Verwundete in Mali: Informations- und Wahrnehmungsblockade
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Wider besseres Wissen: Der Bundeswehr-Einsatz, die Ansprüche des deutschen Qualitätsjournalismus und das Debakel der deutschen und europäischen Außenpolitik
Bereits im Frühjahr 2017 machte das Magazin des Reservistenverbandes mit dem zunächst eindeutigen Namen "loyal" den Einsatz der Bundeswehr in Mali zur Titelstory. Auf dem Cover der Ausgabe prangte in großen Buchstaben der Titel "Im malischen Treibsand".
Der dazugehörige Beitrag im Magazin unter der Überschrift "Mission Impossible" zitiert einen 28-jährigen Hauptfeldwebel der Bundeswehr, der damals im Rahmen des Minusma-Mandates in Mali stationiert war, mit den Worten: "… meinen Verwandten daheim kann ich nicht erklären, warum ich in Mali bin und was wir hier erreichen wollen".
Das war Anfang 2017. 2016 hatte die Bundeswehr in Gao, im Norden Malis, mit Camp Castor ein eigenes Feldlager von den Niederlanden übernommen und ausgebaut. Das deutsche Mandat zur Beteiligung an Minusma wurde im Januar 2017 von 650 auf 1.000 erhöht, mittlerweile umfasst es bis zu 1.100 Kräfte. 300 Angehörige der Bundeswehr waren damals außerdem für den Einsatz im Rahmen der 2013 begonnenen EU-Ausbildungsmission EUTM Mali weiter im Süden mandatiert - heute sind es 650.
Sicherheitslage kontinuierlich und deutlich verschlechtert
Parallel zur eher moderaten Erhöhung der deutschen Kontingente hat sich die Sicherheitslage in ganz Mali kontinuierlich und deutlich verschlechtert. Das malische Militär, das zwischenzeitlich fast vollständig Lehrgänge im Rahmen der EUTM durchlaufen hatte, putschte zweimal zwischen August 2020 und Mai 2021. Nach dem zweiten Putsch verweigerte die französische Regierung dem Putschregime die Anerkennung und ihre Anti-Terror-Mission Barkhane stellte die Zusammenarbeit mit dem malischen Militär ein - befindet sich aber weiter vor Ort und jagt vermeintliche Terroristen.
Im Januar 2021 hatte Barkhane dabei laut Darstellung der Misusma versehentlich eine Hochzeitsgesellschaft bombardiert - mit 19 zivilen Opfern (vgl. Umstrittene französische Luftangriffe in Mali). Mittlerweile hat Frankreich angekündigt, sein Engagement bei der Bekämpfung des Terrorismus zurückzufahren, um es verstärkt an die EU zu delegieren.
Mit der Bundesregierung, die ihr "Engagement" in Mali bislang primär mit der "Solidarität mit Frankreich" begründet hatte, war diese Ankündigung offenbar nicht abgesprochen und sie blieb von deutscher und europäischer Seite auch weitgehend unkommentiert.
Wie auch die Bombardierung von Zivilisten und die von Frankreich akzeptierte Machtübernahme einer Militärjunta im Tschad im April 2021. Tschad ist nicht nur der wichtigste Partner der französischen Truppen vor Ort: Im Mai 2020 wurde auch die EU-Ausbildungsmission in Mali auf die Angehörigen u.a. des tschadischen Militärs ausgedehnt.
"Erfolglos" und "kontraproduktiv"
Von Anfang an gab es nicht nur von internationalen Denkfabriken wie der International Crisis Group (ICG) deutliche, sondern auch von regierungsnahen Thinktanks wie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) verhaltene Kritik am (fehlenden) und auf die Aufrüstung der Region fokussierten Gesamtansatz des deutschen und europäischen "Krisenmanagements" im Sahel. Diese wurde zuletzt immer deutlicher.
Im Februar 2021 veröffentlichte die SWP eine Studie von Wolfram Lacher, in der bereits in der Zusammenfassung von "erfolglose[n] oder sogar kontraproduktive[n] Strategien Deutschlands und Frankreichs" in Mali die Rede ist. Dort heißt es außerdem, dass zumindest "Frankreichs Politik oftmals nachweislich zur weiteren Destabilisierung beigetragen" habe.
Nachdem am frühen Morgen des 25. Juni 180 km nördlich von Gao zwölf Angehörige der Bundeswehr zum Teil schwer verletzt wurden, zeigte sich auch Markus Kaim von der SWP "sehr skeptisch, was die Mission in Mali betreffe" - so die Zusammenfassung des Deutschlandfunks. Wörtlich sagte er am Tag nach dem Anschlag im Interview u.a., dass "die Legitimität des Partners vor Ort, der malischen Regierung, ... de facto gar nicht mehr gegeben [ist]. Von daher bin ich sehr zurückhaltend, was den weiteren Einsatz betrifft".
Annegret Kramp-Karrenbauer: "Einsatz nach wie vor sinnvoll"
Zwei Tage später antwortete die deutsche Verteidigungsministerin, ebenfalls im Deutschlandfunk, auf die Frage, ob man "diesen Einsatz grundsätzlich noch einmal auf den Prüfstand" stellen sollte: "Nein, wir sind vor Ort, und alle unsere Soldaten, aber auch die Vertreter des Auswärtigen Amtes sagen noch einmal ganz deutlich, unsere Präsenz, unsere Arbeit dort ist wichtig für diesen Versöhnungsprozess, der läuft auch weiter."
Welchen "Versöhnungsprozess" Annegret Kramp-Karrenbauer angesichts der zunehmend zerrütteten Verhältnisse in Mali meint, bleibt dabei offen. Trotzdem betont sie, "dass dieser Einsatz nach wie vor Sinn macht".
Denn "Es kann nicht im europäischen, auch nicht im deutschen Interesse sein, dass wir in der Sahelzone eine Region haben, die komplett instabil wird und die komplett Terroristen und kriminellen Gruppen anheimfällt".
Genau diese Tendenz zeichnet sich jedoch seit Jahren zumindest trotz, vielleicht aber auch aufgrund des "kontraproduktiven" Krisenmanagements durch Deutschland, Frankreich und die EU ab.
Wider besseres Wissen
Und bereits seit Jahren wird das nicht nur (Kramp-Karrenbauers obiges Zitat genau genommen Lügen strafend) in wachsenden Teilen der Bundeswehr, sondern auch in den Kreisen der politischen Berater:innen so wahrgenommen. Dessen ungeachtet hält die Bundesregierung an ihrem militärischen Ansatz fest und erhält für die tendenziell wachsende Präsenz der Bundeswehr vor Ort immer wieder Zustimmung aus dem Bundestag.
Letztlich scheint dies primär mit Desinteresse begründbar. Die Debatten im Bundestag zu den Mandatsverlängerungen sind v.a. bei den zustimmenden Parteien von Floskeln und Ignoranz geprägt. Die angesprochene Bombardierung von Zivilisten (offenbar alle männlich) im Januar durch französische Truppen - mit denen sich die Bundeswehr vor Ort Informationen, Essen und medizinische Betreuung teilt - fand in Deutschland kaum Aufmerksamkeit.
Auch hinsichtlich der offenen und anhaltenden Kooperation mit Putschregierungen - gerade im besonders sensiblen Bereich der unmittelbaren militärischen Ausbildung und kostenlosen "Ertüchtigungshilfe" der lokalen Militärs - wird im Sahel mit deutlich anderen Maßstäben gemessen, als wenn es um das Handeln anderer Akteure in anderen Weltgegenden geht.
Auch die von der Bundesregierung im April dieses Jahres (inmitten von Putschen und Eskalationen vor Ort) an die Parlamentarier:innen verschickten, neue "Strategische Ausrichtung des Sahel-Engagements" sorgte für keine neuen Diskussionen unter den Adressaten.
Dabei wären dabei mindestens zwei Tatsachen bemerkenswert gewesen: Erstens hätte das Dokument inhaltlich ebenso zehn Jahre alt sein können und ging nicht im Geringsten auf die aktuellen Entwicklungen ein. Zweitens wird darin die Sahel-Region offiziell zum "geostrategischen Vorfeld Europas" erklärt.