Verpasste Vorwarnungen und eine sich schneller um sich drehende Erde
Wie der Atomteststoppvertrag zur Erdbebenwarnung beitragen könnte und der meteorologische Dienst Thailands lieber nichts meldete
Möglicherweise hätten sich manche Opfer vermeiden lassen, wenn es vor den Folgen des Erdbebens entsprechende Warnungen gegeben hätte. So hatte beispielsweise Comprehensive Nuclear Test-Ban Treaty Organization mit ihrem Netzwerk an seismischen Sensoren am Sonntag Morgen das Erdbeben an der Westküste von Sumatra registriert, das zur Flutwelle führte. Und in Kritik steht auch der meteorologische Dienst von Thailand, der angeblich trotz Informationen über das Erdbeben keine Warnung ausgegeben hat, um der Tourismusindustrie nicht zu schaden.
Der Atomteststoppvertrag (Comprehensive Test Ban Treaty - CTBT) liegt seit 1996 zur Ratifizierung aus, kann aber erst in Kraft treten, wenn ihn 44 bestimmte Staaten unterzeichnet haben. Nach diesem Abkommen wären unter- und oberirdische Atomwaffentests verboten. Bislang wurde es von 174 Staaten ratifiziert, allerdings erst von 33 der 44 erforderlichen. Nicht ratifiziert haben ihn etwa China, Indien, Indonesien, Iran, Israel, Nordkorea, Pakistan oder die USA.
Die in Wien angesiedelte Organisation hat ein Internationales Datenzentrum eingerichtet, zu dem auch ein globales Netzwerk von seismischen Sensoren gehört, mit denen sich nicht nur Atomtests, sondern natürlich auch Erdbeben feststellen lassen. Am Sonntag wurde auch das Erdbeben in Südostasien von den Computern über die einlaufenden Daten registriert. Nur hatten alle Beschäftigten der Organisation frei, so dass keine Warnung ausgegeben werden konnte. Für Daniela Rozgonova, eine Sprecherin der Organisation, soll dies aber trotzdem als Hinweis darauf verstanden werden, dass die Umsetzung des Atomteststoppvertrags nicht nur im Hinblick auf die Überprüfung von Atomtests wichtig ist, sondern auch zur Frühwarnung dienen könnte. Überdies könnten die Daten den Wissenschaftlern helfen, Erdbeben und Tsunamis besser zu verstehen.
Die Daten aber dürfen von der Organisation, solange das Abkommen noch nicht in Kraft getreten ist, nicht bekannt gegeben werden. Allerdings müsste die Organisation mit einem jährlichen Busget von 100 Millionen US-Dollar sich neu ausrichten, um tatsächlich ihr Netzwerk an Sensoren auch rechtzeitig zur Katastrophenwarnung verwenden zu können. Das beträfe nicht nur Erdbeben, sondern auch Aktivitäten von Vulkanen unter dem Meer oder abbrechenden Eisbergen. Organisationen in manchen Ländern nutzen bereits die CTBTO-Daten. So hatte Geoscience Australia bereits eine halbe Stunde nach Beginn des Erdbebens aufgrund der Daten eine Warnung ausgegeben. Auch das auf Hawaii angesiedelte Pacific Tsunami Warning Center und das International Tsunami Information Center hatten das Erdbeben registriert. Diese aber kam in den gefährdeten Ländern nicht an, weil es dort keine entsprechenden Ansprechpartner gab.
Wie die thailändische Zeitung The Nation berichtet, soll allerdings der meteorologische Dienst, der zur Zeit des Ausbruchs des Erdbebens ein Seminar in Cha-am abhielt, die Information über das Erdbeben erhalten, aber zurück gehalten haben. Zwischen dem Erhalt der Information und dem Eintreffen der Flutwelle lag eine Zeitspanne von einer Stunde. Fraglich ist, ob es viel genutzt hätte, die Warnung auszugeben. Man habe beim meteorologischen Dienst am Morgen ein Erdbeben mit der Stärke 8,1 auf der Richter-Skala registriert und sei eigentlich verpflichtet gewesen, bei jedem Erdbeben über 6,5 eine Warnung ausgeben zu müssen. Auch wenn die Information über die Erdbebenstärke mit 8,1 niedriger als die wirkliche Stärke von 9,0 lag, hatte man sich auch angeblich deswegen ruhig verhalten, da es bei einem ähnlichen Erdbeben vor Sumatra im Jahr 2002 mit der Stärke von 7,6 auch keine Flutwellen gegeben habe.
Die Zeitung zitiert einen Wetterexperten, der erklärte, dass die Wissenschaftler deswegen zögerten, weil es schon Jahrhunderte keinen Tsunami mehr in Thailand gegeben habe (siehe auch Die Weihnachtsflut kam nicht wirklich überraschend). Sechs Jahre zuvor sei eine Warnung vor einem Tsunami für die Küste von Phuket ausgegeben worden, ohne dass etwas geschehen sei. Daraufhin sei der damalige Generaldirektor des Wetterdienstes unter starke Kritik geraten, weswegen es die Verantwortlichen dieses Mal sicherheitshalber vorgezogen hätten, nichts zu sagen.
Sumalee Prachuab vom meteorologischen Dienst erklärte, man habe Sorgen gehabt, eine Panik zu erzeugen, da nicht jedes Mal Flutwellen nach einem Erdbeben entstehen. Der oben schon erwähnte Wetterexperte habe allerdings gesagt, die Entscheidung sei aufgrund von wirtschaftlichen Überlegungen gefallen. Da gerade die Touristensaison war und alle Zimmer belegt waren, hätte eine Warnung zu einer Evakuierung und zu großen wirtschaftlichen Schäden geführt. Das habe man aus Furcht vor den Folgen für die Behörde nicht gewagt. Der Generaldirektor Supharerk Tansrirat-tanawong streitet allerdings ab, dass der Tourismus eine Rolle gespielt habe.
Die Folgen des Erdbebens haben möglicherweise auch ungeahnte Folgen. Richard Gross, ein Geophysiker der Nasa, behauptet etwa, dass sich nach seinen Daten durch das Erdbeben die Rotation der Erde auf Dauer beschleunigt haben könnte. Merken wird man davon allerdings nicht, da die Tage nur für 3 Mikrosekunden kürzer geworden sein sollen. Überdies habe das Erdbeben auch dazu geführt, dass die Erde ein oder zwei Zentimeter stärker um ihre Achse geschwankt habe.
Wenn eine tektonische Platte unter die andere wie jetzt im Indischen Ozean rutscht, würde das die Erde kompakter werden lassen, wodurch sie sich schneller um sich selbst dreht, so die Erklärung von Gross. Andere Wissenschaftler sagen aufgrund von Satellitenbildern, dass das Erdbeben Inseln vor Sumatra um 30 Meter verschoben hat.
Noch immer gibt es in der Region Nachbeben. Sie sind allerdings mit einer Stärke zwischen 5 und 6 auf der Richter-Skala relativ schwach.