Verborgene Ziele
Die Hauptbeute am Hindukusch sind für den Westen riesige Öl- und Erdgasvorkommen
"America's New War" hat auch alte Motive. In Zentralasien schlummernde riesige Vorkommen fossiler Brennstoffe dürften von den Industriestaaten im 21. Jahrhundert dringend benötigt werden. Afghanistan kommt so mit seiner zentralen Lage bei der geplanten Verlegung von Pipelines eine Schlüsselposition zu. Gleichzeitig forciert die Bush-Administration im eigenen Land entgegen aller umweltpolitischen Vernunft ihre Pläne zur ungehemmten Öl- und Gasförderung. Es geht darum, die Energieverschwendung durch mehr Autarkie bei der Energieversorgung zu sichern.
Die gegenwärtigen US-Luftschläge gegen die Fanatiker Bin Ladens und das Taliban-Regime sind nicht nur Mittel im Kampf gegen globalen Terror und fundamentalistische Unterdrückung. Dahinter stehen auch handfeste geopolitisch-wirtschaftliche Interessen. Denn Afghanistan ist arm dran, eigentlich aber kein armes Land.
Die Sowjets schätzten während ihrer Besatzungszeit in Afghanistan die reichhaltigen Erdgasreserven des Landes auf fast zwei Trillionen (eine 2 mit 18 Nullen) Kubikmeter. Die Erdölvorkommen wurden von sowjetischen Experten auf 95 Millionen Barrel (ein Barrel entspricht 159 Litern) beziffert. Dazu kommen etwa 70 Millionen Tonnen Kohle im Gebiet zwischen Herat und Badashkan. Mitte der 70er Jahre ging es der afghanischen Wirtschaft auch noch relativ gut. Man konnte den größten Teil seiner Erdgasförderung an die UdSSR verkaufen, die jährliche Förderung betrug bis zu 90 Millionen Kubikmeter. Der Guerillakrieg nach der sowjetischen Invasion Ende 1979 sowie jahrelange Bürgerkriegskämpfe nach dem Abzug der Roten Armee 1989 brachten jedoch die Industrie im kriegsgeschüttelten Land schrittweise zum Erliegen. Antikommunistische Mujaheddin und rivalisierende Warlords verübten Sabotageakte gegen die langen und schwer zu schützenden Pipelines. Damit platzten schließlich Anfang der 90er Verhandlungen über Energielieferungsverträge mit verschiedenen europäischen Staaten wie Ungarn oder Tschechien. Auch Abschlüsse neuer Lieferungsverträge mit Nachbarstaaten Aghanistans gerieten ins Stocken.
Erst 1999 begann unter dem Regime der Taliban die staatliche "Afghan Gas Enterprise"-Gesellschaft damit, eine Pipeline nach Mazar-I-Scharif zu reparieren. Die brachliegenden Erdgasvorkommen konzentrieren sich speziell auf mehrere Felder in der Umgebung der Stadt Sheberghan in der nördlichen Provinz Jowzjan.
Afghanistan ist aber nicht nur wegen eigener Bodenschätze, sondern auch wegen seiner zentralen Lage ein Schlüsselland. Nach einer Studie, die die konservative Denkfabrik Heritage Foundation im März 1999 dem US-Kongress präsentierte, verfügen die Nachbarländer und ehemaligen Sowjetrepubliken Kasachstan, Aserbaidschan, Turkmenistan und Usbekistan zusammen über ca. 15 Billionen Barrel Ölreserven. Die Erdgasvorkommen in der zentralasiatischen Region schätzt man auf mindestens neun Trillionen Kubikmeter. Ein gewaltiger Schatz und ein bedeutender Machtfaktor dazu. Gefördertes Öl und Erdgas werden jedoch für Zentralasien nur dann zum guten Geschäft, wenn die Rohstoffe die Kunden auch erreichen. Dazu werden Pipelines benötigt, die, soll das Gut zu den Häfen am Persischen Golf transportiert werden, schwerlich um das afghanische Staatsgebiet herumkommen.
Die Ankündigung der westlichen Allianz unter der Führung der USA, die Taliban zu stürzen und stabile demokratische (to whom it may concern) Verhältnisse in Afghanistan herzustellen, nährt besonders wirtschaftliche Hoffnungen des kalifornischen Konzerns UNOCAL. UNOCAL ist mit 46,5 Prozent an dem 1997 gegründeten Konsortium Central Asia Gas (CentGas) beteiligt, das eine Gaspipeline durch Afghanistan bauen will. Die Leitung sollte von den turkmenischen Ölfeldern Dauletabads durch Afghanistan bis nach Multan in Pakistan führen. Als Baukosten wurden knapp zwei Milliarden Dollar vorausberechnet. Die Partner von UNOCAL bei dem ehrgeizigen Vorhaben sind die saudische Delta Oil Company, Indonesia Petroleum (INPEX), die japanische ITOCHU, HYUNDAI aus Südkorea, die Regierung von Turkmenistan und die pakistanische Crescent Group. Optional sollte die Pipeline für weitere 600 Millionen Dollar sogar bis nach Indien, das mit seiner prosperierenden Wirtschaft mehr Rohstoffe ohnehin gut gebrauchen kann, verlängert werden.
Das Bürgerkriegschaos im Afghanistan der 90er verhinderte jedoch, dass aus den Plänen etwas wurde. Zudem war ja sehr ungewiss, wer tatsächlich Nutzen aus dem Projekt ziehen würde: Taliban, Nordallianz oder gar das einfache Volk? Nach den US-Angriffen mit Cruise Missiles auf Osama Bin Ladens Trainingscamps im August 1998 als Reaktion auf Terrorakte gegen US-Botschaften in Afrika legte die UNOCAL ihre Beteiligung an dem Pipeline-Projekt vorläufig auf Eis. Erst nach der Herstellung friedlicher stabiler Verhältnisse, die für Investitionen unabdingbar seien und der Einsetzung einer international anerkannten Regierung wolle man wieder an CentGas arbeiten, erklärte die UNOCAL damals.
Noch aber ist völlig offen, ob der Westen seine politischen und wirtschaftlichen Ziele in Zentralasien in absehbarer Zeit erreicht. Da die USA zusätzlich damit rechnen müssen, dass amerikafreundliche islamische Staaten in der ölträchtigen Golfregion sich zukünftig gegen sie wenden könnten, verfolgen sie speziell seit dem Amtsantritt des texanischen Ölbarons Bush eine Doppelstrategie. Die Furcht nach den Terroranschlägen vom 11. September wurde von den Republikanern im Kongress daher für ein äußerst umstrittenes Gesetzesvorhaben instrumentalisiert. Bush will ja die Energieproduktion auf allen Feldern steigern, um Engpässe für seine verwöhnten People zu vermeiden. Energiesparen kommt für God`s own Country, in dem es quasi Naturrecht ist, mit dem Auto zum Briefkasten zu fahren, nicht in Frage.
Der Bush-Plan schließt den Bau neuer Atomkraftwerke genauso ein wie verstärkte Öl- und Erdgasförderung. Das Repräsentantenhaus hat im August bereits Steuererleichterungen für Ölgesellschaften in Höhe von 33 Milliarden Dollar gebilligt. Im Naturschutzgebiet Caribou Calving Grounds/National Wildlife Refuge von Alaska sollen große vermutete Ölvorkommen abgebaut werden, auch wenn seltene Fauna und Flora dabei draufgehen. Die USA weigern sich einfach, die heraufziehende globale Klimakatastrophe zur Kenntnis zu nehmen, die ganz wesentlich von den Emissionen beim Verbrauch fossiler Brennstoffe angefeuert wird. Obwohl sie selbst immer stärker von Waldbränden, Wirbelstürmen und Überschwemmungen heimgesucht werden, setzen sie unbeirrt auf Öl und Gas.
Selbst bescheidenste Versuche gegenzusteuern, wie die Umsetzung des Kyotoprotokolls von 1997 werden von den Amerikanern torpediert. Wenn sie nicht umdenken, nutzt den restlichen 5,7 Milliarden Erdbewohnern alles nichts. Böse Zungen bezeichnen daher die Vereinigten Staaten heute als umweltpolitischen Schurkenstaat. Und wenn ein Schurkenstaat aus energiewirtschaftlichen Gründen den ersten Krieg des neuen Jahrhunderts gegen einen ideologischen Schurkenstaat führt, könnte das auch ein Ausdruck eines Zeitenwandels sein.