Verschlusssache Amri
Seite 2: Warum hat die Bundesanwaltschaft darauf verzichtet?
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Soll vielleicht jener Informant vom November 2019 geschützt werden? Über welche Informationen verfügte er genau? Darauf gibt es keine Antwort, denn die gesamte Akte ist, wie Opferanwälte und Mitglieder des Bundestagsuntersuchungsausschusses erfuhren, gesperrt. Der Generalbundesanwalt hat sie als geheim eingestuft. Wenn sie nicht einmal dem Bundestag herausgegeben wird, muss sich eine gefährliche Wahrheit in der Akte verbergen.
Der Deutsch-Türke Semsettin E. gehörte zum radikalen Kern der Fussilet-Moschee in Berlin-Moabit, die nach dem Anschlag behördlich geschlossen wurde. Bereits bei einem anderen Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der Moschee war er nicht zur Vernehmung erschienen. Bekannt ist, dass im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eine Akte über Semsettin E. geführt wurde, so wie beispielsweise auch zu Amri, Ben Ammar oder Khaled A.
Dass sich Amri und E. kannten, davon ist bei der überschaubaren Größe der Einrichtung auszugehen. Die Angabe vom "persönlichen Gespräch" zwischen beiden bereitete dem BKA aber Kopfzerbrechen. Wenn sie sich getroffen haben, hieße das, Amri hat nach dem Anschlag nicht direkt die Stadt verlassen, sondern verkehrte noch mit verschiedenen Leuten.
Da sich Amri in dem Gespräch aber auch auf die Ausweispapiere bezogen haben soll, die erst einen Tag später im LKW gefunden wurden, als er möglicherweise bereits auf der Flucht war, läge andererseits auch ein Telefonat nahe.
Das wiederum würde bedeuten, dass der Flüchtige ein Mobiltelefon besessen haben müsste, was das BKA offiziell bestreitet. Seine zwei bekannten Handys wurden im und am Tat-LKW sichergestellt. Und als Amri getötet wurde, soll er laut offizieller Sprachregelung auf jeden Fall kein Mobilphone bei sich gehabt haben.
Am Anschlag nicht beteiligt? Das muss man genauer betrachten. Amri war zu einem bestimmten Zeitpunkt zumindest am Tat-LKW, wo sich außen Fingerabdrücke von ihm fanden. Und er hatte die Tatpistole, mit der der polnische Fahrer erschossen wurde, bei sich, als er selber in Italien getötet wurde.
So gesehen kann er als Tatbeteiligter gelten. Aber war er auch der Haupttäter, der am 19. Dezember 2016 den 40-Tonnen schweren Sattelschlepper in die Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz steuerte, wo insgesamt zwölf Menschen starben und Dutzende verletzt wurden?
Daran gibt es Zweifel, zu denen die beiden Amri-Dementis passen würden. In der Fahrerkabine des LKW wurden an unbeweglichen Teilen keine Fingerabdrücke und vollwertige DNA von Amri gefunden. Stattdessen Spuren von anderen Personen, die bisher nicht identifiziert sind.
Zum Beispiel DNA-Material einer "unbekannten Person", genannt UP 2, an gleich vier Stellen: Unter anderem an der Kopfstütze des Fahrersitzes, am Griff der Sitzverstellung und am inneren Öffnungshebel der Fahrertür. Die Person könnte auf dem Fahrersitz gesessen haben.
Bedenken, dass Anis Amri am Steuer des Tat-Lastwagens saß, formulieren auch drei Experten, die der Untersuchungsausschuss letztes Jahr beauftragt hat, die Spurenbefunde und die Ermittlungen des BKA zu überprüfen: Ein Kriminologe, ein DNA-Forensiker und ein Spezialist für Daktyloskopie (Ende offizieller Gewissheiten im "Fall Amri")
Am 25. März wird deren Gutachten in einer Sondersitzung des U-Ausschusses im Bundestag öffentlich vorgestellt.