Viva la Vita
Sonys neue Handheld-Spielkonsole
Bis vor kurzem waren es noch die Computer, die von neuen Technologien der Spielharedware-Entwicklung beeinflusst wurden. Seit Nintendos DS-Handheld (oder vielleicht sogar schon seit Apples Newton-Pad) hat sich dieser Vektor gedreht. Nun laufen sowohl die Computer- als auch Spiele-Hardware-Entwicklung auf ein mittleres Segment zu, das der Idee des ubiquitous computing so nah kommt, wie kaum eine Technik zuvor. Sonys neue Handheld PSVita setzt diesbezüglich neue Maßstäbe.
Nachdem Sony 2009 mit der PSP Go einen ziemlichen Flop auf den Markt gebracht hat (entgegen dem Wunschdenken vieler Produzenten ist datenträgerlose Software nicht jedermanns Wunsch und Sache), hat es der Konzern drei Jahre später noch einmal versucht, dabei aber nicht bloß das UMD-Laufwerk weggelassen, sondern gleich eine ganz neue Hosentaschen-Konsole veröffentlicht, die man wohl ohne Zögern als den Prototypen einer neuen Handheld-Generation sehen kann, schaut man allein auf die Hardware der PS Vita.
Im Inneren ticken vier ARM 9 Cortex A9 Prozessorkerne, die Sony mit 1,4 GHz etwas vorsichtig untertaktet hat. Zusammen mit dem Grafikprozessor (PowerVR SGX 543 MP4+) und dem 960 x 544 Pixel großen Truecolour-OLED-Screen liefern sie die bislang beste Grafikdarstellung auf dem Handheld-Markt. Neben einem halben Gigabyte RAM und 128 MB Videospeicher verfügt die Vita über keinerlei semi-permanenten Speicher zum Sichern von Daten oder Programmen. Dieser muss über bis zu 16 GB große, proprietäre und deshalb sehr teure SD-Karten ergänzt werden. Dass allein Speicher, Rechen- und Grafikpower - insbesondere bei tragbaren Geräten - nicht die alleinentscheidenden Qualitätsmerkmale sind, ist evident. Was bietet PS Vita also darüber hinaus an Hardware-Möglichkeiten?
Die äußeren Werte zählen (auch)
Sony hat aus der eigenen Vergangenheit, mehr aber noch von der Konkurrenz gelernt. 3D-Grafikfähigkeit, wie bei Nintendos 3DS, scheint derzeit noch eine augenermüdende (und beim 3D-Betrieb recht düstere) Spielerei ohne echten Spielwert zu sein, weswegen man sich bei Sony gegen dieses Feature entschieden hat. Dafür ist der frontale 16:9-OLED-Screen berührungsempfindlich und lässt Gestensteuerung zu. Auf der Rückseite des Gerätes befindet sich eine weitere ebenfalls 12 Diagonal-Zentimenter große, berührungsempfindliche Fläche, so dass anstelle einer bloß simulierten grafischen Dreidimensionalität eine echte 3D-Steuerung möglich ist, die bei einigen der zeitgleich zum Konsolenstart im Handel erhältlichen Spiele auch sinnvoll und fantasiereich genutzt wird.
Die beiden mit ihrer nur 1,3 Megapixel großen Auflösung eingebauten Kameras befinden sich auf der Vorder- und Rückseite des Gerätes. Fotos mit der PS Vita zu schießen ist möglich aber angesichts des fehlenden Blitzlichts und der Qualität sinnlos. Dafür wird das Spielen von Augmented-Reality-Games nun von Werk aus möglich, wozu auf dem Vorgänger-Handheld extra eine überteuerte und schlechte VGA-Kamera angeschafft werden musste. (Drei dieser Spiele verschenkt Sony an Neukunden der PS Vita.) Auf der Vorderseite befinden sich zudem zwei kleine Lautsprecher, die von allen Sony-Spielkonsolen bekannten Funktionstasten sowie an der Unterseite USB-komaptible und Kopfhörer-Buchsen.
Steuern und Speichern
Aufgerüstet hat Sony auch bei der Steuerung. Neben den zeitweise sinnvoll, nicht selten aber recht "gefährlichen" Gestensteuerungen (gerade die gestengesteuerten AR-Titel bringen die Vita nicht selten in Absturzgefahr) verfügt die Handheld zusätzlich über eine Sixaxis-Steuerung, ein digitales Steuerkreuz, die bekannten, Sony-typischen vier Funktionstasten, zwei Schultertasten und zwei (!) Analogsticks. Gerade letztere stellen für Vielspieler den vielleicht größten Steuerungsmehrwert dar. Vergleicht man diese Steuervielfalt mit den Möglichkeiten der 3DS, hat Sony rein technologisch betrachtet die Nase wieder einmal vorn.
In etlichen Besprechungen der PS Vita wird vor allem immer wieder auf zwei Probleme hingewiesen: Zum Einen der bereits erwähnte, fehlende Arbeitsspeicher: Gerade, wenn man sich Spiele aus dem Playstation-Network lädt, benötigt man einen Speicherchip, der propritär von Sony angeboten wird. Preislich liegt er sogar noch über den vergleichsweise teueren ProDuo-Chips, die für die PSP nötig waren. Im Handel gekaufte Spiele kommen auf so genannten "Playstation Vita Cards" daher, die in einen weiteren Slot eingesteckt werden. Im Gegensatz zu den UMDs des Vorgängermodells hat man hier also weniger mit sich herumzutragen und kann froh darüber sein, dass Sony die Idee der reinen Download-Spiele wieder aufgeben hat. Der andere Kritikpunkt betrifft die Akku-Laufzeit, die, je nach Nutzungsintensität, zwischen drei und fünf Stunden liegt. In Anbetracht der Tatsache, dass man den Akku der PS Vita nicht (etwa gegen einen weiteren mitgeführten, geladenen) austauschen kann, stellt dies wohl das größte Problem für Unterwegsspieler dar.
Das Betriebssystem
Wie eingangs geschrieben, hat die PS Vita von ihrer Hard- und Software-Funktionalität einiges von der Konkurrenz gelernt. Damit ist aber nicht etwa bloß Nitendos 3DS gemeint, sondern vor allem die Smartphones und Tabletcomputer, die jetzt zusehends auf den Markt für Mobilspiele drängen. Angefangen bei der Gestensteuerung bis hin zu den Zusatzfunktionen des Betriebssystems enthält die PS Vita etliches, was zuvor nur bei iPhone, iPad & Co. verfügbar war. Neben der komfortablen Verwaltung von Multimedia-Inhalten und der Internetfähigkeit lässt sich die Vita auch als Kommunikationsmittel nutzen: Insbesondere, wenn man sich für die 50 Euro teurere Version mit 3G-Fähigkeit entscheidet, kommen verschiedene Chat- und Kommunikationsmöglichkeiten auf das Handheld. Aber schon in der günstigeren WiFi-Version lassen sich Datenübertragungen zu in der Nähe befindlichen anderen PS Vitas realisieren. Dabei dürfte das in beide Versionen eingebaute Bluetooth ebenfalls nützlich sein.
Der Internetbrowser ist wegen der vom Betriebssystem angebotenen virtuellen Sensor-Tastatur um einiges angenehmer zu bedienen als der PSP- oder PS3-Browser. An letztere angeschlossen lässt sich die Vita mit Software und Speicherständen bestücken sowie backupen. Neben Inhalts-Verwaltungsprogrammen für Musik, Videos und Fotos besitzt die Vita eine GoogleMaps-Software, die mit Hilfe des eingebauten Standortmessers Karten zur Verfügung stellt - um einiges brauchbarer als die teuren Stand-GPS-Erweiterungen für die PSP - zumindest wenn man eine 3G-fähige Vita mit sich führt. Die Kompatibilität für PSP- und Mini-Games ist zwar angekündigt, doch lassen sich leider bislang nur wenige Titel auf die Vita übertragen und spielen. Ob eine Kompatibilität zu PlayStation-1, -2- oder gar -3-Titeln vorliegt, bleibt anzuzweifeln. Angeblich muss man sich seine auf UMDs vorliegenden PSP-Titel aber offenbar gegen eine zusätzlich zu entrichtende Gebühr freischalten lassen, bevor man sie auf der Vita spielen kann.
Fast nichts ist umsonst
Der anfängliche Misserfolg von Nintendos 3DS wurde vor allem auf die zu wenigen bei Verkaufsstart vorliegenden Spiele zurückgeführt. Was nützt die neueste Spielkonsole ohne dazu passende Software? Dem wollte Sony vorbeugen und hat zum Start der PS Vita gleich ca. 20 Titel am Start, die - neben den alten Inhalten von PSP und Minis - die Power der neuen Handheld vorführen sollen. Einige sind als Testversionen auf dem Server erhältlich, so dass der geneigte Spieler nicht gleich zwischen 30 und 50 Euro für die Titel investieren muss, ohne sie vorher getestet zu haben.
Die bereits erwähnten drei Augmented-Reality-Spiele nutzen das beiliegende AR-Kartenset, um mithilfe der eingebauten Kameras Spielinhalte in Videobilder einzublenden. Die Spiele selbst scheinen dabei eher das Konzept AR vorführen zu wollen, anstatt wirklichen Spielspaß in oder auf die Hände des Spielers zu zaubern. Das Spiel "Fireworks" zaubert ein virtuelles Feuerwerk auf den realen Tisch, "Table-Football" ist eine viel zu schwer steuerbare Tischfußball-Simulation und "Cliff Diving" kommt im "Pain"-Stil daher und lässt auch außerhalb des heimischen Badezimmers Klippen und Lagunen entstehen, die die wagemutige Spielfigur für ihre Sprünge ins virtuelle Nass nutzt.
Springen und Fahren
Unter den zuerst erhältlichen Kauftiteln sticht besonders die aktuelle Version von "Uncharted" hervor. In "Golden Abyss" ist der Held Nathan Drake wieder einmal in einem Dschungel unterwegs, um Heldentaten zu vollbringen und Schätze zu bergen. Die Berührungssteuerung macht von diesem Titel ausführlichen Gebrauch, weswegen das Spiel - in Verbindung mit der hervorragendes Grafik - vielleicht zu einem frühen Platform-Seller werden könnte. Von anderen Titeln kann man nur bedingt behaupten, dass sie die Fähigkeiten der PSVita hinreichend oder gar originell ausnutzen.
Das ebenfalls für Sony-Geräte proprietäre Rennspiel "MotorStorm" ist für die Vita als "RC"-Version verfügbar, was nicht etwa "release candidate" bedeutet, sondern "Remote Control" und für ferngesteuerte Spielzeugautos steht. Ähnlich zu Spielzeugauto-Rennspielen wie "Smash Cars" steuert man hier die Mini-Versionen der aus den anderen "MotorStorm"-Titeln bekannten Offroad-Fahrzeuge über nicht uninteressante Parcours: Sandkästen, Minigolfplätze und Skateboard-Halfpipes sind das ideale Terrain für die Gefährte. Deren Winzigkeit erweist in Verbindung mit dem für ein Handheld zwar großen, aber trotzdem ja recht kleinen Screen der Vita als ziemlich "kurzsichtige" Planung der Software-Schmiede. In Verbindung mit der ungewohnten Steuerung über die beiden Analog-Sticks ist der einmal geleistete Kaufpreis des Spiels wohl die beste Motivation, den Titel weiterzuspielen.
Schieben und Fliegen
Ein recht teuerer Witz ist UbiSofts "Lumines Electronic Symphony", das vor allem mit seinem Spielsoundtrack wirbt, zu dem etliche Elektronik-Musiker (wie Chemical Brothers oder Kaskade) Titel beigesteuert haben. Das Spiel selbst ist eine etwas kompliziert aussehende aber schnell langweilig werdende "Tetris"-Variante, zu der dann eben die Musik ertönt, deren Lizenzierung wohl einen Großteil der knapp 37 Euro Kaufpreis ausgemacht haben dürfte.
Rasant ist dagegen der Vita-Ableger des Playstation-Dauerbrenners "WipeOut" - hier mit der Jahreszahl "2048" als Beititel versehen - geworden. Das Spiel wirkt so plastisch wie die FullHD-Versionen auf der PlayStation 3 und lässt sich sowohl über die Analogstick als auch das digitale Steuerkreuz als auch mit der eingebauten Neigungssensorik steuern. Letztere kann im "Berühren & Neigen"-Steuerungsmodus aktiviert werden; dann wird auch die Rückseite der Vita als Gaspedal nutzbar. Nach kurzer Eingewöhnung in diese Steuerungsalternative möchte man sie nicht mehr missen.
Die meisten derzeit erhältlichen Spiele scheinen die Möglichkeiten der PS Vita noch nicht annähernd auszunutzen. Immerhin eröffnen die Schnittstellen der konsole in Verbindung mit ihren mächtigen inneren Werten Möglichkeiten, wie man sie zurzeit bei keinem anderen Gerät auf dem Markt findet. Diesen Vorsprung gilt es für Sony dieses mal geschickt auszunutzen, um die Marktsegmentierung zwischen eher kindlichen Spielern der Nintendo-Welt und den finanziell etwas besser betuchten jungen Erwachsenen der Sony-Fraktion stärker zu kontrastieren.
Viva la Vita (9 Bilder)
Was die PS Vita zu bieten hat und ob Sony sich durch allzu rigides "blackboxing" wie schon bei der PS3 in der Software-Entwicklung selbst ausbremst, bleibt abzuwarten und zu befürchten. Sobald sich die Kompatibilität zur PSP auch praktisch nutzen lässt, ist ein Hardware-Upgrade auf die PS Vita jedoch sehr zu empfehlen.
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