Vergessene Träume in 3D
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Werner Herzog porträtiert in seinem Dokumentarfilm die Chauvet-Höhle
"Die Höhle der vergessenen Träume" des Filmemachers Werner Herzog ist in den USA bereits einer der erfolgreichsten Dokumentarfilme des Jahres. Der Zuschauer wird im Kino dreidimensional an den Ort gebracht, wo die Kunst begann - und den eigentlich nur eine Handvoll Wissenschaftler betreten dürfen.
Die Chauvet-Höhle hat die Forscherwelt durcheinander gerüttelt, dort wurden die ältesten Höhlenbilder in Europa gefunden, und die ersten Steinzeitkünstler malten mit erstaunlicher Perfektion und Lebendigkeit.
Der deutscher Autorenfilmer Werner Herzog war schon immer ein Grenzgänger, der die magischen Momente suchte und fand, um sie auf Zelluloid zu bannen. Seine größten Erfolge feierte er mit seinen an Originalschauplätzen gedrehten Filmen über besessene Ausnahmegestalten wie Aguirre, der Zorn Gottes oder Fitzcarraldo, in denen Klaus Kinski die Hauptrolle spielte. Dem exzentrischen Schauspieler, mit dem Werner Herzog kongenial zusammenarbeitete, und von dem er sagte, sie seien "zwei kritische Massen" gewesen, die beim Aufeinandertreffen "hochexplosiv" reagierten, widmete er seinen Dokumentarfilm Mein liebster Feind.
Der Name Werner Herzog steht für den Neuen deutschen Film, aber er ist auch ein sehr erfolgreicher Dokumentarfilmer, der sich stets für das Extreme und die Ausnahmeerfahrungen interessierte wie in Gasherbrum - Der leuchtende Berg, über eine der legendären Bergtouren von Reinhold Messner, oder Grizzly Man über Timothy Treadwell, der lang mit Grizzlys zusammenlebte und letztlich von einem Bären getötet wurde. Für Begegnungen am Ende der Welt, über Wissenschaftler in der Antarktis, gab es 2009 eine Oscar-Nominierung. Wie Herzog in seinen Texten über das Filmen1 schreibt, hat ihn stets das Aufspüren von "ekstastischer Wahrheit" mehr interessiert als das Abbilden von Wirklichkeit.
Dreidimensionale Herausforderung
Werner Herzog testet gerne Grenzen aus, das Experimentelle ist für ihn eine Herausforderung. Es passt zu ihm, dass er für den Film über die Chauvet-Höhle die 3D-Technik wählte, trotz der vielen Auflagen, die er beim Filmen in diesem Steinzeittempel berücksichtigen musste. Er erklärte dazu:
In dem Moment, wo ich die Höhle zum ersten Mal betreten konnte, war mir sofort klar, das ist ein Imperativ. Das muss in 3D gedreht werden, egal wie schwierig das wird. Denn wir hatten ja nur sehr kurze Zeit. Es war uns nur gestattet, uns sechs Tage dort aufzuhalten - jeweils vier Stunden pro Tag. Und ich konnte nicht mehr als drei Personen mitnehmen und nur das Gerät, das wir selbst tragen konnten. Da in 3D zu filmen, ist schon problematisch.
Die Schwierigkeiten der Rahmenbedingungen und die vielen Einschränkungen bei der Dreherlaubnis sieht man dem Film Die Höhle der vergessenen Träume an. Aber es war ja schon ein kleines Wunder, dass die Crew überhaupt eine Dreherlaubnis für März und April 2010 bekam. Vorher war es nur dem Dokumentarfilmer Pierre-Oscar Lévy erlaubt worden, bewegte Bilder in der Chauvet-Grotte zu drehen (Die Höhle von Chauvet).
Der französische Kulturminister intervenierte für Werner Herzog und stellte ihn pro forma für einen Euro am Tag an - wobei für den Regisseur die gleichen Bedingungen wie für die Wissenschaftler galten. So durfte auch das Filmteam die schmalen Metallstege nicht verlassen, die das Höhlensystem durchziehen. Die 3D-Kameras mussten für diesen speziellen Einsatz radikal umgebaut werden. Es entstand eine spannende, filmische Expedition in eine fantastische Tropfsteinhöhle mit unglaublich schönen, gemalten Botschaften aus der Altsteinzeit.
Der Dokumentarfilmexperte und Leiter des Internationalen Dokumentarfilmfestivals München, Daniel Sponsel, ist begeistert vom Resultat, weil der Film den Kinobesuchern die Tür zur Chauvet-Höhle öffnet, sie können die urgeschichtlichen Bilder betrachten, als würden sie selbst durch die Grotte gehen. Die Höhle ist ein Ausgangspunkt menschlicher Kulturgeschichte und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, nur im Kino kann sie besichtigt werden. Daniel Sponsel meint:
Werner Herzog setzt die 3D-Technik in diesem Film nicht immer optimal ein. Ein Beispiel dafür ist das Interview mit der Wissenschaftlerin, die wie eine Zwergin mitten unter den Zuschauern steht. Das wirkt wie ein Scherenschnitt. Aber natürlich darf man nicht vergessen, dass er bei den Drehbedingungen in der Höhle nicht viele Gestaltungsoptionen hatte, das schränkte natürlich auch die technischen Möglichkeiten stark ein. Und irgendwie passt das auch zu seiner Art, mit Dokumentarfilmen zu experimentieren und neue Wege zu gehen.
Tropfstein und Eiszeitpanoramen
An einem sonnigen Wintertag im Dezember 1994 durchstreifen die drei Freizeit-Forscher Jean-Marie Chauvet, Eliette Brunel Deschamps und Christian Hillaire wie schon oft zuvor die Ardèche-Schlucht in Südfrankreich auf der Suche nach unbekannten Höhlen. Sie sind ein eingespieltes, erfahrenes Team, das an diesem Tag einmal mehr nach Spalten im Fels sucht, durch die ein Luftzug nach außen dringt. Am Ende einer kleinen Höhle fangen sie an, sich durch einen Geröllhaufen zu graben, sie zwängen sich durch den engen Durchgang und steigen in ein Höhlensystem hinab, das sich als beinahe 500 Meter lang und extrem spektakulär erweisen wird.
Schon auf den ersten Blick sind sie von der geologischen Schönheit der Tropfsteinhöhle hingerissen: "Der Höhlenboden ist überzogen mit einem Film Tausender, winzig kleiner Wellen weiß funkelnder Kalzitkristalle", beschreiben sie rückblickend ihre ersten Eindrücke. "Wunderschöne durchscheinende Kalzitröhrchen hängen wie Engelshaar von der Decke ..." Im Schein ihrer Stirnlampen tauchen die ersten Malereien auf: "Alles ist beinahe zu schön, zu unberührt. Die Zeit ist (…) scheinbar spurlos vorüber gegangen, ganz so, als ob Zehntausende von Jahren, die uns von den Urhebern dieser Werke trennen, nicht existierten."2
Die drei Entdecker sind sich sofort ihrer Verantwortung bewusst. Sie bemerken, dass Tierknochen und alles überwuchernden Kristallteppichen den Boden bedecken. Deshalb bewegen sie sich extrem vorsichtig und teilweise auf Socken, um nichts zu beschädigen. Bei ihrem nächsten Besuch verlegen sie einen schmalen Streifen aus Plastik als Pfad quer durch die Grotte.
Das Trio um Jean-Marie Chauvet sichert den Durchgang und benachrichtigt die Behörden, die sofort den bekannten Experten für prähistorische Felskunst Jean Clottes informieren, der unverzüglich nach Vallon-Pont-d’Arc kommt, um alles selbst in Augenschein zu nehmen. Erst als der Höhleneingang mit einer Metalltür und Alarmanlage gesichert ist, wird am 18. Januar 1995 die Chauvet-Höhle bei einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt.