Urlaub in Quarantänien
Corona und Fußball: Markus Söder verteidigt Geisterspiele, stellt Lockerungen der Zuschauervorschriften in Aussicht und lästert über England
Schon mehrere Wochen lang war der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder nicht mehr bei "Anne Will" oder "Maybrit Illner" eingeladen. Darum kurierte er seine offenbar vorhandenen Talkshow-Entzugserscheinungen eben mit einem Auftritt im "Doppelpass", der sonntäglichen Fußball-Talkshow bei Sport1.
Und auch wenn es bei dieser Sendung in erster Linie um Fußball ging, war es ein hochpolitischer Auftritt. Söder hatte nicht nur die 1-2 Heimniederlage des FC Bayern vom vergangenen Freitag zu kommentieren, sondern vor allem das Verhältnis zwischen Corona-Pandemie und deutschem Fußball, um die populistischen Vorwürfe gegen "reiche Clubs" und ihre "Großverdiener" auszuräumen, die angeblich fortwährend Sonderrechte zugestanden bekommen.
Ausgerechnet der Vorzeigeklub des deutschen Fußballs hat die Pandemie am schlechtesten im Griff: Viele Spieler des FC Bayern waren über Weihnachten zu einem Kurzurlaub unterwegs: Malediven, Dubai, Senegal hießen die Reiseziele. Das Ergebnis: Ein gutes Drittel des Kaders kam infiziert zurück.
Quarantänien hieß der neue Urlaubsort. Die Spieler zeigen sich hier als die Egoisten, die sie für ihre Verächter seit jeher sind. Sie beweisen Illoyalität gegenüber ihrem Verein und gegenüber den Fans. Denn auch wenn jeder Mensch seinen Urlaub verdient hat, gibt es viele Menschen im Pflegebereich oder in "systemrelevanten" Berufen, die entweder Weihnachten oder Silvester frei haben, und die bestimmt nicht nach Dubai und in die Malediven fliegen können.
Ein Abbild der Gesellschaft
Es stimmt eben nicht, wenn gern gesagt wird, der Fußball sei ein reines "Abbild der Gesellschaft". Zurzeit sind rund 10 Prozent aller Bundesliga-Spieler mit Corona infiziert, aber nur knapp 0,9 Prozent aller Deutschen. Gerade darin ist die Bundesliga also ein Abbild nicht der Gesellschaft, sondern ein Abbild eines bestimmten Typus unreifer, ungebildeter junger Männer aus sozialschwachen Verhältnissen.
Woran liegt das? An Bildungsschwächen und -mängeln der Fußballer? An ihrer Herkunft aus überdurchschnittlich oft nicht-europäischen Ländern? An fehlender Eigenverantwortung? Ein Thomas Müller ist zum Beispiel im Gegensatz zu seinen Kollegen Neuer, Sané, Coman, Hernandez etc. zu Hause geblieben, weil er gesagt hat, "da hat er jetzt keinen Bock unter diesen Umständen zu reisen".
Sport ist ein relevanter Teil der Gesellschaft. Vor allem der Profisport ist ein privilegierter Bereich. Auch Söder ging im "Doppelpass" darauf ein:
Wir haben generell das Reisen nicht verboten. Also kann man das keinem vorwerfen. Auch wohin er reist. Am Ende müssen dass die Vereine selber entscheiden und müssen genau überlegen, Fußballspieler sind natürlich ganz normale Menschen. Aber sie sind umgekehrt auch sehr privilegiert: Sie verdienen eine Menge Geld; sie stehen in der Öffentlichkeit, ...insofern hätte ich da schon Verständnis, wenn die Vereine ihnen bestimmte Regeln geben. Es wäre sicherlich klüger gewesen, daheim zu bleiben. ... Fußball ist unglaublich populär, hat aber damit auch eine Vorbildfunktion. Das hat man ja gut gesehen an der Debatte um Joshua Kimmich. Insofern muss man das gut in die Balance bringen.
Markus Söder
Fußball als Objekt von Symbolpolitik
Das Hauptproblem des Corona-Alltags sind auch im Profisport die krass unterschiedlichen und rational nicht nachvollziehbaren Regelungen, in allen Bereichen, die kein Mensch mehr versteht. Man hat den Eindruck: Der Fußball muss wieder einmal für Symbolpolitik herhalten, die sachlich kaum berechtigt ist. Warum dürfen Musical-Hallen zweimal pro Tag mit 750 Menschen und einer Auslastung von 45 Prozent besetzt werden und in den großen Freiluft-Stadien aber keine Zuschauer zugelassen werden?
800 Zuschauer dürfen in eine Halle zum Eishockey gehen, die Fußballstadien im Freien aber müssen leer sein. Die Münchner Oper darf zu 50 Prozent belegt sein, das Kino zu 25 Prozent, das Stadion nur mit null Zuschauern. Im Vereinsheim ein Bier zu trinken, ist erlaubt, auf dem Platz nebenan zu spielen verboten. Geisterspiele sind längst nicht überall Geisterspiele. In einem Stadion sind 3.000 Zuschauer zugelassen, im nächsten gar 5000, im übernächsten nur 500, im bayerischen gar keine.
"Es bräuchte einheitliche Regeln. So geht's einfach nicht"
Söder verteidigte Spiele ohne Zuschauer: "Wir haben ja die Geisterspiele deswegen beschlossen, weil in Bayern eine Überlastung der Krankenhäuser absolut da war. In einigen Regionen konnten selbst Krebspatienten und Herz-Kreislauf Patienten nicht mehr behandelt werden, weil keine Intensivbetten und keine Pflegekräfte mehr da waren."
Der bayerische Ministerpräsident sieht zugleich "schon eine Wettbewerbsverzerrung ... eigentlich bräuchten wir einheitlich europäische Regeln. In Italien empfiehlt die Regierung, überhaupt auszusetzen. Die Liga entscheidet anders. In England ist die Situation auch völlig durcheinander. Das Ganze führt zu einer völlig verzerrten Situation. Deswegen bräuchte es einheitliche Regeln. So geht's einfach nicht."
Der Fußball-Journalist Martin Quast widersprach: "Alle Vereine haben seinerzeit zugestimmt, weil nur mit genau dieser Regelung der Spielbetrieb in jedem Fall aufrechterhalten werden kann. Alle Vereine gehen damit das Risiko potenzieller Personal Einschränkungen ein, und der entsprechenden Wettbewerbsnachteile. Die Vereine wissen was sie da unterschrieben haben."
Später stellte Söder für die nähere Zukunft Lockerungen in Aussieht. "Jetzt muss man erstmal sehen wie sich Omikron entwickelt – da wird man dann auch in der Frage der Zuschauer im Stadion in den nächsten Wochen dann überlegen müssen: ist das vergleichbar?"
"Müssen wir in Deutschland nicht unsere Einstellung zum Virus ändern?"
Vielleicht muss man aber auch anders fragen: Sind wir zu vorsichtig? Die anderen zu leichtfertig? Denn auch international gibt es sehr verschiedene Regeln: Deutschland, Österreich und die Niederlande erlauben wenige bis gar keine Zuschauer. In England gibt es umgekehrt keine Begrenzung. In Spanien darf ein Stadion zu 75 Prozent gefüllt werden; in Italien zurzeit zu 50 Prozent, ab der kommenden Woche dürfen maximal 5.000 Zuschauer ins Stadion.
Diese unterschiedlichen Stadionbesuchs-Regeln führen aber nicht zu Inzidenz- oder Krankheits-Ergebnissen, die irgendwelche Bezüge zu ihnen erkennen ließen.
Der Sportjournalist Mario Kottkamp brachte bei Sport 1 diese Einwände und das unterschwellige Gefühl, dass die Corona-Politik kaum etwas mit der Pandemie-Entwicklung zu tun hat, sondern nur mit politischen Darstellungsfragen der politischen Akteure, auf den Punkt:
Müssen wir in Deutschland nicht unsere Einstellung zum Virus ändern? Müssen wir hier in Deutschland nicht akzeptieren, dass das Virus da ist. Und es so machen, wie es die Engländer machen: Sie achten darauf, dass die Krankenhäuser nicht voll laufen. Aber diese Zahlen, die wir hier jeden Tag um die Ohren gepfeffert kriegen, sind denen am Ende eigentlich relativ egal. Ist das eine Einstellungssache von uns? Ist es nicht so typisch deutsch, dass wir jeden Tag immer an Zahlen und an Regeln denken?
Mario Kottkamp
"Glauben Sie, dass das irgendeinem Spaß macht?"
Söder wollte das nicht gelten lassen und lästerte lieber über das Ex-EU-Mitglied: "Bei England wird einem manchmal schon ein bisschen mulmig. Die machen ein großes Experiment mit ihrer Bevölkerung. Mal schauen, wie das ausgeht. ... Ich will Großbritannien keinen Ärger machen, aber man wundert sich über manches."
Söder berief sich immer wieder auf den Expertenrat der Bundesregierung, man habe insgesamt immer gut reagiert.
"Glauben Sie, dass das irgendeinem Spaß macht? Wir greifen ständig ein in Bereiche, von denen ich früher gar nicht wusste, dass das politisch überhaupt geht. Ich hätte nie gedacht, dass das die Politik überhaupt entscheiden kann."
Zugleich habe er die Spaltung der Gesellschaft noch nie so stark erlebt, wie jetzt. "Wir müssen alles dafür tun, neben der medizinischen auch eine psychologische und soziale Situation wieder zusammen zu führen. Die Gesellschaft muss irgendwie wieder geheilt und versöhnt werden."