VG Wort und GoogleBooks
Überlegungen zur Verhandlungstaktik der VG Wort
Die Verwertungsgesellschaft VG Wort wird am 22. und 23. Mai beschließen, ob sie Verleger- und Autorenrechte im GoogleBooks-Vergleich (vgl. dazu Autorenrechte wahren gegen GoogleBooks) vertreten will. Wolfgang Schimmel, Sekretär im Fachbereich Medien der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), dem auch der Verband deutscher Schriftsteller angehört, ist juristischer Berater der BG I (Bildende Kunst) in der VG Wort. Weil er in der Arbeitsgruppe der VG Wort mitarbeitet, die sich mit dem Google-Settlement befasst, ist er ein kundiger Kenner der Materie. Telepolis sprach mit ihm.
Gibt es denn schon konkrete Ergebnisse der Arbeitsgruppe?
Wolfgang Schimmel: Nein, es geht langsam voran. Heute etwa haben wir das Problem der deutschen Autoren besprochen, die in den USA publiziert haben. Deren Werke wurden bei der VG Wort nie angemeldet. Aber auch für die Übersetzungen von deutschen Autoren, die in den USA veröffentlicht wurden, gibt es keine Erhebungen. Google hat für das Settlement eine Datenbank angelegt, für die sie auf alle möglichen Literaturdatenbanken zurückgegriffen hat.
Bei manchen Autoren gibt es nun Titel, die vier-, fünfmal angezeigt werden, oder ein und dieselbe Veröffentlichung, die aber nun mit unterschiedlichen Titeln angezeigt wird. Es ist also nicht einfach, die mit dem „Settlement“ aufgeworfenen Probleme zu lösen, konkret: Wessen Rechte können praktisch wahrgenommen werden und wie ist die Verteilung an die Berechtigten zu organisieren.
Lohnt es sich denn für die VG Wort überhaupt, sich mit dem Settlement zu befassen?
Wolfgang Schimmel: Es war von vornherein klar, dass man dieses Projekt angesichts der nicht absehbaren Finanzvolumina sehr sorgfältig behandeln muss. Trotzdem wird geprüft, ob es nicht möglich ist, den Wahrnehmungsberechtigten diese Leistung anzubieten. Bedenken Sie nur, dass allein bei der Einreichung eines US-Dollar-Schecks je nach Bank 5 Euro und deutlich mehr an Bankgebühren anfallen. Da ist ein kollektiver Einzug über die VG Wort mit einem Verwaltungsanteil von weniger als ein Prozent vorteilhafter.
Für die VG Wort ist das jedoch ein schwieriges Unterfangen. Es macht keinen Sinn pro Titel 120 Dollar aufzuwenden, um letztendlich nur 60 Dollar einzunehmen. Wie aufwändig es wird, hängt vom technischen System ab. Sollte sich zeigen, dass der Verwaltungsaufwand in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Einnahmen steht, wird die Mitgliederversammlung das bei ihrer Entscheidung sicher berücksichtigen. Es lohnt sich aber allemal zu prüfen, ob bei einem solchen Massengeschäft, die VG Wort nicht im Interesse der Wahrnehmungsberechtigten tätig werden kann. Genau das geschieht derzeit.
Viele Autoren sind der Meinung, dass das Angebot von Google wunderbar ist
Wäre es nicht doch einfacher gewesen, jeder Autor, jeder Verlag hätte sich selbst um das Settlement gekümmert?
Wolfgang Schimmel: Das bleibt jedem unbenommen. Einfacher wäre es aber wohl nicht – jedenfalls nicht für Autoren und Übersetzer, wenn sie Ihre Veröffentlichungen jetzt einzeln bei der Book Rights Registry anmelden müssten. Die VG Wort könnte das möglicherweise effizienter erledigen. Wir würden das aber im Interesse der Wahrnehmungsberechtigten sein lassen, wenn es ein Minusgeschäft wäre. Denn für eine Verwertungsgesellschaft ist es wichtig, sich nicht allzu sehr auf Tätigkeiten einzulassen, die unter dem Strich zu viel kosten und von der Wahrnehmung ihrer traditionellen Aufgabe zu viel Manpower abziehen. In diesem Fall lässt sich nicht genau abschätzen, ob es sich wirklich rechnen wird.
Die Unsicherheit liegt darin begründet, dass Google jenseits der 60 Dollar ein Volumen von 63 Prozent auf ungewisser Basis anbietet. Die einzige Information, die wir dazu haben, ist, dass Google erwartet, mit seinem eigenen Anteil von 37 Prozent noch einen Gewinn zu erzielen. Also gehen auch wir optimistischerweise davon aus, dass hinter den 63 Prozent schon nennenswerte Summen stehen.
Die VG Wort möchte das Recht haben, die Entfernung von sämtlichen vergriffenen Büchern verlangen zu können. Wird eine Entfernung der Digitalisate sofort stattfinden, wie es Verleger verlangen, oder wird dies individuell geregelt werden, wie es Autorenvertreter wollen?
Wolfgang Schimmel: Die Verlage haben klar das Interesse jede Vertriebsform, die nicht über sie läuft, zu lizenzieren. Sie wollen verhindern, dass Google über sein Portal Zugang zu Büchern ermöglicht und möglicherweise digitale Kopien verkauft. So eindeutig ist die Position der Verlage aber auch wieder nicht. Bekanntlich haben einige Verlage bereits mit Google Lizenzverträge abgeschlossen. Auch viele Autoren sind der Meinung, dass das Angebot von Google wunderbar ist, weil auf diese Weise auch die nicht lieferbaren Bücher am Leben bleiben. Es sind eher wenige Autoren, die der Meinung sind, dass alte Bücher auf keinen Fall verfügbar sein sollten.
Verlegerposition und die Interessen der Autoren
Aber es scheint so zu sein, dass die Verlagsposition sich durchsetzen wird?
Wolfgang Schimmel: Der Vorschlag, den die VG Wort bei ihrer Mitgliederversammlung Ende Mai zur Diskussion stellen wird, berücksichtigt die Verlegerposition, aber auch die Interessen der Autoren. Ziel der VG Wort ist es auch, dass die Bücher erreichbar bleiben, wenn die Autoren das wünschen. Deshalb soll zusammen mit der Anmeldung des Rechts auf Entfernung der Kopien aus der Datenbank Google das Angebot einer weltweiten Lizenzierung unterbreitet werden.
Die Verhandlungen dazu werden zeigen, ob das Recht auf Löschung der Digitalisate durchgesetzt wird, bevor es zu einer Einigung kommt. Im Falle einer Einigung wäre der Zugang nicht nur in den USA, sondern weltweit möglich, was sicher für viele Autoren wünschenswert wäre. Deshalb soll das Recht auf Entfernung geltend gemacht und gleichzeitig eine Lizenz angeboten werden.
Was bedeutet gleichzeitig? Eine Sekunde nach dem Removal? Oder Monate später?
Wolfgang Schimmel: Google hat bereits Interesse an einer Lizenzierung signalisiert. Damit besteht die Chance, dass die Bücher nicht aus der Google-Books-Datenbank abgezogen werden müssen. Es gibt auch die Möglichkeit, eine Exclusion einzufordern, das heißt, bestimmte Anzeigerechte auszuschließen. Das könnte eine Zwischenlösung sein. Aber wir sollten hier nicht den Verhandlungen vorgreifen, bevor die VG Wort überhaupt ein Verhandlungsmandat hat.
Bei der Lizenzierung werden derzeit zwei Stufen diskutiert: Bei lieferbaren Büchern könnte genehmigt werden, dass Google die digitale Kopie weiterhin zur Indexierung verwendet, aber nur die bibliographischen Daten und möglicherweise die Seitenangaben anzeigt. Bei vergriffenen Büchern könnten auch weitergehende Anzeigen, also Ausschnitte – „Snippets“ – oder ganze Seiten, gestattet werden, sofern die Berechtigten, also der Autor oder der Verlag oder beide zusammen, zustimmen.
Was die weitere Verwertung anbelangt, werden sich die Rechteinhaber, also Autoren und Verlage einigen müssen. Was geschieht, wenn eine Einigung nicht stattfinden kann?
Wolfgang Schimmel: Für Teil- und Vollanzeigen müssen die Rechteinhaber gemeinsam entscheiden. Möglicherweise sind in einem Vertrag die elektronischen Nutzungsrechte nicht berücksichtigt, dann kann der Autor darüber allein bestimmen. In manchen Verträgen besteht auch eine Mischlage, die bei einer Internetnutzung eine erneute Verständigung verlangt.
Das kann nur einzelvertraglich geregelt werden. Die VG Wort kann nicht für beide Seiten sprechen. Die Google-Book-Registry wird so verfahren, dass sie plausible Meldungen, die keinen Widerspruch enthalten, akzeptiert. Wenn sich beispielsweise für ein Buch eines einzigen Autors zwei Autoren melden, zahlt sie nichts. Bei widersprüchlichen Erklärungen müssen die Rechteinhaber also von sich aus eine Einigung herbeiführen.
Nichtkommerzielle Creative-Commons-Lizenzen und Google
Werden Autoren ihre Werke mit Creative-Commons-Lizenzen auszeichnen können? Welche Folgen hat das für die VG-Wort-Ausschüttung?
Wolfgang Schimmel: In der Regel dürften von Büchern, die etwa mit nichtkommerziellen Creative-Commons-Lizenzen versehen wurden, Online-Versionen bestehen. Deshalb stellt sich die Frage nach dem Settlement nicht, weil diese Werke ja der Allgemeinheit und damit auch Google im Volltext zur Verfügung stehen. Für die VG Wort stellt sich das Problem, ob für solche Dokumente noch Vergütungsansprüche geltend gemacht werden können. Denn wenn ich jede nichtkommerzielle Nutzung erlaube, kann es sein, dass ich damit auch beliebiges Kopieren erlaube. Entsprechend der BGH-Druckerentscheidung vom 6. Dezember 2007 (Az. I ZR 94/05) kommt dann die urheberrechtliche Schranke nicht mehr zu Tragen. Aber das ist juristisch höchst umstritten und liegt derzeit beim Bundesverfassungsgericht zur Prüfung.
Was wäre die Konsequenz, wenn sich etwa die Wissenschaftler darauf einigen würden, ihre von Google bereits gescannten Publikationen nurmehr unter nichtkommerzieller Lizenz zu veröffentlichen?
Wolfgang Schimmel: Das wäre das gute Recht der Wissenschaftler, die sich dazu entschließen – vorausgesetzt sie haben die fraglichen Rechte nicht schon einem Verlag eingeräumt. Ob damit allerdings die Nutzung durch Google genehmigt ist, scheint mir zweifelhaft. Google ist nämlich ein kommerzielles Unternehmen, das mit den neben der Trefferliste platzierten Anzeigen Einnahmen erzielt.
Der Wahrnehmungsvertrag der VG Wort enthält doch schon jetzt eine Regelung zur Digitalisierung von Veröffentlichungen. Danach kann die VG Wort die Online-Nutzung von Beiträgen lizenzieren, soweit ein Verlag die entsprechenden Rechte nicht direkt vom Autor erworben hat und der Verlag der Sammlung das Produkt selbst herausbringt oder seine Einwilligung zu dieser Nutzung gegeben hat. Kann man diese Regelung nicht übernehmen?
Wolfgang Schimmel: Diese Regelung, durch die die Digitalisierung speziell wissenschaftlicher Veröffentlichungen ermöglicht werden sollte, reicht hier nicht aus, weil sie bislang nur für Sammelwerke und vergriffene Bücher gilt. Die Nutzungen durch Google gehen aber weit darüber hinaus. Deshalb soll nach einer für diesen Fall passenden Lösung gesucht werden.
Wie handhabt die VG Wort das heute in der Praxis? Schüttet sie Vergütungen für Bücher mit nichtkommerziellen CC-Lizenzen aus?
Wolfgang Schimmel: Die VG Wort prüft nicht, unter welchen Lizenzbedingungen ein Buch veröffentlicht worden ist. Für gemeldete Buchveröffentlichungen erfolgt also eine Ausschüttung. Anders könnte es nach der erwähnten Entscheidung des BGH zur Vergütungspflicht auf Drucker bei Dokumenten sein, die unter CC-Lizenz im Netz stehen. Der BGH nimmt hier an, dass die Einwilligung des Urhebers in Vervielfältigungen einen Vergütungsanspruch, den die VG Wort geltend machen könnte, ausschließt. Aber hier ist das Ergebnis, wie gesagt, noch offen.
Verteilungsschlüssel zwischen Verlegern und Autoren
Wie wird zwischen Autoren und Verlegern die Aufteilung der Google-Entschädigung sowie die Beteiligung an künftigen Einnahmen diskutiert?
Wolfgang Schimmel: Das ist noch nicht einmal andiskutiert. Die Gremien der VG Wort werden einen Verteilungsschlüssel beschließen müssen. Es kann sein, dass man den herkömmlichen nimmt. Es kann aber auch sein, dass ein anderer Schlüssel beschlossen wird. Die Frage ist schon diskussionsbedürftig. Ein vergriffenes Werk etwa könnte anders behandelt werden als ein Werk, das noch im Verkauf steht. Bei einem vergriffenen Werk könnte man gut den Standpunkt vertreten, dass dem Autor mehr zusteht, da der Verlag keine Vertriebsleistung mehr erbringt. Umgekehrt könnte man bei den verfügbaren Werken argumentieren. Diese Frage stellt sich aber erst, wenn nach einer Änderung des Wahrnehmungsvertrags Zahlungen fließen. Erst muss der sprichwörtliche Bär gefangen sein. Aktuell ist noch nicht einmal die Bärenjagd beschlossene Sache.
Können Autoren unabhängig von ihrer Vertragsgestaltung die Entschädigungszahlung und die Beteiligung an den Werbeeinnahmen erhalten?
Wolfgang Schimmel: Davon ist auszugehen, da die VG Wort die Verträge gar nicht prüfen kann. Die Ausschüttungen der VG Wort erfolgen nach dem Verteilungsplan der Verwertungsgesellschaft und nicht nach individuell vertraglich vereinbarten Schlüsseln.
Darf die VG Wort die Rechteinhaber überhaupt vertreten? Könnte sich Google dagegen wenden?
Wolfgang Schimmel: Hierzu gibt es ein Rechtsgutachten einer internationalen Anwaltskanzlei. Die VG Wort kann danach als Inhaberin eines „US Copyright interests“ auftreten, wenn sie den Wahrnehmungsvertrag entsprechend ändert. Es gibt auch die Möglichkeit als „agent“, als Bevollmächtigter aufzutreten. Auch diese Möglichkeit kann sie nutzen. Bei Google dürfte es durchaus ein Interesse daran geben, die offenen Fragen mit einem Lizenzvertag zu klären, statt sich mit einer Vielzahl von Rechtsinhabern auseinanderzusetzen. Ob das alles aber wirklich geschieht, hängt von der Entscheidung der Mitgliederversammlung der VG Wort ab.