Verwundete in Mali: Informations- und Wahrnehmungsblockade

Seite 2: Desinteresse am Hinterhof

Vor zehn Jahren war noch eher hinter vorgehaltener Hand von einem "Hinterhof" die Rede gewesen. Dazu passt eigentlich ganz gut, dass in ganz Europa niemand - zumindest niemand mit nennenswerter öffentlicher Resonanz - die Frage nach der völkerrechtlichen Legitimität der französischen Anti-Terror-Operation Barkhane, ihrem europäischen Pendant Takuba und der EU-Ausbildungsmission EUTM zu stellen scheint.

Das Desinteresse bzw. die Wahrnehmungsblockade ist jedoch nicht auf die Politik beschränkt, sondern betrifft v.a. auch die Medien. Natürlich waren zwölf deutsche Verwundete - darunter drei Schwerverletzte - hierzulande erstmal eine Schlagzeile wert - die jedoch schnell von einem Amoklauf in Würzburg verdrängt wurde, welcher reflexartige Diskussionen zum Thema Migration animierte.

Auch in den folgenden Tagen berichteten die Leitmedien brav über die neuesten Informationshäppchen, die ihnen das Bundesverteidigungsministerium hinwarf. Diese begrenzten sich weitgehend auf den Transport der Verwundeten nach Deutschland und ihre anschließende Verlegung in Bundeswehr-Krankenhäuser. Da konnte man fast live dabei sein.

Das erscheint auf eine Art nachvollziehbar und selbstverständlich, überdeckt aber - man könnte vermuten: absichtlich - letztlich wichtigere Fragen. So hatte z.B. die Minusma ursprünglich berichtet, dass die deutschen Einheiten einen Konvoi des malischen Militärs begleitet hätten, um ihn zu schützen. Dieser Umstand - obgleich vermutlich zutreffend - wird vom BMVg und den Medien bislang fast vollständig ausgeblendet und teilweise verleugnet. Hier ist stattdessen immer wieder von einer Aufklärungsmission bzw. Patrouille die Rede.

Ungeklärte Aspekte

Ähnlich war es bereits beim Absturz eines deutschen Kampfhubschraubers im Juli 2017 gewesen, bei dem beide Piloten umgekommen waren. Hier hatte das BMVg beharrlich von einem "Routineeinsatz" gesprochen, während die UN eine Verbindung mit Gefechten am Boden (die beobachtet werden sollten) nahelegten. In beiden Fällen kann beides zugleich richtig sein. Auch damals beschränkte sich die öffentliche Diskussion (wie nun beim Verwundetentransport) schnell auf rein technische Aspekte - ohne Auftrag und konkrete Tätigkeiten der Bundeswehr in Mali einzubeziehen.

Ein weiterer völlig ungeklärter Aspekt besteht darin, dass die Deutschen offenbar in einer temporären Basis angegriffen wurden, wo sie - vermutlich mit den malischen Kräften - die Nacht verbracht hatten. Warum diese Basis genau dort errichtet wurde, wo bereits kurz zuvor Anschläge auf internationale Kräfte verübt wurden, bleibt ein Rätsel.

Seltsam auch, wie es einem mit Sprengstoff beladenen Fahrzeug gelingen konnte, nahe genug an eine entsprechend gut gesicherte Basis heranzukommen, um derart viel Schaden anzurichten; und dass dabei nach hiesiger Rezeption ausschließlich deutsche Kräfte und ein belgischer Soldat verwundet wurden.

Die Minusma hatte anfangs von 15 Verwundeten gesprochen. Waren darunter auch malische Kräfte, die hierzulande schlichtweg keiner Erwähnung wert sind? Auch die Frage, wer sich zu dem Anschlag bekannt hat oder dahinterstecken könnte, werden in der deutschen Medienlandschaft kaum erörtert.

Deutschen Medien: Kaum eigene Expertise und Quellen

Das liegt auch daran, dass sich die deutschen Medien kaum eigene Expertise und Quellen in Bezug auf Mali und die Sahel-Region aufgebaut haben. Das ist bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass die Bundeswehr bereits seit 2013 (offiziell und mandatiert) vor Ort ist und die Lage seitdem immer weiter eskaliert. Selbst die Rezeption der etwas intensiver berichtenden französischen oder afrikanischer Medien scheint aus der Mode gekommen zu sein.

Die erkennbaren Bemühungen, temporär diese strukturellen Defizite zu überwinden, bestätigen sie grundsätzlich. "Expertise" wird bei den üblichen Verdächtigen eingeholt: eben der SWP und dem Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung im Sahel mit Sitz in Bamako, Thomas Schiller, der in den vergangenen Tagen offenbar einige Interviews gegeben hat. Aussagen von Expert:innen aus Frankreich oder gar der Sahel-Region selbst sind fast so selten wie Berichte von Anwohner:innen oder Augenzeugen vor Ort.

Das kommt einem schon fast normal vor. Bedenkt man allerdings, wie schnell z.B. in Syrien unter vergleichbar schwierigen Bedingungen immer wieder entsprechende Aussagen und Aufnahmen zur Hand waren, ist das doch bemerkenswert.

Zuletzt lassen sich die Wahrnehmungsblockade oder journalistischen Defizite jedoch auch abseits der fehlenden Informationskanäle in die Region feststellen. Grundsätzlich sollte es z.B. möglich sein, Informationen über Art und Grad der Verletzungen, über die Einheiten und Stationierungsorte der Betroffenen investigativ zu ermitteln. Natürlich steht so etwas in einem Spannungsverhältnis mit der von Qualitätsmedien eingeforderten Pietät bzw. Ethik.

Allerdings sucht man diese Pietät in vielen Medien bei anderen Themen vergeblich und lassen sich Informationen zu den Verwundeten, die über die Stellungnahmen der Regierung herausgehen, auch pietätvoll ermitteln und darstellen - zumindest könnte man das vom Qualitätsjournalismus erwarten. Das Gleiche gilt für Spekulationen, denen sich die deutsche Medienlandschaft in Bezug auf den - mutmaßlichen - Anschlag in Mali, anders als beim Amoklauf von Würzburg, gerne enthalten.

Und so kommt es, dass ausgiebiger über die Motive eines - ebenfalls mutmaßlichen - Einzeltäters diskutiert wird als über ein unfassbares Debakel der deutschen und europäischen Außenpolitik. Und so kommt es, dass sich dieses vermutlich fortsetzen wird.