Verändertes Börsenklima

Nachhaltigkeit und Börsenwert klingen nach einem Widerspruch. Und tatsächlich: Nachhaltig wirtschaftende Unternehmen haben es selten leicht im Wertpapierhandel

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Es ist wie beim Wein. Steht Bio-Anbau auf der Flasche, machen die Konsumenten einen großen Bogen ums Regal, weil sie – oft zu Unrecht - einen sauren Tropfen befürchten. Viele Winzer verzichten deshalb auf das Öko-Label, selbst wenn ihr Wein aus biologischem Anbau stammt. Auch an der Börse haben es nachhaltige Wirtschaftsmodelle nicht immer leicht. Der Wertpapiermarkt belohnt Nachhaltigkeit nur in Ausnahmefällen. Allenfalls Firmen mit dezidiert nachhaltiger Ausrichtung, etwa Wind- oder Solarkraftunternehmen, können damit punkten.

Allen anderen empfehlen Experten: Besser erst gar nicht an die Börse gehen. Der Grund liegt darin, dass Anleger und Analysten im Quartalsbericht, den jede börsennotierte Aktiengesellschaft vorlegen muss, gute Neuigkeiten lesen wollen. Umsatz, Ausgaben und Gewinne sollen zu kletternden Aktien und satte Dividenden führen. Meist geht das mit Rationalisierungsmaßnahmen einher, Umstrukturierungen und Personalabbau: dem Gegenteil also von Nachhaltigkeit. Langfristigen Wachstumszielen steht der nervöse Quartalsbericht im Weg, denn die tauchen darin nicht auf.

Laute Marktgeräusche

Das könnte sich bald ändern. Immer mehr Konsumenten verlangen Nachhaltigkeit. Sie wollen „grüne“ Produkte, sozial verantwortliche Unternehmen und Transparenz in der Zulieferkette. Umstrittene Firmen wie Wal-Mart haben vorgemacht, dass sich nachhaltiges Wirtschaften selbst in weltweit agierenden Großunternehmen umsetzen lässt. Der amerikanische Einzelhandelskonzern – eher bekannt für rücksichtslose Geschäftspraktiken - legt seit letztem Jahr Wert auf eine „grüne Supply Chain“ und bemüht sich, die Entstehungsbedingungen seiner Produkte zurückzuverfolgen. Selbst Skeptiker anerkennen die Bemühungen, angesichts der schieren Größe und Marktdominanz von Wal-Mart.

Inzwischen haben auch Unternehmensberatungen wie McKinsey einen Trend zu langfristigen Unternehmenszielen ausgemacht. In einem Interview mit The McKinsey Quarterly sagte der ehemalige US-Vizepräsident und Klima-Aktivist Al Gore: „Ich glaube, dass Aufsichtsräte eine wachsende Verantwortung für solche Themen haben. Als Verwalter von Anlegerinteressen sollten sie sich eher auf die Zukunftsfähigkeit einer Firma konzentrieren als auf Marktgeräusche.“ Zusammen mit Al Gore plädiert auch David Blood, ehemaliger Hauptgeschäftsführer bei der Investmentbank Goldman Sachs, für ein Umdenken: „Investitionen in Nachhaltigkeit sind eine deutliche Bestätigung dafür, dass soziale, ökonomische, ökologische und ethische Faktoren unmittelbaren Einfluss auf die Geschäftsstrategie haben.“

Wertsteigerung durch Nachhaltigkeit

Auch hierzulande beginnt langsam ein Umdenken. Verbraucher und Unternehmen sind sensibler geworden. Weil die Zahl gesetzlicher Vorschriften und Regelungen etwa zum Klimaschutz ständig zunimmt, hängen oftmals auch das Image eines Unternehmens und die Reputation seiner Produkte von Nachhaltigkeitsaspekten ab. „Nachhaltiges Denken und Handeln führt zur Wertsteigerung eines Unternehmens“, versicherte Brigitte Falk vom Softwarehaus SAP unlängst auf einer Berliner Konferenz zum Thema Sustainability in der Informationswirtschaft. Laut Falk könnten langfristige Investitionen zwischen sechzig und achtzig Prozent der Wertschöpfung ausmachen.

Nachhaltigkeit und zukunftsfähiges Wirtschaften erschöpfen sich nicht allein in umweltbezogenen Investitionen. Gleichwohl spielen diese eine tragende Rolle. Nachwachsende Rohstoffe, effiziente Energieerzeugung und die Reduktion von Transport- und Infrastrukturkosten stehen dabei an erster Stelle. Gerade Unternehmen mit immensen Energiekosten, wie die kräftig wachsende Stahlbranche, haben ein natürliches Interesse daran, die Kosten zu senken. „Wettbewerbsvorteile entstehen durch Antworten auf die Problematik der endlichen Ressourcen“, erklärt Brigitte Falk.

Aber auch „weiche“ Faktoren wie Telearbeit und Teilzeitmodelle, Weiterbildung und Diversity Management, die sich günstig auf das Image und Binnenklima einer Firma auswirken, haben an einer längerfristigen Wertschöpfung teil. Der augenblickliche Fachkräftemangel ist nicht zuletzt ein Zeichen für nicht besonders nachhaltige Unternehmens- und Ausbildungspolitik.

Nachhaltige Urinale bei SAP

Einige Firmen haben das erkannt und steuern gegen. Bei SAP stehen die Zeichen auf langfristige Investitionen. Das Unternehmen unterstützt die Klimaschutzerklärung der Vereinten Nationen und bezieht seinen Strom aus Photovoltaik-Anlagen und einem eigenen Blockkraftheizwerk. Arbeitszeitkonten und Home Office gehören genauso zur nachhaltigen Firmenpolitik wie technische Innovationen wie mit Nanotechnologie veredelte Urinale, die ganz ohne Wasser auskommen.

Bei Motorola haben Klimaschutzerwägungen und Nachhaltigkeit eine lange Tradition. Seit zwölf Jahren unterhält der Konzern ein Umweltlabor in Taunusstein, wo Forscher an der Entwicklung umweltfreundlicher Produkte arbeiten, Ökobilanzen erstellen und die Rücknahme und Entsorgung organisieren. Seit seiner Firmengründung schwört Motorola seine Mitarbeiter auf einen ethischen Verhaltenskodex ein, zu dessen Bekenntnissen auch die Nachhaltigkeit gehört.

Unter IT-Firmen ist das Thema „Green IT“ fast schon ein geflügeltes Wort. Die CeBIT wird dazu im nächsten Jahr einen eigenen Schwerpunkt präsentieren. Auch wenn die Branche, wie Kritiker ihr vorhalten, durch eigenes Wachstum jegliche Nachhaltigkeit unterminiert, überzeugen Beispiele wie der Webhoster Strato, dem vergangene Woche der Berliner Umweltpreis des BUND verliehen wurde. Dreißig Prozent Energie konnte das Unternehmen in den letzten 18 Monaten pro Kunden einsparen, indem es auf besonders energieeffiziente Server umgestiegen ist. Zusätzlich will Strato ab 2008 seinen Strom aus Wasserkraft beziehen. Dass dies dem börsennotierten Mutterkonzern freenet AG geschadet hat, ist kaum anzunehmen.