Verfassungsschutz ein bisschen abschaffen
Grüne und Linke legen Vorschläge zur Veränderungen vor und sprechen sich gegen die geplante Ausweitung der Befugnisse des Bundesamtes aus
Die Große Koalition will als Konsequenz aus der im Zuge der NSU-Untersuchungen bekannt gewordenen systematischen Finanzierung und Unterstützung von zumindest gewaltbereiten Neonazis und deren Strukturen, den Verfassungsschutz noch weiter aufrüsten. Sie plant, die "Zentralstellenfunktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) innerhalb des Verfassungsschutzverbundes gesetzlich auszuformen" und speziell die IT-gestützte Analysefähigkeit auszubauen (Wer schützt uns vor dem Verfassungsschutz?). Mehr Personal, mehr Befugnisse und noch mehr Geld für das sogenannte Bundesamt für Verfassungsschutz und den BND. Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll, so ein Vorwurf der Grünen, "nun sogar durch verdeckte Ermittler und V-Leute selbst Straftaten begehen dürfen". CDU/CSU und SPD wollen das bereits Anfang Mai beschließen.
Grüne und Linke fordern dagegen die Abschaffung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, zumindest in seiner heutigen Form. Begleitend zum Gesetzentwurf der Regierungskoalition haben sie zwei Anträge vorgelegt. "Für seine Zäsur und einen Neustart in der deutschen Sicherheitsarchitektur" ( BT-Drs. 18/4690) haben die Grünen ihren Text überschrieben und die Linken wollen "Wirksame Alternativen zum nachrichtendienstlich arbeitenden Verfassungsschutz schaffen" (BT-Drs 18/4682).
Die Linken möchten das Verfassungsschutzamt durch eine aus Artikel 87 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes legitimierte "Zentralstelle zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes" ersetzen. Außerdem fordern sie eine neu einzurichtende "Bundesstiftung zur Beobachtung, Erforschung und Aufklärung aller Erscheinungsformen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit". Diese Bundesstiftung soll wissenschaftlich arbeiten.
Die Zentralstelle soll, so wie ursprünglich von den Autoren des Grundgesetzartikels gewollt, "eine ministerial freie Koordinierungsstelle" sein, die lediglich "über umstürzlerische Tätigkeiten für Zwecke des Verfassungsschutzes Unterlagen sammelt", ohne eigene Exekutivbefugnisse zu haben. Sie soll schon gar nicht die Erlaubnis "zur geheimen Informationsbeschaffung oder gar Weisungsrechte gegenüber den Ländern" erhalten.
Verfassungsschutz abschaffen - aber nur ein bisschen
Im Antrag der Grünen heißt es: "Das Bundesamt für Verfassungsschutz wird in seiner jetzigen Form aufgelöst." Eine erfreulich klare Aussage - sie wird aber gleich im nächsten Satz relativiert. "Hinsichtlich verbleibender nachrichtendienstlicher Aufgaben und Befugnisse tritt an seine Stelle eine neue 'Inlandsaufklärung' mit einem verkleinerten Personalstab und neuem demokratischen Selbstverständnis sowie klar eingegrenzten Befugnissen. Ihre Aufgaben konzentrierten sich auf die Spionageabwehr und die Aufklärung genau bestimmter gewaltgeneigter Bestrebungen." Also Verkleinerung statt Auflösung.
Der Militärische Abschirmdienst hingegen könnte nach Ansicht der Grünen richtig "aufgelöst" werden. Dessen bisherige Aufgaben sollen - soweit noch relevant - samt Personal auf "andere Sicherheitsbehörden übergeleitet werden." Die Analyse der Erkenntnisse aus den bisherigen Untersuchungen und geforderte Konsequenzen daraus gehen bei den Grünen ziemlich weit auseinander. So stellen sie fest:
Die Nachrichtendienste haben im Zusammenhang mit der Beobachtung, Analyse und Reaktion auf rechtsextremistische und rechtsterroristische Bestrebungen im Kontext des NSU dramatisch versagt. Der Einsatz von V-Leuten hat die rechtsextreme Szene eher gestärkt und der Verdacht der Verstrickung von Verfassungsschutz und rechtsextremistischer Szene hat sich verfestigt...
Dennoch fordern sie, dass lediglich "der Einsatz von V-Leuten in der rechten Szene, der sich als desaströs, nutzlos und kontraproduktiv erwiesen hat, umgehend beendet wird". Der sonstige Einsatz von V-Leuten in anderen Bereichen, denkbar etwa gegen Linke (Wer schützt uns vor dem Verfassungsschutz?) oder im aktuellen Kampf gegen Islamisten, soll lediglich "einer unabhängigen wissenschaftlichen Evaluierung unterzogen werden."
Keine Straffreiheit mehr für Schlapphüte
Auch den weiteren Einsatz verdeckter Mitarbeiter der Nachrichtendienste wollen die Grünen nicht etwa beenden, sondern sie verlangen, dass dieser künftig nur "in engen gesetzlich und rechtsstaatlichen Grenzen erfolgt." Straftaten, so die Grünen müssen Straftaten bleiben und strafrechtlich verfolgt werden, "auch wenn sie von verdeckten Mitarbeitern im Einsatz begangen werden". So könnte man einigen Verfassungsschutz-Mitarbeitern sicher den Spaß verderben.
Weiterhin verlangen die Grünen, dass Nachrichtendienstmitarbeiter, zu deren Alltag nun mal verschleiern und lügen gehört, im Bundestag zumindest gegenüber der G10-Kommission und dem Parlamentarischen Kontrollgremium künftig nur noch die Wahrheit sagen. Außerdem soll der BND die verfassungswidrigen Praktiken beenden, personenbezogene Daten aus der Internet- und Telekommunikationsüberwachung an ausländische Nachrichtendienste zu übermitteln.
Bei der Abwehr der terroristischen Bedrohungen müsse der Schwerpunkt auf eine personell wie technisch solide und gute ausgestattete Polizei gelegt werden. So die Grünen.
Verfassungsschutz war Motor des sicherheitspolitischen Debakels
Die Linken ziehen aus den bisherigen Erkenntnissen der NSU-Untersuchungen die Schlussfolgerung, dass der "nachrichtendienstlich arbeitende Verfassungsschutz Herz und Motor des sicherheitspolitischen Debakels im Zusammenhang des NSU war". Als Konsequenz daraus fordern sie den Bundestag auf, "für eine Auflösung des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes eintreten".
Von der Bundesregierung wird verlangt, ein Gesetz vorlegen, um das Bundesamt für Verfassungsschutz in seiner jetzigen Form aufzulösen und in eine durch Bundesgesetz zu errichtende "Koordinationsstelle des Bundes zur Dokumentation gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" umzuwandeln. Eine ersatzlose Auflösung des Bundesamtes ist nach Auffassung der Linken nicht möglich, da in Artikel 87 Grundgesetz eine solche Einrichtung verlangt würde.
Humanistische Union möchte selbst die Verfassung schützen
In Kenntnis dieses juristischen Problems fordert etwa der Vorsitzende des Republikanischen Anwältinnen und Anwälte Verein (RAV), Martin Heiming, die Abschaffung des Verfassungsschutzes (Beginnt jetzt die Anti-Copy-Cat-Revolution?). Eine Forderung, die auch die Humanistische Union seit nun mehr über 20 Jahren erhebt und für deren Umsetzung sie weiterhin mobilisiert.
Die Humanistische Union begrüßte gegenüber Telepolis die Anträge der Grünen und Linken, formuliert aber auch Fragen und Kritik daran. So sieht Astrid Goltz, Leiterin der HU-Kampagne "ausgeschnüffelt - Verfassung schützen Geheimdienste abschaffen" Probleme in der praktischen Umsetzung des Vorschlags der Linken, das Bundesamt für Verfassungsschutz aufzulösen und durch eine Doppelstruktur "Koordinierungsstelle zur Dokumentation gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" und "Bundesstiftung zur Beobachtung und Erforschung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" zu ersetzen.
Die Doppelstruktur mit Koordinierungsstelle und Stiftung mute umständlich an, auch wenn sie der rechtlichen Situation Rechnung trage, dass das Grundgesetz die Einrichtung einer Zentralstelle vorsieht. Diese könne nicht durch eine Stiftung ausgefüllt werden. Außerdem soll der Informationsfluss von und zu (noch) bestehenden Landesämtern für den Verfassungsschutz möglich sein. Diese können nur auf Landesebene abgeschafft werden. An der Schnittstelle der Kommunikation zwischen Koordinierungsstelle und Behörden, die (noch) nachrichtendienstliche Mittel einsetzen, liege ein Problem, das der Vorschlag nicht praktikabel lösen könne. Weiter heißt es in der Stellungnahme der Humanistischen Union: "Im Antrag der Linken erfährt man leider nicht, ob das Geheimdienst-Personal in den zwei neu zu schaffenden Stellen eingesetzt wird. Aus unserer Sicht sollte dies ausgeschlossen sein…"
Der Antrag der Grünen bleibe im Vergleich zu dem der Linken vage. Dort würden keine konkreten Vorschlag ausformuliert, sondern viele Punkte aufzählt, die aus Sicht der Grünen verändert werden müssen.
Aus unserer Sicht geht der Vorschlag der Grünen nicht weit genug, das Bundesamt für Verfassungsschutz nur zu verkleinern und in "Inlandsaufklärung" umzubenennen. Aus unserer Sicht braucht es eine solche Behörde nicht. Denn sobald es sich um Straftaten handelt, ist schon heute die Polizei zuständig. Das gilt auch für Vorbereitungen für terroristische Handlungen (s. Memorandum "Brauchen wir den Verfassungsschutz? Nein!", Hrsg. Humanistische Union u.a.).
Astrid Goltz