geld billig gemacht haben. Das hat die Kredite billig gemacht und ihre Rückzahlung angesichts des enormen Wertzuwachses der Häuser unproblematisch scheinen lassen.

Das heißt also, es war weniger die Tatsache, dass reguliert wurde, sondern, dass falsch beziehungsweise unzureichend reguliert wurde?

Rainer Hank: Ganz genau. Denn die Banken sind seit den Lehren der Großen Depression jener Teil der Wirtschaft, in dem immer schon am meisten reguliert wurde. Niemand darf eine Bank eröffnen so wie er eine Softwarebude aufmachen darf. Es gibt präzise Anforderungen zum Beispiel darüber, wie viel Eigenkapital Sie als Sicherheit vorhalten müssen. Und es gibt überall strenge Behörden zur Bankenregulierung. Das alles gibt es seit langem und hat doch offenbar die Krise nicht verhindert.

Wie könnte denn Ihrer Ansicht nach Regulierung aussehen, die Krisen verhindert?

Rainer Hank: Ja, das ist jetzt die Eine-Million-Dollar-Frage, die alle interessiert. Lassen Sie uns zunächst bescheiden werden und sagen: eine Regulierung, die eine nächste Krise verhindert, wird es nicht geben. Jedenfalls beweist der Blick auf die Weltgeschichte, dass es Krisen gibt, seit es den Kapitalismus gibt. Jedes mal sagen die Leute "this time is different" und erinnern sich nicht mehr daran, dass ihre Vorfahren schon einmal im selben Schlamassel gesteckt haben. Dann überschätzen sie die menschliche Planungsvernunft und meinen, sie fänden jetzt den Stein der Weisen, wie sie die nächste Krise verhindern können.

Das heißt aber nicht, dass wir alles so weiter laufen lassen sollten wie bisher. Lassen Sie mich drei Beispiele einer intelligenteren Regulierung nennen:

1. Wir müssten die Banken zwingen, in guten Zeiten mehr Eigenkapital zu bilden. Das würde den exzessiven Aufschwung dämpfen (also den Übermut mäßigen), denn Eigenkapital ist teuer. Und es wäre zugleich ein Puffer für schlechte Zeiten, damit die Banken nicht gleich wieder nach dem Staat rufen müssten. Andererseits sollten wir in schlechten Zeiten, anders als wir meinen könnten, die strengen Eigenkapitalvorschriften lockern und nicht verschärfen. Denn strenge Eigenkapitalvorschriften wirken im Abschwung prozyklisch und feuern die Abwärtsdynamik an. Das macht alles nur noch schlimmer.

2. Es ist schlecht, dass die Finanzindustrie von den Ratingagenturen ihre Produkte schätzen lässt und sie dafür bezahlt. Die Geprüften finanzieren ihre Prüfer und wählen sie selbst aus: So etwas spottet dem Gedanken eines unabhängigen Ratings. Besser wäre es, die Ratings würden im Auftrag der Anleger gemacht und von ihnen bezahlt. Aber das heißt auch: Die Finanzprodukte werden teurer. Irgendeiner muss die Agenturen schließlich bezahlen.

3. Wir sollten die Entlohnungssystem der Banker - Stichwort Boni - so einrichten, dass diese Banker am langfristigen Erfolg, aber nicht an der kurzfristigen Knete interessiert sind. Dass heißt, Erfolgsbeteiligungen müssten einen Mehrjahreszeitraum ermessen und dann erst ausbezahlt werden können. In schlechten Jahren würde statt eines Bonus ein Malus fällig.

Das sind nur drei, wenn auch wichtige Beispiele. Aber sie zeigen auch: Es gibt keine Regulierung, die man nicht unterlaufen könnte. Man nennt das Regulierungsarbitrage. Wenn die Kunden für die Ratings zahlen müssen, gibt es bald Produkte ohne Ratings, die billiger sind und eine höhere Rendite versprechen (aber natürlich auch viel riskanter und unberechenbarer sind). Und flugs wird es Leute geben, die wieder sorglos solche Produkte kaufen. Da hat keine "Finanzpolizei" der Welt eine Chance.

Würde es helfen, wenn alle Verkaufsgespräche für Finanzprodukte aufgenommen und auf DVD gespeichert würden, so dass Klarheit über die tatsächliche Risikoaufklärung besteht und Verkäufer potentiell stärker in Haftung genommen werden können? Technisch wäre so etwas ja heute ohne weiteres möglich.

Rainer Hank: Nein, das ist eine Illusion. Was hätten wir von der Aufzeichnung eines Gesprächs, bei dem ich ein Lehman-Zertifikat gekauft habe. Mein Vertrag hatte den Passus, man müsse im schlimmsten Fall mit Totalverlust rechnen. Fast jeder Berater hätte darauf hingewiesen, dass in den Papieren im Kleingedruckten über Risiken informiert wird, aber das ein ganz seltener Fall ist, den man übergehen könne. Kein Richter wird ihn belangen.

Besser wäre es, die Anleger würden sich daran gewöhnen, dass Rat nicht nur Vertrauen braucht, sondern auch Geld kostet und sie würden sich an unabhängige Berater wenden, die auf Honorarbasis arbeiten. Solche Berater gibt es. Bei Bankleuten weiß man nie, welche Produkte ihr Institut gerade in den Markt presst.

Sie merken: Wenn wir über neue oder veränderte Regeln reden, ist die zentrale Frage immer auf Effekte und Anreize gerichtet. Die Frage ist also: Welches Regulierungsdesign wirkt so, dass möglichst alle Interessen transparent werden.