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Wenn der Teller zum Schmelztiegel der Emotionen wird: Uwe Knop über den Diätenwahn und den Essenskult als "Ersatzreligion"
In seinem Buch Dein Körpernavigator setzt sich Uwe Knop mit den gesundheitsschädigenden Mythen und der Ideologisierung modernen Essens auseinander.
Herr Knop, Sie nennen den gegenwärtigen Essenskult eine "Ersatzreligion". Welche Gemeinsamkeiten existieren hier mit nicht rational begründbaren Glaubenssystemen?
Uwe Knop: Der Teller wird zum Schmelztiegel der Emotionen. Jeder erhält durch ein Glaubensbekenntnis zu einer bestimmten kulinarischen Diaspora umgehend ein klares Werte- und Leitsystem, das ihn durchs Leben führt: eine schwarzweiß-Einteilung in Gut und Böse, also gesund und ungesund, Regeln, was zu tun und zu lassen ist, Gleichgesinnte, denen man sich verbunden fühlt und die sich gemeinsam gegenseitig darin bestärken, sowohl besser als die "ungläubigen niederen Normalesser" als auch die der anderen Essreligionen zu sein. Persönlichkeitsfindung und -profilierung sind in den nutritiven Glaubenssystemen schnell und einfach zu vollziehen.
Und da massenhaft unterschiedliche, teils komplett diametrale (vegan versus paleo) Besser-Esser-Diaspora den heiligen Gral gesunder Ernährung lobpreisen, und zwar stets exklusiv für sich, findet jeder seine kulinarische Kirchengemeinde, die zu ihm passt - und für die er dann nach erfolgter Assimilation missionieren kann.
Was sind die Merkmale dieser Essensreligion?
Uwe Knop: In einer Welt des absoluten Wohlstands und vollumfänglicher Vollversorgung lautet der kleinste gemeinsame Nenner immer: Verzicht. Und je mehr weggelassen wird, desto näher kommt man der Essenserlösung.Klingt paradox und ist es auch. Besonders, weil jede Besser-Esser-Diaspora auf etwas anderes verzichtet, ergo die Teufel auf dem Teller sind immer unterschiedlich: Low Carb verbannt den Großteil an Kohlenhydraten, die Ketonisten gleich alle davon, die Vegetarier das Fleisch, die Veganer alles vom Tier, die Clean Eater alles "unnatürliche", die Steinzeitköstler kein Brot oder Süßigkeiten, dafür viel Fleisch und Eier. Alles dient dem Separatismus, um der eigenen Besser-Esser-Hybris zu huldigen und diese zu rechtfertigen: Wir sind die Guten, die anderen essen falsch.
"Glaskugel Ernährungswissenschaft"
Auf welche Annahmen stützt sich diese Essensreligion und wie sind diese wissenschaftlich begründet?
Uwe Knop: Das Amüsante daran ist: Alle Ernährungspäpste berufen sich in ihren Predigten auf die gute wissenschaftliche Datenlage, die stets "absolut überzeugend und unmissverständlich" belegt, dass nur diese eine Spezial-Eradikations-Kost den Weg ins gelobte Land der gesunden Ernährung erlaubt.
Ermöglicht wird dies durch die Glaskugel Ernährungswissenschaft: Denn es existieren mehr als 1 Million Beobachtungsstudien, die alle nur erdenklichen Korrelationen liefern: Kohlenhydrate erhöhen oder senken das Risiko für koronare Herzkrankheit oder machen gar nichts - dito bei Fleisch und Darmkrebs, Obst und Gemüse und Mortalität und so weiter. Aber diese statistischen Zusammenhänge sind nicht nur wachsweich, sie erlauben auch in keiner Weise einen Kausalschluss, also eine Ursache-Wirkungs-Beziehung.
Aber jeder kann sich damit seine pseudowissenschaftliche Wahrheit al gusto zusammenbasteln, indem nur ausgewählte Korrelationen selektiert und fehl-, beziehungsweise überinterpetiert propagiert werden, die die eigene Essphilosophie stützen - und flankierend, wie durch Zauberhand, zu Kausalevidenzen hoch stilisiert werden. Dabei existiert kein einziger wissenschaftlicher Beweis für gesunde Ernährung. Auch kann die Wissenschaft weder heute noch morgen belegen, dass ein Lebensmittel per se gesund oder ungesund ist - das ist unisono auch die eindeutige Meinung der sieben großen ernährungswissenschaftlichen Institutionen DGE (D), SGE (CH), ÖGE (A), DIfE (D), BZfE (D) sowie VDOE (D) und VEÖ (A).
"Theater der Selbstinszenierung"
Erfüllt diese Ersatzreligion eher eine ideologische (im Sinne von "kulturellem Kapital" und Selbstoptimierung) als medizinische Funktion?
Uwe Knop: Natürlich Ersteres und ich denke, es ist eine Melange aus beidem - und mehr. Selbstoptimierung geht stets mit dem Wunsch nach verbesserter Gesundheit einher. Hinzu kommt der soziale Aspekt der Erhabenheit: "Ich bin ein Besser-Esser und damit hebe ich mich von den banalen Normalos ab." Auch die Außendarstellung, sich die teuren Spezialprodukte leisten zu können (LowCarb-Nudeln, Veggie-Burger, glutenfreies Brot, laktosefreie Mandelmilch etcetera kosten ein Vielfaches der klassischen Variante) spielt eine Rolle im Theater der Selbstinszenierung.
Daher findet man die meisten Besser-Esser-Hypochonder in der finanziell gut gestellten Mittel- und Oberschicht vorwiegend in urbanen Zentren, wo der entsprechende kulinarische Catwalk auch die nötige Aufmerksamkeit in der Gesellschaft generiert. Oder natürlich via Foodporn-Influencer-Insta-Blog. Denn was bringt die beste Essprofilierung, wenn es keiner merkt und mit beeindruckender Aufmerksamkeit honoriert. Die wenigsten machen das nur für sich. Das sieht man allein daran, dass die Alles-Esser kein Online-Geplärre um ihre Mahlzeiten zelebrieren. Von denen - übrigens die Mehrheit - hört und sieht man nicht viel in der Öffentlichkeit. Die essen, genießen und lassen es sich freudig gut gehen.
Da braucht es keine Likes von extern für die Spaghetti Bolognese, das Jägerschnitzel mit Pommes oder das Salamibrötchen.
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