Verbergen und Täuschen

Strategische Aufklärung über die Listen der Gegner

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Die USA sind militärisch, politisch und medial in ihrem Krieg gegen den Terrorismus in Not geraten. Wirkliche Erfolge stellen sich nicht ein, dafür aber wächst der Schaden, den das Image der Supermacht mit jedem weiteren Tag der Bombenangriffe nimmt. Nun hat die US-Regierung nicht nur eine Medienagentur damit beauftragt, für eine bessere Selbstdarstellung des Pentagon und der USA zu sorgen, sondern das Verteidigungsministerium versuchte letzte Woche den Journalisten auch einmal in einer Pressekonferenz zu demonstrieren, mit welchen perfiden nichtmilitärischen Mitteln der Gegner kämpft. Die eigenen Praktiken im Umgang mit der Öffentlichkeit wurden, wie es sich für Kriegszeiten oder Verteidigungsministerien gehört, allerdings nicht behandelt.

Der "Journalistenkurs" zum Thema der "Denial and Deception"-Technologien oder "D&D", der in Ansätzen schon fast philosophische Höhen erklomm, fand am 24. 10. in Washington statt. Recht geheimnisvoll ging es bei diesem Hintergrundbriefing zu, denn es waren keine Kameras und keine Rekorder erlaubt und der Vortragende trat lediglich als "senior defense official" auf. Dafür weihte er die anwesenden Journalisten in die zwar schon alten, aber im Informationszeitalter immer wichtigeren Grundzüge der "D&D"-Techniken ein.

Beispiele wurden nicht nur von den Taliban gegeben, sondern auch von den Irakern und den Serben, die bereits die Effizienz der Luftangriffe herabzusetzen suchten und den Schwerpunkt auf die Verluste unter den zivilen Opfern legten. Kurz zuvor hatte die späte Erkenntnis des an sich den Medien abholden Taliban-Regimes, doch im Zuge der von bin Ladin mit seinen Videos eingeleiteten Propagandastrategie ähnliches zu versuchen, zumindest einen gewissen Erfolg. Wie schon im Golfkrieg und im Kosovokrieg ist es die erklärte Strategie des US-Militärs, mit genauen Angriffen von Flugzeugen oder Raketen nur militärische Ziele treffen zu wollen. Jeder verletzte oder getötete Zivilist und jedes beschädigte zivile Gebäude weist als deswegen so bezeichneter "Kollateralschaden" nicht nur auf die technischen Mängel hin, sondern dient auch als Widerlegung der erklärten Intention, nur die Terroristen und die bewaffneten Taliban zu bekämpfen. Dabei kommt es gelegentlich schon einmal zu seltsamen Versuchen der Erklärung. So sagte Victoria Clarke, eine Sprecherin des Pentagon, am 29.10., dass die Bombardierung der Lager des Roten Kreuzes am Wochenende "rein zufällig" geschehen sei und es sich um eine "andere Art von Fehler" gehandelt habe als bei der Zerstörung eines Gebäudes der UN zu Beginn des Monats. Die Information sei dieses Mal nämlich unvollständig gewesen. Man habe gewusst, dass es sich um Lager handelt, aber nicht, dass sie dem Roten Kreuz gehören.

Der Auslöser für den Journalistenkurs war aber die Propaganda-Aktion der Taliban. Mitte Oktober führten die Taliban Journalisten großer westlichen Medien zu dem angeblich von US-Bomben zerstörten Dorf Karam in der Nähe von Dschalabad, in dem es bis zu 200 Tote gegeben haben soll. Die Zerstörungen waren nicht zu übersehen, Tote und Verletzte wurden von den Journalisten auch gesehen, aber sie konnten natürlich nicht wirklich erkennen, ob dafür tatsächlich eine amerikanische Bombe verantwortlich war. Solche Szenarien, erfuhren die Journalisten nun, können inszeniert sein, manchmal seien auch Bombeninschläge von den Irakern oder Serben vorgetäuscht worden. In Afghanistan sei dies besonders schwer festzustellen, weil das Land schon vor den Bombenangriffen der USA aufgrund der 20 Jahre Krieg verwüstet gewesen sei. Allerdings häufen sich die Bilder von toten und verletzten Afghanen und vor allem von Kindern, die vornehmlich vom arabischen Sender al-Jazeera, der mit seinem Redaktionsbüro in Kabul gewissermaßen ein Nachrichtenmonopol aus dem Inneren des Landes besitzt, verbreitet werden und so Eingang auch in andere Medien finden.

Verteidigungsminister Rumsfeld betonte, man gehe "sehr vorsichtig" vor, um zivile Opfer zu vermeiden, nur würden dies die Taliban immer schwerer machen, da sie "systematisch Moscheen, Schulen und Krankenhäuser für Kommandoposten und Waffenlager verwenden." Auch Artillerie oder Panzer würden in die Nähe von Wohngegenden oder Schulen gestellt. Obgleich zunächst ein Vorwurf ob dieser Taktik herausgehört werden konnte, räumte der anonyme Offizier auf Nachfrage ein, dass dies ein ganz normales militärisches Vorgehen sei. Gerade für einen militärisch unterlegenen Gegner sind solche Schachzüge eine plausible Option, zumal die Angreifer nach der weitgehenden Ausschaltung der Flugabwehr nur noch wenig oder gar nichts mehr bei Luftangriffen zu befürchten haben. Tatsächlich wäre wohl kaum moralisch zu entscheiden, welche Strategie verwerflicher wäre: die bewusste Gefährdung von Zivilisten, indem militärische Ziele in der Nähe psotiert werden, oder das ebenfalls bewusst eingegangene Risiko, Zivilisten durch Bombardierung dieser Ziele zu töten.

Vor dem Angriff

Der hohe Pentagon-Offizier verwies beispielsweise auf ein Satellitenbild, auf dem sich ein Hubschrauber in der Nähe einer Moschee sehen ließ, die sich in einem Wohngebiet befand, das wiederum in der Nähe eines Flugplatzes lag. Das sei ganz klar eine Technik, um einen Kollateralschaden herbeizuführen und ein Medienereignis zu schaffen oder der US-Armee die Möglichkeit zu verwehren (deny), das Militärflugzeug zu zerstören. Auf den ersten Blick sehe alles eigentlich nach einem militärischen Gelände aus, schließlich gebe es auch auf US-Stützpunkten Kirchen, Wohngebäude etc., aber das sei eben eine Täuschung. In diesem Fall, andere wurden natürlich nicht erwähnt, konnte der Offizier die Erfolgsmeldung verkünden: "Der Hubschrauber wurde zerstört und die Moschee nicht beschädigt."

Aber zurück zu den "D&D"-Techniken, die Gegensätzliches bewirken sollen. Suchen die "Denial"-Techniken "das Wirkliche zu verbergen", so ist das Ziel der Täuschungstechniken, "das Vorgetäuschte zu zeigen". Versteckt werden so von den Taliban Panzer in Höhlen, Truppen in Wohngebieten oder Radiosender in Krankenhäusern. Es gibt aber auch das Verbergen von Informationen, was darin bestehe, Informationen über die militärische Stärke, den Zustand des Landes oder den Erfolg der feindlichen Angriffe auf das Land und dessen Infrastruktur zu kaschieren. Man könne aber auch "falsche Gebäude" errichten, um etwa die Geheimdienste in die Irre zu führen, die Satellitenbilder auswerten.

Obgleich sehr ähnlich, unterscheide sich aber Täuschung von den "Denial"-Techniken. Klassische Täuschungstechniken seien aufblasbare, aus der Ferne realistisch aussehende Flugzeuge oder Panzer, wie sie im Zweiten Weltkrieg, aber auch von den Irakern und Serben eingesetzt worden sind. Der hohe Offizier teilte freilich sicherheitshalber - Denial- oder Deception-Technik? - nicht mit, dass die Alliierten im Kosovokrieg vornehmlich solche serbischen Attrappen zerstört hatten, während die serbische Armee mit ihren wirklichen Fahrzeugen weitgehend ungeschoren davon kam.

Nach dem Angriff

Aber diese "präzisen Definitionen" der "D&D"-Techniken werden noch etwas komplexer. Wenn man sie nämlich als "Prozess" betrachtet, dann seien nämlich "Propaganda und Desinformation ein Produkt dieses Prozesses, in anderen Worten, ein Produkt, das die Information verbreiten soll, die etwas verbirgt, oder die vorgetäuschte Information, die fingiert wurde." Der Schnittpunkt aller dieser Techniken oder Prozesse ist beispielsweise die Inszenierung eines Ereignisses wie die Bombardierung von unschuldigen Zivilisten, um die öffentliche Meinung gegen die Angreifer, also in diesem Fall die USA, zu richten.

Besonders die Serben seien gut darin gewesen, Desinformationen auch über das Internet zu veröffentlichen. Die Gefahr besteht zumindest bislang bei den Taliban weniger, die die Verwendung des Internet noch kurz vor dem Angriff wie vieles andere verboten hatten. Gleichwohl warnte der Offizier davor, dass man dieses "neue Phänomen", "unmittelbar Informationen, gleich ob sie wahr oder falsch sind, weitergeben" zu können, immer mehr in den Krisen des 21. Jahrhunderts bemerken werde. Dem kann der Offizier, auch wenn das Pentagon ebenfalls das Internet benutzt, um Informationen und auch Mitschriften von Pressekonferenzen wie diese schnell zu veröffentlichen, offenbar nichts abgewinnen: "Und darin", so schließt er, "gibt es natürlich eine sehr gefährliche Dimension."

Insgesamt bedienen sich nur die Gegner der perfiden Taktiken der Täuschung und Desinformation, schließlich sei "Desinformation ein hässliches und schwieriges Wort, weil niemand gerne betrogen wird. Und ich weiß, dass Sie (die Journalisten) besonders ungern betrogen werden wollen. Auch wir wollen nicht betrogen werden, wenn wir Informationen betrachten. Aber das ist eine Waffe im Arsenal unseres Gegners." Natürlich ertragen die Journalisten eine solche Haltung nur schwer, da sie ja auch nur zu gut wissen, dass das Pentagon lediglich die Informationen und Bilder preisgibt, die ihm im Propagandakrieg Zuhause und im Ausland zweckdienlich erscheinen. Gefragt, welche "D&D"-Techniken das US-Militär einsetze, antwortete der hohe Offizier, dass er nicht das US-Militär studiere. Nach dieser Lektion in Sachen Aufklärung wird der Eindruck stärker, dass die USA den Propagandakrieg auch im eigenen Land verlieren werden, wenn die Öffentlichkeit weiterhin auf so naive Weise ganz im Stile der "D&D"-Technik unterrichtet wird.

Verteidigungsminister Rumsfeld versuchte am 1. November die aufkommende Kritik an dem militärischen Vorgehen auch in den USA zu begegnen, indem er auf frühere Kriege hinwies, die sich länger als der jetzige "neue Krieg" hingezogen haben. Den habe man schnell begonnen und sei jetzt in einer Phase, in der noch immer die Trümmer des WTC qualmen. Bislang hätten die "alliierten Streitkräfte" nach drei Wochen und drei Tagen 2.000 Einsätze geflogen, mehr als 300 Stunden Rundfunksendungen ausgetsrahlt und "erstaunliche" 1.030.000 Lebensmittelpäckchen für die hungernde Bevölkerung abgeworfen. Man habe Fortschritte in den angeblich gesteckten Zielen gemacht, die beispielsweise darin bestanden haben, den Taliban zu zeigen, dass die Beherbung von Terroristen ihren Preis habe, dass die Terroristen sich frei bewegen können, dass man Beziehungen zu den Oppositionsgruppen knüpft oder dass Lebensmittelpakete abgeworfen werden.

Der Krieg insgesamt sei auch nicht, so wiederholte Rumsfeld, mit einem Sieg über die Taliban und al-Qaida beendet. Nicht nur nationale Einheit, sondern entschlossener Wille sei nötig - und vielleicht auch ein nicht zu genaues Wahrnehmen des tatsächlich Geleisteten und Bewirkten, was der Verteidigungsminister allerdings medienkritisch verpackte: "In the end, war is not about statistics, deadlines, short attention spans, or 24-hour news cycles. It is about will - the projection of will, the clear, unambiguous determination of the President and the American people to see this through to certain victory."