Vegansupermarktkette muss Filialen schließen
Viele Verbraucher lassen einer GfK-Studie zufolge nach einmaligem Probieren die Finger von Fleischersatzprodukten
Vor sechs Jahren eröffnete die Firma Veganz 2011 im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg einen "veganen Supermarkt". In den Jahren darauf kamen neun weitere über das Bundesgebiet verstreute Filialen dazu. Eine davon, die man in der Münchner Isarvorstadt eröffnet hatte, machte bereits im letzten Jahr zu. Anfang dieses Jahres folgte die Filiale in Frankfurt am Main. Nun prüft man bei weiteren sechs, ob sie sich in ein "neues Flagshipstore-Konzept überführen lassen" oder geschlossen werden.
Auf seinem Facebook-Profil erklärt das Unternehmen, für eine "Retailgesellschaft", zu der die sechs Filialen außerhalb Berlins gehören, ein "Planinsolvenzverfahren in Eigenregie initiiert" zu haben, das es "Unternehmen, die […] noch nicht insolvent sind, ermöglichen soll, […] Unternehmensteile zu sanieren". Vorher hatte der Online-Spiegel den Eindruck erweckt, die Supermarktkette habe als Ganzes Planinsolvenz angemeldet und bei mindestens vier Filialen stehe die Schließung schon fest.
Im Branchenblatt Lebensmittelzeitung schob Firmengründer Jan Bredack die Schuld für die Teilinsolvenz auf andere Supermärkte, die in den letzten Jahren ebenfalls vegane Lebensmittel in ihr Sortiment aufgenommen hätten. Solche Supermärkte und Gastwirte will er nun mit der Muttergesellschaft Veganz GmbH (die ihre Erlöserwartungen 2016 von 80 auf 56 Millionen Euro senken musste) und einer Veganz-Produktlinie als Großhändler beliefern.
Markt für Fleischersatzprodukte schrumpft seit dem Sommer
Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) hatte Ende letzten Jahres ermittelt, dass der Markt für Fleischersatzprodukte, der 2015 noch Zuwachsraten von über 50 Prozent verzeichnete, seit dem Sommer wieder schrumpft. Der GfK-Marktforscher Helmut Hübsch erklärte das damit, dass viele Verbraucher solche Produkte "ausprobiert", es aber "bei dem einmaligen Versuch belassen" hätten, weil sie "der Geschmack der Produkte offenbar nicht immer überzeugte". Darauf deute der "relativ hohe Anteil von Einmalkäufern" hin.
Hinzu kam, dass Untersuchungen der Stiftung Warentest und des zur Medien-Holding der SPD gehörenden Magazins Öko-Test den Glauben beschädigten, die Modelebensmittel seien allesamt gesund: Bei Öko-Test fiel fast die Hälfte von 22 nach Kriterien wie Schadstoffanteil, Fettanteil, Salzgehalt, Konsistenz und Geschmack getesteten Fleischersatzprodukte mit den Noten Mangelhaft und Ungenügend ganz durch und nur ein einziges wurde als "gut" befunden. Die Stiftung Warentest fand zwar sechs von 20 getesteten Fleischersatzprodukten "gut", warnte aber vor "trockenen", "sehr salzigen", "schwer zu kauenden" und mit Mineralölbestandteilen belasteten Angeboten, die "nicht per se kalorienärmer [seien] als die vergleichbaren Fleischprodukte".
Mit der Dauer einer Mode schwindet tendenziell ihr Distinktionsgewinn
Mit der Dauer einer Mode schwindet zudem tendenziell ihr Distinktionsgewinn, wie der Soziologe Pierre Bourdieu in seinem Hauptwerk Die feinen Unterschiede darlegt: Sie sickert dann nämlich von den oberen in die unteren Klassen, die sie imitieren - und eignet sich für oberen nicht mehr dazu, sich von den unteren abzugrenzen und demonstrativ zu unterscheiden.
Unterbrochen werden kann so ein Prozess allerdings, wenn eine Mode zur Religion wird: In Religionen halten sich Speisevorschriften durch gesellschaftliche Klassen hindurch und über sehr lange Zeit, wie der Hinduismus (der das Essen von Kühen verbietet), der Islam (bei dem das für Schweine gilt) oder bis vor Kurzem auch der Katholizismus mit seinen Fastenzeiten und fleischfreien Freitagen zeigten.
Veganismus erlaubt keine Mehlspeisen
Dass die katholische Kirche das Fleischverbot in ein allgemeines Verzichtsgebot änderte, hat möglicherweise auch damit zu tun, dass kreative Köche über die Jahrhunderte hinweg Speisen entwickelt hatten, die durchaus wohlschmeckender sind als viele Fleischgerichte. Die meisten davon sind sogenannte Mehlspeisen: Kaiserschmarrn, Apfelstrudel, Dampfnudeln, Erdäpfelmaultaschen oder Hollerkücherl (vgl. Veganismus als Kasteiung).
Für "vegane" Speisen dürfen allerdings weder Eier noch Milch und Milchprodukte oder Honig verwendet werden, weshalb alle oben aufgeführten wohlschmeckenden Mehlspeisen tabu sind. Was dann noch übrig bleibt - zum Beispiel Spinat (ohne Rahm), Hefeschmelz (als Käseersatz) oder veganer Leberkäs - bereitet vielen Menschen (vorsichtig formuliert) nur bedingten Gaumengenuss.
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