Verstehen Frauen Aliens besser?

Seite 2: Wittgensteins Nichte und das grundlegend Ambivalente unseres Daseins

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"Arrival" ist ein Film über das grundlegend Ambivalente des Daseins, um Perspektivverschiebungen und weiche Erschütterungen. Eine bedrückend schöne Meditation der Langsamkeit, in verschwommenen, kontrastarmen Stimmungslagen und in Zeitlupe eingefangenen Impressionen. Die Aliens in diesem Film sind sehr sehr langsam, oder sagen wir es unumwunden: saulahmarschig in ihrer Bewegung. Analog dazu ist die Musik langsam, schwebend, ziehend, fließend.

Visuell erinnern diese Außerirdischen an Kraken mit Armen in Form eines Seesterns und Tintenfisch-Tinte zum Schreiben. Schwerkraft kennen sie nicht, aber sie kennen das Tausch-Prinzip: "We help humanity. In 3.000 years we need humanitys help." Auch unter Aliens gilt also die Basis des amerikanischen Kapitalismus: "We've got a deal?"

Der Schlüssel dazu ist die Linguistin Louise, Wittgensteins Nichte. Warum? nicht nur als Expertin, sondern auch aus Empathie. Frauen verstehen Aliens besser, so darf man vermuten, weil sie ja auch Außenseiter sind.

© Sony Pictures Releasing GmbH

Dies ist zudem ein glanzvoller Auftritt der Hauptdarstellerin Amy Adams, einem Hollywood-Star, der leider immer etwas unterschätzt wird, weil sie zwar gut aussieht, aber nicht perfekt den Model-Normen der Filmindustrie entspricht und etwas zu intelligent ist für das gewünschte Talk-Show- und Gala-Smalltalk-Geblubber.

Um so aufregender, sie hier als sensible Wissenschaftlerin zu erleben. Und als eine, die in die Zukunft gucken kann: "I know something, what's gonna happen. And I know a non-linear, universal language." Esperanto für Aliens.

Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen

Es sind spannende mitunter höchst beunruhigende Fragen, die Villeneuve aufwirft. Der Franco-Kanadier portraitiert in seinen Filmen immer wieder gern Frauen in Männerwelten. Diesmal beweist er mit einem faszinierenden Gedankenspiel, das nur von fern an die Kurzgeschichten-Vorlage "Story of Your Life" von Ted Chiang erinnert, dass wir von Villeneuve noch anderes zu erwarten haben: Philosophische Tiefe, unkonventionelle und erfrischende Reflexionen in einem magischen, soghaften Stil, voller Geschmack und Zurückhaltung, Sinn fürs Mysteriöse mit visueller Opulenz, das Intime mit dem Epischen verbindend.

Alles hat hier eine zweite, mitunter auch ein wenig (im besten Sinne) esoterische Bedeutung. So lautet der Name von Louises Tochter etwa Hannah, weil dies ein Palindrom ist - also ein Wort, das von beiden Seiten gelesen werden kann.

© Sony Pictures Releasing GmbH

Palindromisch ist auch die Erzählstruktur dieses Films. Ein wenig wirkt "Arrival" daher gelegentlich wie ein - allerdings überaus kurzweiliges - linguistisches Proseminar. Doch dies ist definitiv Kino!

Und zwar ästhetisch herausragendes, inhaltlich herausforderndes Kino, das uns etwas sagen will, und auch etwas zu sagen hat. Hinter diesem Film tut sich ein humanistisches Plädoyer für universale Verständigung auf, das sich perfekt auf unsere eigenen gegenwärtigen gesellschaftlichen Kommunikationsprobleme, sei es mit Moslems, mit Flüchtlingen, mit Amerikaner oder sogar mit bayerischen Politikern übertragen lässt.