Virus der Prominenz

Willkommen in der Aufmerksamkeitsgesellschaft! Nach einer Umfrage unter britischen Kindern stehen Reichtum und Prominenz als Werte ganz oben

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Wir leben in einer Aufmerksamkeitsgesellschaft. Medien und Prominenz bedingen einander, das hat auch dunkle Seiten. Terroristen etwa und Amokläufer versuchen sich in die Aufmerksamkeit der Medien und der Menschen einzubrennen, wie das Werbung und alle Versuche des Branding auch machen. Menschen, Themen, Waren müssen herausragen, um überhaupt aufzufallen. Die Spirale läuft – und täglich wird allen Medienkonsumenten vorgeführt, was einzig zählt: Prominenz. Sie schafft nicht nur Anerkennung durch Aufmerksamkeit, sondern auch zunehmend Einkommen – in einer durch irgendwelche Leistungen, falls eine solche überhaupt vorliegt, keineswegs mehr abgedeckten Höhe.

Kein Wunder ist, dass bei den Kids mittlerweile Prominenz zum Wertmaßstab und Wunschtraum geworden ist. Sie verbringen ebenso wie ihre erwachsenen Vorbilder einen guten Teil ihres Lebens mit den Medien und den von diesen erzeugten Prominenten, von denen die quoten- und aufmerksamkeitsorientierten Medien allerdings auch in einem circulus vitiosus wieder abhängig sind. Und sie sehen, wie sich alle abmühen, in den Reality und Casting Shows zur Prominentenerzeugung unübersehbar sichtbar, in die Reihen der kleinen und großen Götter oder Götzen zu gelangen, um die sich die Welt zu drehen scheint. Und weil einzig Prominenz wichtig ist, erbomben und erschießen sich eben auch manche auf blutige Weise und auf Kosten des eigenen Lebens den Eintritt in den Aufmerksamkeitsolymp.

Nach einer Umfrage unter britischen Kindern bis zu 10 Jahren steht auf der Liste, was "das Allerbeste in der Welt" ist, an zweiter Stelle, ein Prominenter zu sein (weil das fast schon unwahrscheinlich ist, wurde die Umfrage auch schon so von Medien uminterpretiert, dass Prominenz an erster Stelle gestanden habe). Prominent kann man auf viele Weise werden, aber das scheint zurückzutreten, Hauptsache, man wird wahrgenommen (und kassiert). Prominente sind der Adel der Aufmerksamkeitsgesellschaft. Immerhin ist sie durchlässiger als die Feudalgesellschaft und auch als die frühe kapitalistische Gesellschaft, in der zwar auch viele Neureiche, die zu ihrem Kapital und Besitz auf durchaus zweifelhafte Weise gekommen sind, aufgekommen sind. Jetzt kann Jeder und Jede, die es irgendwie schafft, einen Aufmerksamkeitscoup zu landen, plötzlich aufsteigen – allerdings auch schnell wieder fallen, wenn es nicht gelingt, sich in die Netzwerke einzuklinken und für kontinuierlichen Nachschub der Ressource Aufmerksamkeit zu sorgen. Meist ist es allerdings so wie auch beim Kapital, das sich, so Karl Marx, selbst heckt, wenn es einmal da ist.

Insofern ist also ganz realistisch, wenn Kinder ihre Karriere auf Aufmerksamkeit und Prominenz ausrichten, zumal wenn sie aus den nicht sowieso privilegierten Kreisen stammen, in denen Geld, Besitz und Netzwerke vorhanden sind. Auf dem ersten Platz stand bei den Kindern, wozu Prominenz helfen soll: "Geld und reich werden". Zwar spielt auch die Familie eine Rolle, aber nach der Prominenz kommen erstmal weitere Aufmerksamkeitskarrieren: Fußball und Popmusik. An erster Stelle bei den schlechtesten Dingen stehen Betrunkene und Rauchen. Das mag erfreulich sein, wenn diese Gewohnheiten zu Eigenschaften von Losern werden, aber natürlich sind das auch die Loser in der Aufmerksamkeitsgesellschaft.