"Vogel- und Insektensterben": Die industrielle Landwirtschaft als Quelle des Übels?

Seite 2: Maisfelder, Pestizide, Überdüngung?

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Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) erläutert die Studie ebenfalls, der Akzent liegt schon in der Überschrift auf dem bestätigenden Charakter der Studie und der ihr innewohnenden Dramatik. Dass dies gleich mit einem großen Bienenfoto illustriert wird, obwohl Bienen nicht Thema der Studie waren, verweist auf den größeren politischen Rahmen, in den der Nabu diese Untersuchung stellt. Es geht dem Naturschutzbund um Zusammenhänge mit der Landwirtschaft:

Durch die Studie konnte nicht abschließend geklärt werden, wie groß der Einfluss durch die intensive Landwirtschaft auf den Zustand der Insektenwelt tatsächlich ist. Ein Hinweis, dass die Wahrscheinlichkeit hierfür sehr groß ist, liefert uns die Studie aber dennoch. Bei den Untersuchungsflächen weisen nämlich 90 Prozent der Standorte im Umfeld intensive Landwirtschaft auf. Damit sind diese Standorte ganz typisch für Schutzgebiete der heutigen Kulturlandschaft Deutschlands.

Nabu

Pestizide und Überdüngung spielen eine Rolle, folgert der Nabu:

Etwa 60 Prozent aller Naturschutzgebiete sind hierzulande kleiner als 50 Hektar. Die Gebiete werden durch ihre Insellage und durch ihre langen Außengrenze stark von ihrer Umgebung beeinflusst - äußere Einflüsse, wie der Eintrag von Pestiziden oder Nährstoffen (Eutrophierung) können nicht ausreichend abgepuffert werden. So liegt es nahe, dass durch Praktiken der intensiven Landwirtschaft der Erhaltungszustand vieler Schutzgebiete massiv beeinträchtigt wird - und nicht zuletzt der von Insekten.

Nabu

Und:

Dass der Insektenrückgang besonders in dem Zeitraum eingesetzt hat, in welchem auch diese Pestizide erstmalig auf den Markt kamen, ist sicherlich kein Zufall. Es könnte ein Hinweis darauf sein, dass sie einen großen Anteil beim Insektensterben spielen.

Till-David Schade, NABU-Referent für Biologische Vielfalt

Das "regelrechte Vogelsterben"

Gefährdet sind aber nicht nur die Insekten, sondern auch die Vögel, wie der Naturschutzbund ergänzt. In einer Auswertung der Vogelbestandsdaten der Jahre 1998 bis 2009, die die Bundesregierung 2013 an die EU gemeldet hat, kommt der Nabu zu einem ebenfalls dramatischen Ergebnis: Die Zahl der Vögel in Deutschland gehe deutlich zurück.

Binnen zwölf Jahren seien 12,7 Millionen Brutpaare verloren gegangen - ein Minus von 15 Prozent. Die Brutpaare aller Vogelarten seien von 97,5 auf 84,8 Millionen gesunken. Besonders betroffen seien vorneweg der Star, mit fast 2,6 Millionen Brutpaaren weniger, und auf den nächsten Plätzen häufige Arten wie Haussperling, Wintergoldhähnchen und Buchfink.

Man müsse von einem "regelrechten Vogelsterben" sprechen, so der Nabu-Präsident:

Während wir es schaffen, große und seltene Vogelarten durch gezielten Artenschutz zu erhalten, brechen gleichzeitig die Bestände unserer Allerweltsvögel ein. Sie finden einfach in unserer heutigen aufgeräumten Agrarlandschaft außerhalb von Naturschutzgebieten keine Überlebensmöglichkeiten mehr.

Olaf Tschimpke, Nabu

Auch beim "Vogelsterben" steht die Landwirtschaft in der Kritik, vor allem die Bewirtschaftung, die auf großen Mais- und Rapsfelder setzt. "In der Entwicklung unserer landwirtschaftlich genutzten Flächen ist auch der mutmaßliche Grund für diesen massiven Bestandseinbruch zu suchen", so der Nabu-Vogelexperte Lars Lachmann. Im betroffenen Zeitraum habe der Anteil an artenreichen Wiesen und Weiden oder Brachflächen drastisch abgenommen, stark zugenommen habe dagegen der Anbau von Mais und Raps.

Die Reaktion des Bauernverbandes

Der Deutsche Bauernverband sah sich zu einer Reaktion aufgefordert. Man verwies, wie üblich, auf die Lücken der Untersuchungen und betonte, wie ernst es dem Bauernverband mit der Erhaltung der Artenvielfalt sei:

Wir Landwirte haben großes Interesse an der Erhaltung der Vielfalt von Insekten und Vögeln, da wir mit der Natur arbeiten und dies die Grundlage unserer Existenz ist. Die heute vorgestellte Studie über die Entwicklung der Insekten in Deutschland bestätigt und betont ausdrücklich, dass es noch dringenden Forschungsbedarf zum Umfang und den Ursachen des dargestellten Insektenrückgangs gibt. Wir brauchen ein repräsentatives Monitoring, um belastbare Datenreihen zu bekommen.

Deutscher Bauernverband

Eindeutige Rückschlüsse auf die Ursachen der Bestandstrends lassen sich nicht ziehen, das ist die Argumentationslinie, die sich anbietet und die der Interessensverband der Bauern nicht liegen lässt. Landwirtschaftliches Handeln setzte er in seinem Statement ans Ende der aufgezählten Faktoren:

Es gibt sicher vielfältige Einflüsse auf die Entwicklung der Artenvielfalt wie Industrie, Urbanität, Verkehr, Jahreswitterung, Klimaveränderungen und auch landwirtschaftliches Handeln.

Deutscher Bauernverband

Hinzugefügt wird, dass man eine ganze Menge macht. Man betreibe eine Reihe von Projekten wie "Lerchenfenster, Blühstreifen, blühende Herbstsaaten und Naturschutzprojekte". Auf jedem dritten Hektar würden freiwillig Agrarumweltprogramme umgesetzt, "zusätzlich beteiligen sich die Landwirte an Vertragsnaturschutzprogrammen, legen Blühstreifen und Landschaftselemente an. In Biodiversitätsprojekten erarbeiten Landwirte und Naturschützer gemeinsam praktikable und wirtschaftlich tragfähige Maßnahmen".

"Weiter so" geht nicht

Offensichtlich reichen diese Maßnahmen nicht, so der Eindruck, den nicht nur der Nabu erhebt und der Thema vieler Gespräche von aufmerksamen Zeitgenossen ist und nun durch zwei mit wissenschaftlicher Systematik durchgeführten Lagebefunde zum Rückgang der Vögel-und Insektenpopulation (die zur Nahrung der Vögel gehören) erhärtet wird.

Zwar scheint es angesichts unserer Ernährungsgewohnheiten, die mit der industriellen Landwirtschaft verzahnt sind, derzeit unrealistisch im großen Ganzen auf absolute Forderungen wie völliges Unterlassen des Gebrauchs von Pestiziden zu setzen, und bis es nur mehr biologisch arbeitende Bauernhöfe schaffen, das notwendige Nahrungsangebot bereitzustellen, wird es wohl dauern. Wenn das überhaupt gelingen kann oder gelingen muss. Es gibt schließlich auch Landwirtschaftsbetriebe, die nicht "bio" sind, aber mit Sorgfalt für die Umwelt produzieren.

Aber man kann sich auch hier nicht auf einem "Weiter so" ausruhen. In den Blick genommen werden muss, wie sehr Konzerne die Art der landwirtschaftlichen Produktion bestimmen und wie sehr Subventionen einseitig eine Produktionsweise fördern, die zu schlimmen Konsequenzen führt.