Vier-Tage-Woche: Warum sind die Gewerkschaften nicht begeistert?

81 Prozent der Vollzeiterwerbstätigen sind für weniger Wochenarbeitszeit. Die Aufteilung ist ein politisches Problem. Es geht um Arbeitsabläufe – und um Stress.

Die Vier-Tage-Woche wird öffentlich viel diskutiert. Unternehmen versuchen so Energie zu sparen, auch Pilotprojekte in Großbritannien haben Schlagzeilen gemacht: Beschäftigte sind mit der verkürzten Arbeitszeit produktiver, weniger gestresst und seltener krank.

Rund 81 Prozent der Vollzeiterwerbstätigen wünschen sich eine Vier-Tage-Woche mit entsprechend niedrigerer Wochenarbeitszeit, zeigt eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Knapp 73 Prozent geben dabei an, eine Arbeitszeitverkürzung nur bei gleichem Lohn zu wollen.

Für die Stahlindustrie hat die IG-Metall angekündigt, in der kommenden Tarifrunde die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich zu fordern. Dies ziele erstmals auf einen kollektiven, tariflich abgesicherten Anspruch für Beschäftigte einer ganzen Branche, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann In anderen Branchen gibt es keine Planung der Gewerkschaften dazu.

Die "Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften" (VKG) fordert jedoch zum Handeln auf. "Um Belastungen wirkungsvoll zu reduzieren und Entlassungen zu verhindern" brauche es die Verkürzung auf vier Tage. Dies gelinge nur, wenn "alle Gewerkschaften für die Arbeitszeitverkürzung kämpfen und nicht nur eine einzelne Branche".

Warum kommen Gewerkschaftsvorstände Forderungen der Beschäftigten nicht nach? Verraten sie ihre Mitglieder?

Zu klären ist dazu zunächst die Frage: um welche Variante der Vier-Tage-Woche handelt es sich? Die belgische Variante etwa umfasst ein vier Arbeitstage bei gleichbleibender Wochenarbeitszeit: "Ein Booster für die Ökonomie, für den wir schon lange kämpfen", bejubelte Belgiens Minister Vincent Van Quickenborne im letzten Jahr die Einführung des Rechtsanspruchs auf dieses Arbeitszeitvariante.

Die Wochenarbeitszeit bleibt gleich, verteilt sich aber auf vier Tage. Wenn aus betrieblichen Gründen nichts dagegen spricht, können Beschäftigte beantragen, an vier Tagen die Woche zu arbeiten. Am Gehalt ändert sich in diesem Modell durch die Neuverteilung der Arbeitszeit nichts.

Der Nachteil: Bei einer 40-Stunden-Woche läge dann die tägliche Arbeitszeit nicht bei acht, sondern bei zehn Stunden. Bei einer gesetzlichen Höchstarbeitszeit von zehn Stunden hierzulande, fehlt es an einer Flexibilität für Arbeitnehmer, etwa an einem Tag nur acht Stunden zu arbeiten, da dann am anderen Tag zwölf Stunden fällig wären. Lange Arbeitszeiten am Tag sind auch aus arbeitswissenschaftlicher Sicht kritisch beim Gesundheitsschutz zu sehen.

Eine weitere Variante ist abhängig vom einzelnen Arbeitnehmer, der einen Antrag auf Teilzeit stellt: Kurze Wochenarbeitszeit bei angepasstem, also geringerem Gehalt. Die Vier-Tage-Woche ist auch als Teilzeitmodell denkbar, verkürzte Wochenarbeitszeit im Vergleich zu einer Vollzeitstelle. Dafür wird der Lohn entsprechend angepasst.

Eine weitere Variante trifft auf Widerstand der Unternehmen: Geringere Arbeitszeit durch Tarifvertrag bei Vollzeitkorridor mit vollem oder teilweisen Lohnausgleich. Für Beschäftigte reduziert sich die Wochenarbeitszeit. Dies ist dann auch als Viertagewoche denkbar, durch unterschiedliche Varianten kann der Betrieb weiter fünf, sechs oder sieben Tage die Arbeit erledigen lassen.

Einerseits stellt sich für die Gewerkschaften die Frage der Durchsetzbarkeit gegenüber den Arbeitgeberverbänden, die diese Vorschläge ablehnen. Andererseits besteht das Problem ist die Messbarkeit der Arbeitsmenge – denn wenn die Produktivität nicht steigt, muss dieselbe Arbeit in weniger Zeit geschafft werden. Das führt zu Stress am Arbeitsplatz, der Leistungsdruck nimmt zu.

Diese Sorge teilen auch Teile der Belegschaften: Wer eine Vier-Tage-Woche grundsätzlich ablehnt, hat sehr oft das Gefühl, dass sich an den Arbeitsabläufen nichts ändern würde (82 Prozent der 17 Prozent, die mit Nein geantwortet haben; auch hier waren Mehrfachantworten möglich) oder die Arbeit in kürzerer Zeit nicht zu schaffen wäre (rund 77 Prozent), so die Hans-Böckler-Stiftung.

Wenn die experimentelle Einführung einer Vier-Tage-Woche zu der Erkenntnis führt, dass das zu keinerlei Produktivitätsverlust führt, sagt das dann nicht etwas Negatives über die bisherige Produktivität aus?

beschreibt Jochen Mai, Karriere-Berater, ein wichtiges Argument aus Unternehmenssicht.

Entscheidend für diese Tarifverträge sind Regelungen zur Personalplanung. Kernstück der Personalplanung ist die Personalbedarfsplanung. Diese kann nur aus den Unternehmenszielen abgeleitet werden und steht deshalb in engen Zusammenhang mit der Produktions-, der Absatz- und der Investitionsplanung.

Für eine wirkungsvolle Umsetzung braucht es verbindliche Vertretungsregelungen, mehr Personal sowie eine angepasste Arbeitsorganisation, z.B. Erreichbarkeitsregeln im Kundenkontakt, und eine verringerte Arbeitsmenge, z.B. durch Automatisierungsprozesse.

Autoren der Hans-Böckler-Stiftung

Die Skepsis der Gewerkschaftsvorstände bei der Vier-Tage-Woche per Tarifvertrag ist nachvollziehbar. Die Vereinbarungen von Ver.di in den Krankenhäusern über "Tarifverträge zu Entlastung" zeigen aber: Dass Regelungen zur Personalplanung möglich sind, zeigen die Tarifverhandlungen im Pflegebereich.

Die Gewerkschaft knüpft an eine große Tradition an, denn Tarifpolitik ist immer auch ein Instrument zur Mitgestaltung der Arbeitsbedingungen. So war es in den 80er Jahren der Kampf um den Lohnrahmentarifvertrag II der IG Metall in Nordwürttemberg-Nordbaden, indem durchgesetzte bezahlte Erholungspausen oder Taktzeitbeschränkungen am Fließband Stress vorbeugen.

An diese Erfahrungen können die gewerkschaftlichen Tarifkommissionen aller Branchen anknüpfen. Für die Belegschaft geht es bei Arbeitszeiten auch um die Planbarkeit. Dies setzt eine seriöse Planung des Personalbedarfs voraus.

Um sinkendes Arbeitsvolumen durch Technik-Einsatz zumindest betrieblich etwas auffangen zu können, ist Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich eine mögliche gewerkschaftliche Antwort.