Verurteilung von Russland: Stehen die USA nun für Völkerrecht und UN-Charta?

Harald Neuber

Abstimmung über Kuba-Blockade, Juni 2021. Hier sind die USA einer von zwei Staaten. Bild: ONU/Eskinder Debebe

Themen des Tages: Für Russland wird die Luft auf diplomatischem Parkett dünner. Pazifismus und Christentum. Und wer im Kreml auf Putin folgen könnte.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Bei den UN ist Russlands angesichts des Angriffs auf die Ukraine zunehmend isoliert. Wie glaubwürdig aber ist die Selbstinszenierung der USA als Anwalt von UN-Charta und Völkerrecht?

2. Debatte bei Telepolis über den richtigen Pazifismus.

3. Heute bei Telepolis: Kehrt Frieden ein, wenn Wladimir Putin nach Hause geht (oder geschickt wird)?

Doch der Reihe nach.

Isolation Russlands. USA nun auf der Seite des Völkerrechts?

Es wird enger für Russland auf dem internationalen Parkett. Die Mitgliedsstaaten der UN-Vollversammlung haben am Mittwoch mit einer deutlicheren Mehrheit als bisher die "illegale Annexionen" von Teilen der Ukraine durch Russland verurteilt.

143 der 193 UN-Mitgliedstaaten stimmten am Mittwoch auf einer Dringlichkeitssitzung für eine entsprechende Resolution, fünf dagegen; 35 Staaten enthielten sich. US-Präsident Joe Biden sprach von einer "klaren Botschaft" an Moskau. Nato-Staaten sagten der Ukraine indes eine stärkere militärische Unterstützung zu, vor allem mit Luftabwehrsystemen.

Die Enthaltungen kamen mehrheitlich aus Afrika, auch die Großmächte China und Indien schlugen sich auf keine Seite.

Die Resolution zur "Verteidigung der Grundsätze" der UN-Charta stellt fest, dass die ukrainischen Regionen Donezk, Cherson, Luhansk und Saporischschja infolge des russischen Angriffs von Russland besetzt gehalten werden. Dies verletze die territoriale Integrität, Souveränität und politische Unabhängigkeit der Ukraine.

Die UN-Generalversammlung hatte sich des Themas angenommen, nachdem Russland im UN-Sicherheitsrat ein Veto gegen die Verurteilung der Annexion eingelegt hat.

Erwartungsgemäß positiv werteten die USA das Ergebnis. Russland könne "einen souveränen Staat nicht von der Landkarte tilgen", sagte US-Präsident Joseph Biden. "143 Nationen haben sich auf die Seite der Freiheit, der Souveränität und der territorialen Integrität gestellt", fügte er hinzu.

Laut US-Außenminister Antony Blinken belegt das Abstimmungsergebnis die internationale Einheit gegen Russland.

In anderen Fällen hatten sich die USA weniger empfänglich für die Meinung der UN-Vollversammlung gezeigt. Die Invasion im Irak im Jahr 2003 durch die USA, Großbritannien, Australien, Polen und weitere Unterstützer etwa war ein klarer Verstoß gegen die UN-Charta.

Der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, sagte dazu im September 2004: "Aus unserer Sicht und aus Sicht der UN-Charta war es (der Krieg, d. Red.) illegal".

Auch die völkerrechtswidrige US-Blockade gegen Kuba wird jährlich von der UN-Vollversammlung verurteilt. Verteidigt wird sie – mit einer kurzen Ausnahme unter Barack Obama – nur von den USA und Israel sowie bisweilen einer mutmaßlich gekauften oder erpressten Stimme eines beliebigen Kleinstaates.

Ukraine-Krieg und Pazifismus: Prinzipien brechen, um sie zu wahren?

Der Fernsehjournalist und Klimaaktivist Franz Alt hat dieser Tage auf Telepolis eine Neuausrichtung der Friedensbewegung gefordert. Ein "Real-Pazifismus" müsse die Notwendigkeit anerkennen, der Ukraine Waffen zu liefern und gegen die russische Invasion zu kämpfen. Dem gegenüber stehe ein die Realität leugnender "Fundamental-Pazifismus".

Telepolis-Leser Ralf Böhm kritisiert Alts Thesen in eine Zuschrift. "Ich finde es erstaunlich, wie viele Varianten des Pazifismus Sie kennen. Ich selbst kenne nur eine und die lautet wie folgt: Eher gehe ich ins Gefängnis oder lasse mich selbst erschießen, als dass ich jemanden anders erschieße."

Böhm greift Alts Bezug auf die christlichen Wurzen des westlichen Pazifismus auf und schreibt: "Diesen Pazifismus sehe ich als logische Konsequenz eines konsequent gelebten Christentums an. Und so wie man das Christentum niemanden aufdrängen oder befehlen kann, so kann man auch den Pazifismus niemanden aufdrängen oder befehlen." Und weiter:

(…) Wollen wir selbst mit Waffen bedroht werden? Was würde ich mir wünschen, was mein vermeintlicher Feind tun sollte? Vielleicht abrüsten? Christlich wäre es dabei auch, den ersten Schritt tun, und nicht darauf zu warten, dass der andere ihn tut. Wer um die Kraft der Gedanken weiß, wer weiß dass alle Gedanken zur Realisierung drängen, dem erscheint das Motto "Wenn du Frieden willst, rüste für den Krieg!" als der reine Wahnsinn. (…)

Und so wie das Römische Reich ein Verfallsdatum hatte, so ist auch eine Menschheit, die jedes Jahr ca. 2.000 Milliarden US-Dollar für das Militär ausgibt, auf Dauer nicht überlebensfähig. Wieviel Gutes könnte man mit diesem Geld tun, dass nun aber fehlt oder sogar erheblichen Schaden anrichtet, der mit noch vielmehr Geld repariert werden muss? Sind nicht alle Militärausgaben letztendlich eine Investition in Zerstörung, Leid und Tod?

"Was du säst, wirst du ernten" ist nicht nur eine Erkenntnis des Christentums, sondern wird auch in anderen Kulturen dieser Welt als ein geistiges Gesetz akzeptiert, oft auch in Verbindung mit dem Glauben an eine mögliche Reinkarnation. (…)

Ist unser Feind tatsächlich nur böse und wir selbst sind ausnahmslos gut? Oder sehen wir vielleicht nur den Splitter in seinem Auge und nicht den Balken in unserem eigenen? Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass er unser Feind geworden ist? Haben wir keine Fehler gemacht? (…)

Nach einem Krieg gibt es selten einen Sieger. Meistens sind die materiellen und seelischen Verluste auf beiden Seiten so groß, dass auch der vermeintliche Sieger letztendlich ein Verlierer ist.

Sie schreiben: "Kurzfristig "Frieden schaffen mit Waffen", um das langfristige Ziel "Frieden schaffen ohne Waffen" zu erreichen. Das wäre ein differenzierter Pazifismus – ich nenne ihn Real-Pazifismus im Gegensatz zu Fundamental-Pazifismus." Ist das nicht genau die kirchliche Rechtfertigungslehre des Krieges, die wir seit Kaiser Konstantin haben und die zur Friedenslehre Jesu in einem krassen Widerspruch steht?

Russische Perspektiven: Werden wir uns nach Putin zurücksehnen?

Die Perspektiven nach einer Ablösung Putins als russischen Präsidenten diskutiert heute bei Telepolis Anatol Lieven. Putin müsse sich Anfang 2024 zur Wiederwahl stellen, schreibt der Senior Research Fellow für Russland und Europa am Quincy Institute for Responsible Statecraft.

Es scheine wahrscheinlich, dass er dieses Mal auf eine sehr ernsthafte Opposition stößt "und möglicherweise zu massiven und offenen Manipulationen, grausamer Repression oder beidem greifen muss, um zu gewinnen". Lieven weiter:

Es ist jedoch von entscheidender Bedeutung, dass die Opposition diesmal nicht nur von Kriegsgegnern kommen wird, sondern – was für Putin noch gefährlicher ist – von extremen Nationalisten, die glauben, dass der Krieg effizienter und rücksichtsloser geführt werden sollte. In den letzten Wochen hat die Kritik an der russischen Regierung aus diesem Lager, auch von ehemaligen Putin-Loyalisten, enorm zugenommen. Nach der Bombardierung der Krim-Brücke und dem Vorwurf des ukrainischen "Terrorismus" reagierte Russland am Montag und Dienstag mit einer Flut von Raketenangriffen auf zivile Infrastrukturen in Städten überall in der Ukraine.

Globale Rezession: China wird dieses Mal nicht helfen

Krieg, Energiekrise und nun noch das: China schwächelt, so Telepolis-Autor Wolfgang Pomrehn. Der Internationale Währungsfonds (IWF) habe seine Prognose für das chinesische Wirtschaftswachstum nach unten revidiert.

Die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft wird demnach 2022 nur um 3,2 Prozent wachsen, nach dem es im vergangenen Jahr noch 8,1 und in den Jahren davor – mit Ausnahme des ersten Pandemiejahres – meist etwas über sechs Prozent gewesen waren. (…) Es kriselt also, und wie es aussieht, ist erstens die IWF-Prognose noch immer eher optimistisch und wird zweitens diesmal China nicht, wie in den diversen größeren Krisen der letzten 25 Jahre, mit seinem enormen Wachstum den Karren aus dem Dreck ziehen.

Nato: Ukraine wird weiter aufgerüstet

Die Nato wird die Ukraine weiterhin aufrüsten, berichtet Telepolis-Autor Bernd Müller nach der Sitzung der sogenannten Ukraine Defence Contact Group, die auch als "Ramstein-Format" bekannt ist. Dies habe das Militärbündnis in Reaktion auf die jüngsten russischen Angriffe auf die Ukraine bekannt gegeben:

Der US-amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte am Mittwoch in Brüssel, er erwarte, dass die Ukraine den Winter durchkämpfen werde. Dazu solle die Luftverteidigung ausgebaut werden.