Ungeliebte Gentechnik

Blair beugt sich überraschend dem öffentlichen Druck der Kritiker; Dokumente zeigen, dass die britische Regierung in Sachen "Frankenstein Food" von der US-Regierung unter Druck gesetzt wurde

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Im Vorfeld einer OECD-Tagung über die Sicherheit von genveränderten Lebensmitteln (Eine globale Organsiation zur Kontrolle der Biotechnologie gefordert) hat der britische Regierungschef Tony Blair eine überraschende Kehrtwendung in Sachen "Frankenstein Food" vollzogen. Noch im letzten Jahr wandte er sich gegen die in Großbritannien populäre Kritik an der Gentechnik und bekannte, dass er gerne und ohne Bedenken genveränderte Lebensmittel essen würde (Blair liebt Genfood). Doch die Stimmung im Lande scheint gegen den Versuch Blairs zu sprechen, Großbritannien in der Zukunftsbranche Gentechnologie nicht zurückfallen zu lassen.

In einem Independent-Artikel räumte Blair am Sonntag ein, dass genveränderte Lebensmittel die Gesundheit der Menschen und die Umwelt gefährden könnten und dass die Bedenken gegenüber den möglichen Risiken berechtigt seien. Auch wenn der potentielle Nutzen der Gentechnologie wie in der Medizin beträchtlich sei, so würde seine Regierung sie nicht bedingungslos fördern: "Das entscheidende Wort in Bezug auf Risiken und Chancen ist potentiell. Das Potential für Chancen hebt hervor, warum wir Recht hatten, nicht die Türe vor genveränderten Lebensmitteln oder Getreide ohne vorhergehende Forschung zu schließen. Das Potential für Risiken zeigt, warum wir Recht haben, in der Tat sehr vorsichtig voranzugehen. Und das ist genau das, was wir machen."

Blair versprach weiter, dass in Großbritannien keine Lebensmittel auf den Markt kommen werden, die nicht zuvor mit den weltweit strengsten Kontrollen überprüft worden sind. Auch würden keine Anbaugenehmigungen erteilt, solange es nicht ausreichende Bestätigungen dafür gibt, dass genveränderte Nutzpflanzen keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt haben.

In Großbritannien verkaufen viele Lebensmittelketten keine Produkte mehr, in denen genveränderte Bestandteile enthalten sind. Der Widerstand gegen genveränderte Nutzpflanzen ist in Großbritannien so groß, dass die Saatgutkonzerne nicht einmal genügend britische Landwirte finden, um die bewilligten Versuchsaussaaten durchführen zu können. Vier Jahre Versuchsanpflanzungen auf 75 Feldern wären aber notwendig, um zu "beweisen", dass die genveränderten Pflanzen sich nicht negativ auf die Umwelt auswirken. Einen Erfolg für die Gegner der Gentechnologie feierte an diesem Wochenende auch Greenpeace. Vor der Küste von Anglesey in Nordwales hatten sechs Aktivisten den Frachter "Iolcos Grace" am FReitag an der Weiterfahrt gehindert, indem sie sich auf dem Frachter anketteten. Das Schiff soll bis zu 60.000 Tonnen genmanipulierte Soja geladen haben.

Weiteres Ungemach aber werden für die britische Regierung auch Erkenntnisse bereiten, die der Guardian heute veröffentlicht hat. Die Zeitung ist aufgrund des amerikanischen Freedom of Information Act in den Besitz von bislang geheimen Dokumenten gekommen, die offenbaren, dass anlässlich des EU-Gipfels Tony Blair im Mai des letzten Jahres, kurz vor seiner Offensive für die Gentechnik, massiv von der amerikanischen Regierung unter Druck gesetzt wurde. Präsident Clinton teilte Blair, der damals die EU-Präsidentschaft innehatte, mit, dass der langsam Bewilligungsprozess für genveränderte Organismus der EU den US-Exporteuren bereits Hunderte von Millionen Dollar gekostet habe: "Im Geist der wachsenden EU-USA-Kooperation fordern wir die EU dazu auf, umgehend sicherzustellen, dass diese Produkte schnell überprüft werden." Ähnliche Beschwerden gingen auch dem damaligen EU-Kommissionsvorsitzenden Jacques Santer und anderen Politikern zu.

Nicht nur die Bewilligungsprozeduren standen in der Kritik der amerikanischen Regierung, sondern auch die Pläne, Lebensmittel, in denen Bestandteile genveränderter Organismen enthalten sind, zu kennzeichnen: "Die USA erkennt keinen Grund, ein Produkt nur deswegen kennzuzeichnen, weil es gentechnisch hergestellt wurde. Eine Verpflichtung zur Kennzeichnung von GMOs sollte auf gültigen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen." Schon am nächsten Tag habe die EU unter der britischen Präsidentschaft den Vorschlag gemacht, die Pläne nicht weiter zu verfolgen, Lebensmittel mit dem Kennzeichen zu versehen, dass sie genveränderte Bestandteile enthalten können. Die britische Regierung schlug vor, die Produkte mit Kennzeichnungspflicht stark einzuschränken. Bislang hatte sie abgestritten, in diesem Fall unter dem Druck der USA gestanden zu haben. Die Dokumente werden, wie Guardian ironisch anmerkt, nach dem Freedom of Information Gesetz des Innenministers Jack Straw bis zum Jahr 2029 unter Verschluss gehalten.