Versehentlicher Anbau von genverändertem Raps in England, Deutschland, Frankreich und Schweden

Bienen sollen Pollen genveränderter Pflanzen verbreiten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In Großbritannien herrscht große Aufregung, nachdem bekannt wurde, dass viele Bauern, ohne es zu wissen, dieses und letztes Jahr auf mehr als 2000 Hektar genveränderten Raps angebaut hatten. Die britische Regierung hat diese Information erst jetzt bekannt gegeben, obgleich sie angeblich schon mehr als einen Monat davon wusste. Die verantwortliche Firma hat heute mitgeteilt, dass Samen von genverändertem Raps auch nach Deutschland, Frankreich und Schweden geliefert worden ist.

In Großbritannien wird die Diskussion über genveränderte Pflanzen und Lebensmittel, auch "Frankenstein Food" genannt, besonders heftig geführt. Viele Menschen Lebensmittel ab, die genveränderte Bestandteile enthalten. Protestiert wird auch gegen die Versuchsfelder, auf denen genveränderte Pflanzen wachsen. Als der britische Umweltminister Michael Meacher im Frühjahr die über 80 Freilandversuche mit genveränderten Pflanzen bekannt gab, stellte er gegenüber den Kritikern fest: "Ich will es ganz deutlich sagen, dass in diesem Land keine genveränderten Pflanzen kommerziell abgebaut werden können, bis wir zufriedenstellend herausgefunden haben, ob es dadurch für die Umwelt zu nicht akzeptablen Auswirkungen kommt." Das aber könne man nur durch Freilandversuche herausbekommen.

Weltweit wurden im letzten Jahr kommerziell bereits auf 40 Millionen Hektar, vornehmlich in den USA, Argentinien und Kanada, genveränderte Pflanzen angebaut. Dabei handelte es sich vornehmlich um Sojabohnen, Mais, Baumwolle und Raps, deren Eigenschaft zu 70 Prozent Herbizidresistenz und zu 22 Prozent Insektizidresistenz ist, was schlichtweg heißt, dass sie vermutlich den Einsatz von größeren Mengen an Pestiziden und Insektiziden eher fördern, zumindest aber vor allem deswegen so konstruiert wurden, um gleichzeitig mit den Nutzpflanzensorten gekoppelte Herbizide oder Insektizide zu verkaufen. Welche langfristigen Folgen der Einbau von solchen Resistenzgenen auch eventuell auf den Menschen haben könnte, ist bei dem großangelegten globalen Versuch mit genveränderten Pflanzen nicht bekannt.

Im Februar wurde Monsanto mit einer Strafe von 17 000 Pfund belegt, weil der Konzern nicht die Sicherheitsmaßnahmen für Freilandversuche eingehalten und um das Testfeld mit genverändertem Raps keine sechs Meter breite Sperre eingerichtet habe. Wenig später hatte Jean Emberlin, Direktorin der National Pollen Research Unit einen Bericht vorgelegt, der bemängelte, dass die Sicherheitsmaßnahmen möglicherweise nicht streng genug sein könnten. Um ein Testfeld aus genverändertem Mais muss derzeit eine Zone von 200 Metern von anderen Maisarten freigehalten werden, um eine mögliche Kreuzung zu verhindern. Emberlin weist auf Belege hin, dass Bienen oder starker Wind die Pollen des genveränderten Mais aber weit über diese Sicherheitszone hinaus transportieren können.

Unglücklicherweise für die britische Regierung, die aus wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und anderen standortpolitischen Gründen für eine liberalere Position gegenüber der Gentechnik und Genlebensmittel ist (Ungeliebte Gentechnik, Blair liebt Genfood), aber wegen der breiten Kritik mittlerweile vorsichtig geworden ist, kam eben ein neuer Bericht an die Öffentlichkeit. Von der Umweltorganisation Friends of the Earth wurde Honig, den man zufällig aus Läden in der Nähe von Feldern mit genveränderten Pflanzen gekauft hatte, untersucht. Die Analyse führte Andreas Heissenberger vom österreichischen Umweltbundesamt durch. In zwei der neun Proben fanden sich Spuren von Pollen genveränderter Mais- und Rapsarten. Das beweise, so Heissenberger, dass genveränderter Pollen in die Lebensmittelkette hinein gelange, der von den Freilandversuchen stammen müsse. Friends of Earth ruft daraufhin zu einem Verbot aller Freilandversuche mit genverändertem Mais und Raps auf, weil dadurch Pflanzen und Tieren nahegelegener Bauern oder Imker kontaminieren könnten. Der britische Verband der Bienenzüchter rät seinen Mitgliedern, ihre Bienenstöcke mindesten 10 Kilometer von Feldern mit genveränderten Pflanzen entfernt aufzustellen.

Wer Felder für Freilandversuche zur Verfügung stellt, muss jedoch bislang seinen Nachbarn dies nicht mitteilen. Der Imkerverband verlangt, dass die Gentech-Konzerne dafür bezahlen müssten, wenn Bienenstöcke an einen anderen Ort gebracht werden müssen. Die jedoch meinen, dass eine Distanz von mindestens 10 Kilometern keineswegs erforderlich wäre und dass man die Untersuchung überprüfen wolle. Offenbar aber spielt dies zumindest wirtschaftlich eine Rolle. So berichtet BBC, dass ein Imker seine Bienenstöcke umsetzen musste, nachdem in einer Entfernung von 5 Kilometern ein Feld mit genverändertem Raps bebaut wurde. Man hatte ihn nicht darüber informiert. Jetzt fürchtet er, das er seinen Honig nicht verkaufen kann, wenn er nicht imstande ist nachzuweisen, dass dieser keine genveränderten Pollen enthält.

In diese Situation also fällt die Nachricht natürlich auf einen "fruchtbaren" Boden, dass seit zwei Jahren britische, aber auch schwedische, deutsche und französische Bauern Saatgut von der kanadischen Firma Advanta Seeds erhalten haben, in dem normale Rapssamen mit gentechnisch veränderten irrtümlich vermischt worden waren. Die Bauern haben nun Angst, ihren Raps nicht mehr an den Mann bringen zu können. Das Unternehmen wiederum sagt, dass die Rapssamen wahrscheinlich durch Pollen von einem benachbarten Feld in Kanada 1998 unbemerkt kontaminiert worden sei. Das soll zwar den Irrtum entschuldigen, könnte aber gerade erst recht die Befürchtungen der Kritiker schüren, dass sich die eingebauten Gene verbreiten.

Die britische Landwirtschaftsministerin Joyce Quin macht - wie ihre Kollegen - die Sache wahrscheinlich auch nicht besser, wenn sie nur wieder wie üblich sagt, dass dadurch weder für die Umwelt noch für die Menschen Gefahr drohe. Genveränderter Raps sei, wie man schon überprüft habe, für den Anbau und als Futtermittel für Tiere oder als Nahrungsmittel für Menschen unbedenklich. Betroffen seien auch nur ein Prozent der Samen von Advanta. Man werde die Sicherheitsmaßnahmen verstärken und international dafür sorgen, dass auch weltweit mehr auf Sicherheit geachtet wird.

Friends of the Earth meinen hingegen, dass die Regierung die Kontrolle über die Gentechnikindustrie schon verloren habe, bevor die von ihr vorgesehenen Tests überhaupt durchgeführt wurden: "Wir haben genveränderte Lebensmittel als ein gigantisches Experiment mit der Gesundheit der Menschen und der Umwelt beschrieben. Dieser neueste Skandal zeigt nur wieder einmal, dass wir damit Recht haben."

Prinz Charles und Stephen Hawking

Der britische Thronfolger Prinz Charles of Wales ist nicht nur ein Befürworter der organischen Landwirtschaft, sondern - oder logischerweise? - auch ein Gegner der Biotechnologie, also der Herstellung und Verwendung von genveränderten Organismen. In den bekannten Reith Lectures des BBC hatte er erst gestern wieder davor gewarnt, dass die Menschen nicht Gott spielen und mit der Natur arbeiten sollten. Der prominente Physiker Stephen Hawking, vielleicht auch dank seiner Krankheit ein besonders entschiedener Vertreter des technischen Fortschritts, erhob ein Einspruch.

Um die Natur bewahren zu können, müsse die Menschheit wieder eine Achtung vor dem Heiligen im Umgang mit der Natur und der Menschen untereinander gewinnen, meinte Prinz Charles. So warnte er davor, dass man aus dem Fehlen von harten wissenschaftlichen Beweisen für mögliche Risiken, die durch den Austausch von Genen zwischen Pflanzen und Genen entstehen können, oft die Legitimation ableite, mit diesen Verfahren weiter zu machen. Während so viele das Vorsichtsprinzip als Angst vor dem Fortschritt verurteilen, sei es eher ein Zeichen der Stärke und Weisheit. Man solle eine Achtung vor dem "Genie der Entwürfe der Natur" entwickeln, die "über Millionen von Jahren getestet und verbessert" worden seien, da es wichtiger sei, die Natur zu verstehen, als ihr Wesen wie bei der Gentechnik zu verändern. Nur wegen der Unfähigkeit oder dem Widerstand der Menschen, "die Existenz einer führenden Hand zu akzeptieren, ist es dazu gekommen, dass die Natur als ein System verstanden werden konnte, das nach unserem Belieben technisch verändert werden kann."

Hawkins meinte ironisch, dass sich die Menschen in 50 Jahren darüber wundern würden, um was sich die ganze Aufregung über Genlebensmitteln eigentlich gedreht hat: "Ich glaube nicht, dass man Forschung und Entwicklung verbieten kann, weil man sie für einen guten Zweck einsetzen kann." Überdies sagte Hawking, dass wissenschaftlicher und technischer Fortschritt weiter voranschreiten würden, "ob wir das wollen oder nicht". Die besten Menschen könnten nur sicherstellen, dass man ihn auf angemessene Weise nutze.