Verfassungsschutz NRW zum Linksextremismus

Das Problem sei eine angeblich "zunehmende Gewaltbereitschaft und die Akzeptanz dieser Gewalt durch große Teile der Bevölkerung"

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NRW-Innenminister Herbert Reul hat ein Feindbild - die Linksextremisten und besonders diejenigen, die im Gebüsch des Hambacher Fortes in den Bäumen rumhängen, um selbige vor den Männern mit der Motorsäge zu bewahren. Das Problem ist in seinen Augen, dass viele Menschen, die ja selbst nicht radikal oder extremistisch seien, den Linksextremen auf den Leim gingen.

Dagegen müsse nach Auffassung des möglicherweise unterbeschäftigten Landesinnenministers dringend etwas getan werden. Und so kam es, dass die Abteilung Verfassungsschutz im NRW-Innenministerium am 5. November 2018 erstmals ein Symposium zum Thema "Linksextremismus - Grenzlinien zwischen legitimem Protest und Dimensionen der Gewalt" durchführte.

Herbert Reul ließ es sich trotz starker Erkältung nicht nehmen, die Eröffnungsrede zu halten. Er freue sich, dass so viele gekommen seien. Tatsächlich waren es mindestens hundertfünfzig Teilnehmer, darunter viele höhere Polizeibeamte aus NRW, vom Bundeskriminalamt sowie Mitarbeiter des NRW- Landesamtes für Verfassungsschutz sowie des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Mit diesem Symposium betrete man Neuland, so Reul. 20 Jahre nachdem die RAF im April 1998 die Einstellung ihres Kampfes verkündet habe, finde dieses Fachgespräch statt. Sein Ministerium sei "auf keinem Auge blind", man befasse sich auch mit den Linksextremisten, zu denen die Autonomen gehörten.

Diese seien erstmals im April 1980 beim Protest gegen das Bundeswehrgelöbnis im Bremer Weserstation aufgetreten. Reul meint offenbar den 6. Mai 1980, denn da fand der zu einer großen Straßenschlacht mit der Polizei eskalierte Protest vor dem Weserstation statt.

Beim G20-Gipfel in Hamburg 2017 seien Linksextremisten "plündernd und marodierend durch Hamburg gezogen". Tatsächlich ist die Frage, ob die Plünderungen auf das Konto der Autonomen gehen, keineswegs geklärt. Mitten im allgemeinen Chaos sollen beispielsweise Gruppen von Jugendlichen die Gunst der Stunde zu Plünderungen genutzt haben. Reul zufolge schaffen es die Autonomen immer wieder, für ihre Inhalte Zustimmung in der Zivilgesellschaft zu finden.

Reul betonte immer wieder, dass gerade im Hambacher Forst ganz viele Linke seien, denen es gar nicht in erster Linie um den Klimaschutz gehe, sondern die den Kapitalismus abschaffen wollten. Die würden das auch genau so sagen. Deren Motto laute "System change - not climate change".

Und hinter dieser Parole würden dann auch bürgerliche Klima-Schützer herlaufen. Der bürgerliche Protest zur Rettung des Hambacher Forstes würde von den Linken instrumentalisiert. Als Beweis für die hemmungslose linksradikale Gewalt in Hambach dienten Fotos, die mit Dreck und Kot beschmutze Polizeiuniformen zeigte. Reul sprach von "menschenverachtenden Straftaten". In anderem Zusammenhang hatte der CDU-Minister sogar den bisher nicht vollständig aufgeklärten Tod eines Journalisten als Beweis dafür genommen, wie gewalttätig die Demonstranten seien. Reul sagte: "Es gab bereits einen Toten".

Burkhard Freier, seit 2012 Leiter des NRW-Verfassungsschutzes nannte ebenfalls die angeblich "zunehmende Gewaltbereitschaft und die Akzeptanz dieser Gewalt durch große Teile der Bevölkerung" als wichtiges Problem. Die Zahl der Gewalttaten sei innerhalb von 10 Jahren verdoppelt von 500 auf 1000 Taten im Jahr. Bei den Autonomen sei eine zunehmende Vernetzung feststellbar. Dies sei erstaunlich, denn die Autonomen wollten ja keine Hierarchien. Sie gingen davon aus "dass alle Menschen gleich" seien.

Der Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke bezeichnet in seinem Vortrag den weit verbreiteten Legitimationsverlust der Politik als eine Gefahr für die Demokratie. Als brennende Themen nannte er die Wohnungspolitik, soziale Ungerechtigkeiten, unterbezahlte Arbeit, Integration und die ungeregelten Kapitalmärkte. Es gäbe deutliche Versäumnisse der Politik und dadurch einen massiven Legitimationsverlust. Dem könne man nur begegnen, wenn man erst mal eine gute Politik mache.

Drei Panels widmeten sich den Themen "Legitimation von Gewalt", "Linksextremismus und ziviler Ungehorsam" sowie "Autonome Szene und Gewalt". Zum letzten Thema referierte Tom Mannewitz von der Technischen Universität Chemnitz. Er beklagte die sehr dünne Datenlage, denn anders als Rechtsradikale oder Islamisten würden Linksradikale gegenüber staatlichen Stellen, und dazu zählt sich dieser Wissenschaftler, keine Auskünfte geben.

Vielleicht liegt das auch daran, dass Rechtsextremisten großenteils vom Verfassungsschutz finanziert wurden und wahrscheinlich auch weiterhin werden. Viele Menschen würde sicher gerne mal ein Gespräch mit ihrem Geldgeber führen. Offenbar verfügt auch der Verfassungsschutz über keine nennenswerten Erkenntnisse über Linksextremisten.