Virtuelle Räume und reale Erfahrung
Stefan Münker im Gespräch mit Edouard Bannwart
Der Berliner Edouard Bannwart ist ein Experte auf dem Gebiet der VR-Simulationen architektonischer Objekte und städtischer Enviroments. Von den Glücksrittern der virtuellen Realitäten, die sich anschicken, den Cyberspace zu erobern wie seinerzeit die Cowboys den Wilden Westen, unterscheidet ihn nicht zuletzt seine erklärte Absicht, mehr Realität in die künstlichen Welten zu tragen. Im Gespraech mit Stefan Muenker fuehrt Bannwart zentrale Gedanken seines Artikels "Cyber City" fort.
Prof. Edouard Bannwart lebt und arbeitet als Architekt und Stadtplaner in Berlin. Er gründete Art+Com und leitet nun die Firma EchtZeit. Das Interview mit ihm wurde schriftlich geführt. Edouard Bannwart hat im Anschluß an ein längeres reales Gespräch einen Zettel mit meinen Fragen entgegengenommen, und mir seine Antworten per eMail zugeschickt. Der derart entstandene virtuelle Dialog bildet den Auftakt einer Serie von Interviews, deren Form sich zunehmend dem Medium anpassen wird.
In ihrem Text "Cyber City" gehen Sie von der Vision einer zunehmenden Emanzipation der Medien von ihren materiellen Hüllen aus. Demnach sind es in Zukunft nicht mehr die technischen Geräte (das TV, das Radion, der PC), die wir wahrnehmen, sondern komplexe, dreidimensionale Medienräume, in denen wir uns bewegen. Sie sprechen in diesem Zusammenhang von einer "Medialisierung der Städte". Nun sind die modernen Städte des zwanzigsten Jahrhunderts schon lange Projektionsflächen des medialen Scheins - wie es das Beispiel Las Vegas zeigt. Worin unterscheidet sich die 'multimediale Stadt' der Zukunft von der modernen Stadt unserer Gegenwart?
BANNWART Die Stadt definiert sich über die Dichte und Menge des Warentauschs, der Marktpräsenz und der Information, die in ihr zu erwarten ist. Daraus resultiert ihre ideale Mitte, früher der Stadtbrunnen und der Marktplatz, später die Banken und Warenhäuser. Entsprechend der Äquivalenzform der Gelder für den Warentausch ist die virtuelle Realitäteine weitere Abstraktionsform realer Verhältnisse zur Überwindung des Geldes durch die Information als Beschleunigungswert.
Da sich die Produktionsform stets nach der Umsatzgeschwindigkeit richtet (time to product), wird sich auch die Produktionsart zunehmend in der virtuellen Realität in Form von virtual companys verlagern. Genauso wird die damit verbundene Marktpräsenz in den virtual marketplace verschoben (time to market). Die dafür notwendigen Zeichen werden folglich einerseits den traditionellen Orten der Information (ideales Stadt-Zentrum) und andererseits den Informationsmöglichkeiten der virtuellen Realität entsprechend eingesetzt (time to information).
In der Überlagerung beider Produktions-, Markt- und Informationsformen bewegt sich die Medialisierung der Städte, wobei mit neuen Projektions-, Laser- und Screentechniken die traditionellen Standorte der Information in mediale Environments verwandelt werden und die erlernte Informationsverteilung einer Stadt als Metapher für die mnemotechnische Orientierung in der virtuellen Realität dient. Die multimediale Stadt versteht sich so als Abbild der realen und der virtuellen Information, im Sinne einer Erweiterung unseres realen Alltags um die standortsunabhängige Ausweitung unserer Handlungsgeschwindigkeit.
Wenn die Medien- bzw. Datenräume die Strukturen der Orte, an denen wir leben, immer stärker mitgestalten - heißt das, daß Architekten, um ihren gestalterischen Auftrag zu erfüllen, ihr klassisches Arbeitsgebiet zunehmend erweitern und sich in Ergänzung oder Konkurrenz zu den Programmierern der Medienindustrie auch als 'Interface-Designer' bewähren müssen?
BANNWART Zunächst unterscheidet sich ein Gebäude von einem virtuellen Raum vor allem darin, daß es konstruktiv hält, witterungsspezifisch Schutz gibt und nutzbar ist. Jederzeit war Architektur auch Interface Design, weil die Charakteristik der Gebäude auch Ausdruck einer Haltung gegenüber der Umgebung, der gesellschaftlichen Verhältnisse und deren konzeptionellen Ideen einzulösen suchte. Mediale Enviroments sind virtuell und dynamisch. Insofern erweitern sich die klassischen Arbeitsfelder der Architektur um die gestalterische Einbeziehung bewegter Szenarien und globaler Bezüge.
Der Medienraum, dessen Entstehung wir gegenwärtig erleben, ist ein nicht lokal-spezifizierter Ort. Das liegt ganz im Trend der gegenwärtigen Globalisierung der Kulturen. Die Deterritorialisierung, welche der Ausbau der telematischen Netzwelt mit sich bringt, spiegelt sich in der Nivellierung regionaler Identität im internationalen Design des Infotainement. Angesichts dieser Tendenz möchte ich meine Frage nach der (veränderten?) Aufgabe des Architekten noch einmal anders stellen. Gehört es zum Auftrag des Architekten, identitätsstiftende Strukturen - im Sinne von eindeutig lokalisierbaren Markierungen - zu entwerfen? Wie könnte dies unter den Bedingungen der globalen Kultur gelingen?
BANNWART Ausdruck jeder architektonischen Haltung ist es, identitätsstiftende Orte zu konzipieren. Insbesondere in einer ständig komplexer werdenden Umgebung sind eindeutige Markierungen für die Orientierung notwendig. Dies gilt für den realen Raum und noch mehr für den virtuellen. Dafür wird die globale Kultur neue Formen finden, die weder eindeutigen Ortsbezug noch folkloristische Eingrenzungen brauchen. Dennoch werden Übereinstimmungen zwischen der realen und der virtuellen Welt als Verankerungen für unsere Orientierungsfähigkeiten notwendig bleiben.
Ist der Versuch, im globalen Design lokale Spuren zu hinterlassen, anders möglich denn als die Anstrengung, der glänzenden Oberfläche Risse zuzufügen? Ist der Versuch also, dezidierte - gestalterische, formale - eigene Positionen zu entwerfen, daran gekoppelt, kritische Gegenpositionen zu beziehen?
BANNWART In der sich ständig erneuernden Medienwelt und der damit verbundenen notwendigen Medienpräsenz (demo or die!), entstehen viele 'röhrende Hirsche' der Architekturen, real und virtuell. Wer nun mit welcher Position die Medienaufmerksamkeit erreicht, hat mehr mit strategischem Handeln zu tun, als mit einer wie auch immer ausgerichteten Haltung. Warum im globalen Design lokale Spuren hinterlassen werden sollen, kann ich nur als weiteren Versuch werten, eine eigene Position zu entwerfen, medial wahrgenommen zu werden.
Die "Cyber City", das neue Arbeitsumfeld der Stadtgestalter, Architekten, Ingenieure, aber auch der Bürger, Politiker und Konzerne, ist bei Ihnen als computergenierierte Virtual Reality-Umgebung gedacht, in welcher der reale Ort sich digital spiegelt. Sollen wir das so verstehen, daß die Simulation ein Modell vorstellt - oder aber, daß sie eine eigenständige, parallele "City of Bits" darstellt, wie William Mitchell vom MIT das nennt? Welchen 'Grad an Realität' würden sie den VR-Simulationen zusprechen wollen?
BANNWART Die Realität ist unser Erfahrungsmaßstab. Unsere Wahrnehmung, die instinktive Verhaltensweise und jede bewußte Handlungsform basiert auf Erfahrungen mit der Realität. Diese täglich trainierte Existenzgrundlage hilft uns folglich bei jeder Orientierung und Navigation durch komplexe Situationen.
Es ist daher naheliegend, zunächst die Realität als solche in der virtuellen Welt wiederzufinden, bevor wir mit einer neuen Zeichensprache den Zugang zur virtuellen Realität erschweren.
Angesichts der Perspektive einer möglicherweise zunehmenden Aneignung des öffentlichen Raums durch private Gestalter medialer Umgebungen erheben Sie am Ende Ihres Textes die Forderung, den öffentlichen Raum gegen seine Usurpation durch private Interessen zu verteidigen. Wie stellen Sie sich eine entsprechende Strategie dazu vor?
BANNWART Eine Strategie gegen die Medialisierung des öffentlichen Raumes wäre ähnlich erfolglos, wie die Forderung nach Abschaffung der Werbung schlechthin. Worum es mir geht, ist die Rücksichtnahme auf alltägliche Bedürfnisse nach Sonne, Luft und Ruhe. Dies wird in Zukunft zumindest in zentraler Lage noch schwieriger gegenüber privaten Interessen durchsetzbar sein als bislang.
Berlin, März/April 1996