"Vernichtungsfeldzug" in der AfD

Seite 2: Der Kampf gegen die "Etablierten" in den eigenen Reihen

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Die Fronten verlaufen heuer anders: Auf der einen Seite will die AfD ein völkisch-nationalistisches Deutschland nach Höckescher Skizze zwischen einem Faschismus-light und rustikaler Eiche als Wohnzimmerdekoration, auf der anderen Seite will man fast genau dasselbe, aber sich zugleich auch persönlich an den Trögen der Demokratie laben. Erstgenannte Fraktion wirft letztgenannter daher vor, Karrieristen zu sein, die - zuweilen im Privat- oder Berufsleben gescheitert - neue Geldquellen wittern.

So stellten Gauland und Höcke in einer gemeinsamen Mitteilung fest, solche Parteifreunde instrumentalisierten die AfD "für eigene Karriereziele". Im rechtsradikalen Duktus wären sie also schon verhasste "Etablierte", im Kampf um das wahre, schöne, reine Deutschland eines Höcke droht eben jene Clique also schon Verrat an diesem Deutschland respektive dem deutschen Volk zu begehen. Bekanntlich, das weiß man aus vielen Reden und Postings von AfD-Politikern oder deren Sympathisanten über die Vertreter der "Altparteien" und des "Establishments", steht darauf nicht weniger als die Höchststrafe.

Der bisherige Höhepunkt jenes Machtkampfes, der mit etwas Phantasie teilweise dem Ränkespiel und der Dauerschlägerei zwischen Captain America und Iron Man sowie deren Getreuen in "The First Avenger: Civil War" ähnelt, tobt seit rund einer Woche tatsächlich dank verschiedener Vorfälle in Nordrhein-Westfalen. Dort stehen 2017 Landtagswahlen an und die AfD rechnet damit, mit zahlreichen Vertretern Sitze zu erringen. Es geht also auch um Geld, Macht und Zuwendungen an Parteifreunden, die die Fraktion oder deren Mitglieder möglicherweise später in Lohn und Brot bringen können.

Ins Rollen brachte Stern.de die neuerliche Schlammschlacht, weil Teile der Kommunikation einer Chat-Gruppe publiziert wurden. Personen, die dem Pretzell-Flügel zugerechnet werden, organisierten darüber ihren Einfluss und sorgten dafür, dass ihnen genehme Kandidaten sich überwiegend auf den beiden Listenwahlversammlungen durchsetzen konnten. Den SPD-Aussteiger und Gewerkschafter Reil, mediales AfD-Aushängeschild in NRW, wollte jener Kreis zwar als nützlichen Idioten im roten Ruhrgebiet wahlkämpfen lassen, ansonsten aber eher kaltgestellt wissen. Schlimmere Parteifreunde als Parteifeinde also. Ob weitere Unregelmäßigkeiten wie vernichtete Wahlzettel bei einem Wahlgang letztlich die Landesliste noch kippen, scheint unklar.

Am Wochenende wählte die Partei jedenfalls nach weiteren Streitereien in Rheda-Wiedenbrück vorerst tapfer weitere Listenkandidaten. Vergessen wird aktuell indes, dass der offen auftretende Rechtsaußen-Flügel in NRW sich schon im September vorwerfen lassen musste, dass er selbst eine erste Listenwahlversammlung dazu nutzen wollte, sich eigene Posten zu sichern oder zumindest Pretzell - und somit auch Petry - die Grenzen aufzuzeigen. Wer also hatte ein Interesse daran, wenige Tage vor der dritten Landeswahlversammlung in Ostwestfalen das Chat-Protokoll an Vertreter der "Lügenpresse" durchzustechen?

Pretzell ist angezählt und die Partei fordert "diskriminierungsfreie Berichterstattung in den Medien"

Pretzell stellte am Samstag auf eben jener Versammlung fest, dass der "Machtkampf der Bundespartei" aktuell in NRW stattfinde. Dessen Lebensabschnittsgefährtin Petry sagte, die Angriffe von Höcke und Gauland gegen Pretzell würden direkt auf sie zielen. Renner, neben Pretzell zweiter Parteichef in NRW und Höcke näher stehend, warnte wegen des Gebarens des anderen Flügels indes vor einer "innerparteilichen Beutegemeinschaft" und einem "absoluten Vernichtungsfeldzug".

Diese Rhetorik zeigte offenbar Wirkung. Pretzell musste auf der Listenwahlversammlung einige Niederlagen wegstecken, im Boxring würde man sagen: Der Mann ist angezählt. Sollten er und Petry dereinst wie Lucke vom Hof gejagt werden, so wird man dann wohl sagen können, in Rheda-Wiedenbrück wurde jener Machtverlust eingeläutet.

Übrigens will die AfD laut Entwurf ihres Wahlprogramms für die NRW-Landtagswahl im Punkt 0307 eine "sachliche und diskriminierungsfreie Berichterstattung in den Medien" einfordern. Dort würden nämlich "ständig politisch unliebsame Meinungen und Standpunkte diskreditiert und diffamiert". Betroffene seien "dem weitgehend schutzlos ausgeliefert", weswegen bei "beleidigender oder verleumderischer Berichterstattung […] pauschalierte Schadensersatzansprüche für die hiervon Betroffenen vorzusehen" seien.

Zählen auch parteieigene Chat-Gruppen, Videos, Stellungnahmen und Feldpostbriefe der AfD-Funktionäre über die sozialen Netzwerke als Berichterstattung in den Medien? Dann dürften eine Reihe von Rechtsanwälten wohl bald einige Verfahren in Sachen Schadenersatz unter all den innerparteilichen Kriegsberichterstattern verlosen können. Die AfD, dein Feind und Helfer …