Vereiste Fronten: Wettstreit zwischen russischen und Nato-Militärs in der Arktis nimmt zu

Ein Soldat der norwegischen Armee verlässt einen US-Helikopter in Setermoen, Norwegen, 15. März 2022. Bild: William Chockey / U.S. Marine Corps

Russland steigt aus Barentssee-Rat aus, der Arktische Rat liegt auf Eis. Seit dem Ukraine-Krieg ist Großmachtkonkurrenz und Militarisierung in. Das birgt vielfältige Risiken im hohen Norden.

Russland hat sich offiziell aus dem Euro-arktischen Barentssee-Rat (BEAC) zurückgezogen. Das ist der jüngste Schlag gegen die Aussichten auf eine weitere Zusammenarbeit in der Arktis, da die Beziehungen zwischen Moskau und den westlichen Hauptstädten 18 Monate nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine auf einen neuen Tiefpunkt gesunken sind.

"Unter den gegenwärtigen Bedingungen sehen wir uns gezwungen, den Rückzug der Russischen Föderation aus der Barents Euro-Arctic Cooperation (BEAC) anzukündigen", erklärte das russische Außenministerium in einem Statement.

Ausgelöst durch das Verhalten der westlichen Mitglieder (Dänemark, Island, Norwegen, Finnland, Schweden, EU) sind die Aktivitäten des Rates seit März 2022 praktisch lahmgelegt. Die finnische Präsidentschaft hat es versäumt, die für Oktober 2023 vorgesehene Übertragung des BEAC-Vorsitzes an Russland zu bestätigen, was gegen das Rotationsprinzip verstößt und die notwendigen Vorbereitungen behindert,

… heißt es in der Erklärung weiter.

Mark Episkopos ist Professor für Geschichte an der Marymount University in den USA.

Russland wurde in der Anfangsphase seines Einmarsches in die Ukraine im Jahr 2022 informell aus dem BEAC entlassen, ein Gremium, welches sich unter anderem mit dem Umweltschutz, den Rechten indigener Völker, dem Naturschutz und der nachhaltigen Bewirtschaftung von Waldressourcen befasst.

Eine ähnliche Situation spielt sich im Arktischen Rat ab, dessen sieben andere Mitglieder – Kanada, die Vereinigten Staaten und die fünf nordischen Staaten – im März 2022 ankündigten, dass sie nicht unter russischem Vorsitz tagen oder an Projekten arbeiten werden, die Russland, den größten geografischen Akteur der Region, betreffen.

Das BEAC und der Arktische Rat, die 1993 bzw. 1996 gegründet wurden, spiegelten einen einmaligen, optimistisch-stimmenden Moment in den russisch-westlichen Beziehungen wider. Als der Kalte Krieg Ende 1991 beendet erschien, herrschte unter den ehemaligen Rivalen des Kalten Krieges ein beinahe Millenniums-Gefühl, dass nichts die junge Russische Föderation davon abhalten würde, sich mit dem Westen zusammenzutun, um eine bessere Welt zu schaffen.

Viele dieser multilateralen Institutionen, die auf dem Höhepunkt der russisch-westlichen Beziehungen gegründet oder erweitert wurden, haben durch die jahrzehntelang zunehmenden Spannungen an Wirksamkeit verloren und sind nach dem Ukraine-Krieg an ihre Grenzen gestoßen.

"Zusammenarbeit basiert auf Werten und auf Vertrauen. Und heute gibt es kein Vertrauen", sagte der finnische Diplomat Jari Vilén laut dem Barents Observer. Westliche Regierungen haben im Einklang mit Viléns Argumentation versucht, Russland aus multilateralen Organisationen auszuschließen und als Teil ihrer Strategie des maximalen Drucks gegen Russland dessen Rolle in allen etablierten Foren für internationale Zusammenarbeit zu marginalisieren.

Sicherlich besteht das Problem nicht nur darin, dass Russlands Kaltstellung das BEAC lahmgelegt hat und den Arktischen Rat - eine Organisation, die Projekte auf Konsensbasis verfolgt - effektiv paralysiert. Arbeiten, die ohne russische Beteiligung nicht durchgeführt werden können, einschließlich wichtiger Umwelt- und Klimaüberwachungsinitiativen, wurden auf unbestimmte Zeit ausgesetzt, mit all den vielfältigen Konsequenzen, die das mit sich bringt.

Wachsende Konfrontation statt Kooperation

Doch es gibt noch einen noch schwerwiegenderen langfristigen Preis, der zu berücksichtigen ist. Multilaterale Organisationen können in einem vertrauensarmen oder feindseligen Umfeld besonders nützlich sein, da sie als Plattformen zur Steuerung der Konkurrenz, zum Reduzieren destabilisierender Verhaltensweisen und zur Förderung des Dialogs über Themen dienen, bei denen eine begrenzte Zusammenarbeit von gegenseitigem Nutzen sein kann.

Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) von 1973, aus der eine Reihe von Leitprinzipien hervorging, die 1975 in den Helsinki-Vereinbarungen formuliert wurden, war eine wesentliche außenpolitische Errungenschaft der USA, die von einer ähnlichen Art von sukzessivem institutionellem Denken getragen wurde. Die Mitgliedschaft Moskaus im BEAC und im Arktischen Rat war für den Westen eine Möglichkeit, die russischen Aktivitäten zu überwachen und in Schach zu halten.

Die Einbindung Russlands in mehrheitlich westliche Institutionen war alles andere als eine Belastung, sondern brachte erhebliche strategische Vorteile mit sich. Sie schuf Systeme der regionalen Zusammenarbeit, die Russland einschränkten und dem Westen langfristig zugutekamen, indem sie Moskau einen Anreiz boten, sich gegenüber westlichen Staaten und Institutionen konstruktiv zu verhalten und gleichzeitig die Möglichkeiten für destabilisierendes Verhalten verringerten.

Nun treibt Russlands anhaltende Isolation von regionalen und anderen multilateralen Organisationen das Land dazu, nach alternativen Vereinbarungen zu suchen, die westlichen Interessen in der Arktis schaden können. Russland hat auf das westliche Embargo für die arktische Zusammenarbeit reagiert, indem es seine arktische Partnerschaft mit China vertieft hat – eine Lücke, die Beijing (Peking) nur allzu gerne füllt.

Russland setzt seine Pläne für eine Brics-Forschungsstation auf der arktischen Inselgruppe Spitzbergen (norwegisch: Svalbard) fort, was Moskaus breitere Strategie widerspiegelt, die Auswirkungen der westlichen Sanktionen durch die Vertiefung seiner Zusammenarbeit mit nicht-westlichen Akteuren auszugleichen.

Noch alarmierender ist, dass Moskau und Beijing in der nordwestrussischen Stadt Murmansk ein Memorandum über eine Sicherheitskooperation in der Barentssee und den arktischen Gebieten zwischen russischen und chinesischen Küstenwacheeinheiten unterzeichnet haben. Die Isolierung Russlands hat China die Möglichkeit eröffnet, sich als "nahe-arktischer Staat" zu etablieren – ein Ergebnis, das der Kreml vor den neuen geopolitischen Gegebenheiten, die nach dem März 2022 entstanden sind, mit Sorge betrachtet hätte.

Russland nimmt etwa die Hälfte der Arktis ein und verfügt über 53 Prozent der Küstenlinie des Arktischen Ozeans. Die derzeitige Isolierung Moskaus von regionalen Organisationen kann nichts an der grundlegenden Tatsache ändern, dass Russland ein wichtiger Akteur im hohen Norden ist und bleiben wird. Auch die Nato-Bewerbungen Finnlands und Schwedens haben dazu beigetragen, dass Russland seine Interessen in der Arktis zunehmend unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit betrachtet.

Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass Moskau seine militärische Präsenz in der Arktis allmählich ausbaut und in Radarstationen, Start- und Landebahnen und andere Infrastruktur investiert. Diese Maßnahmen werden von einem Anstieg der Nato-Bewegungen begleitet und tragen zu einem Kreislauf der Militarisierung bei, der die Sicherheit der Bewohner der Region beeinträchtigt.

Die Gesamtwirkung dieser Entwicklungen ist ebenso bedrohlich wie eindeutig: Der Hohe Norden, der einst als Musterbeispiel für grenzüberschreitende Zusammenarbeit für den Rest der Welt galt, hat sich in den letzten 18 Monaten in einen weiteren Schauplatz des Wettbewerbs zwischen Großmächten verwandelt.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Magazin Responsible Statecraft und findet sich dort im englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.

Mark Episkopos ist Professor für Geschichte an der Marymount University in den USA. Er forscht über Fragen der nationalen Sicherheit und schreibt über internationalen Beziehungen.