Verfolgt, verhaftet und vergessen
Düstere Bilanz von "Reporter ohne Grenzen" zum internationalen Tag "Journalisten hinter Gittern"
Als der englischsprachige Service des arabischen Nachrichtenkanals Al-Dschasira in der vergangenen Woche seinen Sendebetrieb aufnahm, stand gleich am ersten Tag eine Dokumentation über Sami al-Hajj auf dem Programm. Der Kameramann des Senders war am 15. Dezember 2001 an der Grenze zu Afghanistan vom pakistanischen Geheimdienst festgenommen - und an das US-Militär ausgeliefert worden. Seit Juni 2002 ist er in dem berüchtigten Gefangenenlager Guantanamo Bay interniert. Al-Hajj ist einer von mindestens 129 Journalisten und Medienmitarbeitern, die nach Angaben der Organisation "Reporter ohne Grenzen" zurzeit weltweit in Haft sind. Viele von ihnen - so wie der Al-Dschasira-Mitarbeiter - ohne Anklage nach rechtsstaatlichen Grundsätzen und unter menschenunwürdigen Bedingungen. Bis heute sind viele Schicksale von inhaftierten Journalisten nahezu unbekannt.
Einen erschütternd traurigen Rekord hält der libysche Journalist und Schriftsteller Ali al-Sanussi al-Darrat, der 1973 von dem Gadaffi-Regime inhaftiert wurde. Seit Jahren gibt es keinerlei Nachricht über seinen Gesundheitszustand und Hinweise auf den Haftort. Es gibt nicht einmal verlässliche Informationen darüber, ob er überhaupt noch lebt, teilte der Verband Österreichischer Zeitungen anlässlich des internationalen Tages der Pressefreiheit im Mai dieses Jahres mit.
"Der Fall Al-Darrat ist symptomatisch für das Schicksal eines aus Gewissensgründen Inhaftierten, der von der Welt vergessen worden ist. In seinem eigenen Land ist es verboten, über den Fall zu sprechen", schreibt der algerische Journalist und Autor Hamid Skif. Er selbst war Opfer von Repressionen wegen seiner Schriften und seines entschiedenen Eintretens für die Meinungsfreiheit in seinem Heimatland. Inzwischen ist Skif nach Deutschland emigriert.
China ist das größte Gefängnis für Journalisten
Anlässlich des internationalen Tages „Journalisten hinter Gittern“ am 23. November macht Reporter ohne Grenzen (ROG) auf die weltweit inhaftierten Journalisten und Medienmitarbeiter aufmerksam. „Mindestens 129 Journalistinnen und Journalisten sind derzeit im Gefängnis, weil sie uns informieren wollten“, sagt Elke Schäfter, Geschäftsführerin der deutschen Sektion der internationalen Menschenrechtsorganisation. Seit Jahren ist die Volksrepublik China nach ROG-Angaben "das größte Gefängnis für Journalisten weltweit." Dort werden zurzeit 32 Journalisten festgehalten, einige von ihnen bereits seit mehr als 20 Jahren. In Kuba sind 23 Medienleute hinter Gittern, in Äthiopien 21, in Eritrea 13, in Myanmar sieben.
"Wer in diesen Ländern Demokratie und Menschenrechte einklagt oder über Korruption und Machtmissbrauch berichtet, riskiert seine Freiheit“, so Elke Schäfter. „Dabei sind die Anklagen oft vorgeschoben. Sie können ‚Gefährdung der inneren Sicherheit’, ‚Anstiftung zum Umsturz’, aber auch ‚Ehebruch’ oder ‚Homosexualität’ lauten.“ Geständnisse werden häufig unter Anwendung von Gewalt erpresst.
Die USA sind das einzige so genannte westliche Land auf der ROG-Liste, die insgesamt 24 Staaten umfasst. Neben dem Al-Dschasira-Kameramann Sami al-Hajj in Guantanamo wird seit August dieses Jahres auch der Blogger Josh Wolf in Beugehaft festgehalten, weil er sich der Anordnung eines Gerichts widersetzte, selbstgedrehtes Videomaterial von Demonstrationen gegen den G8-Gipfel letztes Jahr in San Francisco an die Ermittlungsbehörden herauszugeben. Wolf beruft sich auf das journalistische Recht zum Quellenschutz. Inzwischen wird er von mehreren Organisationen auch finanziell für seine Verteidigung unterstützt. Dennoch wurde sein Antrag auf ein neues Verfahren Mitte November vom zuständigen Berufungsgericht abgelehnt. Jetzt ist zu befürchten, dass Josh Wolf bis Juli 2007 in Haft bleibt - in einem Land, das bereits 1789 die Pressefreiheit in seine Verfassung aufgenommen hat.