Vom Fischer un syner Fru

Das Paarungsverhalten des Außenministers und andere Erfolge der Achtundsechziger

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Der Außenminister hat eine Neue. Die Boulevardpresse berichtete Mitte September über die Scheidung, Fotos von der Nachfolgerin gab's schon vorher. "Bereits in den vergangenen Wochen hatte sich Fischer immer häufiger mit seiner neuen Herz-Dame in der Öffentlichkeit gezeigt - beim gemeinsamen Samstags-Einkauf im Gemüseladen oder beim Bummel über Fischers Lieblings-Flohmarkt am Spreeufer," wußten die Paparazzis in Springers "Bild zu berichten.

Vier Ehen hat der grüne Frontmann bis dato hinter sich gebracht, und das könnte man als seine Privatangelegenheit auf sich beruhen lassen, wäre der Partnerwechsel nicht jeweils im Zuge einer vollständigen politischen und charakterlichen, teilweise sogar körperlichen Mutation erfolgt: Der muskulöse Sponti der siebziger, der verfettende Grüne der achtziger, der heruntergehungerte Minister der späten neunziger Jahre hatte jeweils die passende Lebensabschnittsgefährtin und verkörperte den jeweiligen Zeitgeist.

Als Umweltminister in Wiesbaden ähnelte er physiognomisch dem Landesvater Holger Börner und bediente gleichzeitig sein altes Milieu über eine tigerhosengewandete Punkerin an seiner Seite. Als Kriegsminister in Wiesbaden verbandelte er sich, dem Vorbild in Washington folgend, mit einer Praktikantin. Deutschlands Durchbruch zur Weltspitze, der erste Kriegseinsatz der Bundeswehrmacht 1999 gegen Jugoslawien, konnte nur ein Minister erzwingen, der selber zäh wie Leder und flink wie ein Windhund war. Nun ist es wieder aus mit dem Marathonmann: Aus dem abgezehrten Joseph ist wieder der dickliche Joschka geworden, der nach vorübergehenden Querelen und Petzereien wieder an der Hand des Großen Bruders aus Amerika spaziert.

Die Abkehr von der öden Monogamie betreiben auch andere aus der politischen Klasse: Schröders fliegender Wechsel von Hillu zu Doris, Scharping ("Bin Baden") zuerst im Pool und dann auch vor dem Standesamt mit seiner Gräfin, selbst der biedere Waigel hat sich auf seine alten Tage noch die medaillenschwere Skifahrerin Irene Epple geschnappt. Der Beständigste unter den Wendehälsen ist noch Jürgen Trittin, der sich bis dato nur von seinem Schnauzbart getrennt hat - rechtzeitig zum Inkrafttreten des Zwangspfandes. "Gestern war ich eine Flasche, heute bin ich ein Dose", kalauerte das Magazin KONKRET unter einem Bildvergleich(früher/heute) des Umweltministers.

Der Unterschied zur Bonner Republik ist gewaltig: Dominierten damals gutmütige Patriarchen wie Kohl oder autoritäre Vaterfiguren wie Schmidt, an deren Seite man ein ganzes Leben lang treusorgende Ehefrauen wie Hannelore oder Loki bewundern und bemitleiden durfte, so regieren uns jetzt Leute mit sogenannten "gebrochenen Biographien", die mindestens einmal im Jahrzehnt die Frau oder sogar die sexuelle Orientierung wechseln.

An dieser Flexibilität wäre an sich wenig auszusetzen, würde sie nicht mit Konformismus Hand in Hand gehen. Fischer posiert mit Halbbrille und Siegelring, als wolle er den ersten Preis im Erich-Böhme-Ähnlichkeitswettbewerb gewinnen. Dreiteiler, Zweireiher und Sockenhalter sind obligat. Die rebellische Attitüde der 68er-Spätlese ("Wer immer mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment") verbindet sich mit einer erzreaktionären Politik, die die 1968 amtierende CDU-Garde vor Neid erblassen lassen würde: Was sind schon die Notstandsgesetze gegenüber Schilys Otto-Katalog der Inneren Sicherheit, was Kiesingers heimliche Unterstützung des Vietnamkrieges gegenüber Fischers offene Aggression gegen Jugoslawien?

Die 68er haben gesiegt

Make Love and War: Der Krieg erfordert keine normierte Volksgemeinschaft mehr, sondern verträgt sich auch gut mit der Spaßgesellschaft. Gestorben wird nämlich nur woanders, wir aber feiern - bis zur Vergasung. Harald Schmidt, Pionier und Vorkämpfer der schönen neuen Republik, bringt den Zeitgeist auf den Punkt:

Man muss ja sagen, dass Jürgen und Sabrina (Mitwirkende der ersten Staffel von "Big Brother", Anm. J.E.) letztlich die Basis für Müntefering und Schröder sind. Alle sind super drauf, locker, alles läuft tierisch. Keine Vorurteile. Jürgen möchte, dass ein Schwuler in die WG kommt. Sabrina beurteilt niemanden nach der Hautfarbe.

Die Achtundsechziger haben gesiegt, der Spießer ist tot: Außenminister und Kanzler dürfen sich x-mal scheiden lassen, Schwule können heiraten und Berlin regieren; was früher als pervers galt, kann man heute in der Volkshochschule lernen. Gegenüber Minderheiten ist Deutschland tolerant, und anderen Staaten, die noch nicht soweit sind, wird notfalls mithilfe von Cruise Missiles Multi-Kulti beigebracht.

Die Achtundsechziger haben gesiegt, und deshalb ist die Welt so hässlich, wie sie heute ist. Selbstverständlich gibt es Lüge und Betrug nicht nur bei den Grünen, sondern auch bei Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten. Wer erinnert sich nicht an die unzähligen Parteispendenaffären, an Brandts Versprechen "Mehr Demokratie wagen" und die Berufsverbote, an Kohls "blühende Landschaften" und die folgende Deindustrialisierung. Doch nur die Achtundsechziger haben es geschafft, via grüne Partei ihre wichtigsten programmatischen Grundsätze, nämlich Ökologie und Frieden, vollständig zu verraten und das auch noch als Prinzipientreue zu loben.

Fighting for peace is like fucking for virginity, höhnten sie als Apo-Rebellen. Heute verkaufen sie die dreißigjährige Bestandsgarantie für AKW als Atomausstieg und den weltweiten Krieg als Friedenssicherung. Dieses doppelte Spiel ist das Kennzeichen der Schönen Neuen Welt: der Präsident, der Haschisch raucht, ohne zu inhalieren; das gepiercte Girlie, das auf "Schände mich" herausgeputzt ist, aber vorehelichen Sex ablehnt; der schwäbische Abgeordnete, der als Türke renommiert (oder umgekehrt); die Erfinderin des Feminismus, die den Macho Schröder anhimmelt. Alles ist doppelt codiert, niemand ist festgelegt.

Libido und Marktwirtschaft

Die Achtundsechziger haben gesiegt; das heißt aber auch, dass sie weder sich noch die Linke verraten haben, wie es etwa Jutta Ditfurth in ihrer Abrechnung mit den Grünen vertritt. Vielmehr haben sie sich zur Kenntlichkeit entstellt, schon auf ihrer Startdiskette waren Killerviren eingespeichert. Der entfesselte Individualismus und Hedonismus vernichtet, wie Michel Houellebecq in seinem Roman "Elementarteilchen" beschreibt, jede Form von kollektiver Geborgenheit, nur die Schönsten und Skrupellosesten überleben.

Viele Jahre später sollte Bruno feststellen, dass die Welt der Kleinbürger, die Welt der Angestellten und mittleren Beamten toleranter, liebenswürdiger und aufgeschlossener ist als die Welt der Aussteiger, der am Rande der Gesellschaft lebenden jungen Leute, die damals durch die Hippies verkörpert wurden. 'Ich kann mich als ehrbarer Angestellter verkleiden und von ihnen akzeptiert werden', sagte Bruno gern. Dafür brauche ich nur einen Anzug, eine Krawatte und ein Oberhemd zu kaufen - das ganze für 800 Francs im Schlussverkauf bei C&A ... Dagegen würde es mir nichts nützen, mich als Aussteiger zu verkleiden: dafür bin ich weder jung, noch schön, noch cool genug.

Parolen wie "Wir wollen alles, und zwar sofort" oder "Es ist verboten zu verbieten" klangen 1968 anarchistisch. Vor allem in der Bundesrepublik schien es, als ob der rebellische Angriff eine emanzipatorische Wirkung haben würde: Die Jugend wollte sich von ihren Nazi-Vätern nicht mehr vorschreiben lassen, wie lang die Haare zu sein haben, wann der richtige Zeitpunkt für das erste Mal gekommen ist und welche Schallplatten man hören darf. Der von allen Reaktionären gepredigte Verzicht war out - für Kirche, Kapital und Vaterland wollten die Teenager auf gar nichts mehr verzichten, und das war gut so.

Doch die Befreiung der Triebe zerfraß auch jene Formen von Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe, die die Grundlage jeder nicht-kapitalistischen Gesellschaft bilden. Houellebecq fragt:

Warum hat sich das sozialdemokratische schwedische Modell nie gegenüber dem liberalen Modell durchsetzen können?

Seine Antwort:

Die Lösung der Utopisten - von Platon über Fourier bis hin zu Huxley - besteht darin, die sinnliche Begierde und das Leiden, das damit verbunden ist, zu stillen, indem sie deren unmittelbare Befriedigung organisieren. Die eros- und werbungsorientierte Gesellschaft, in der wir leben, ist dagegen bestrebt, die sinnliche Begierde in unerhörtem Ausmaß zu fördern, wobei sie deren Befriedigung jedoch der Privatsphäre zuordnet. Für das reibungslose Funktionieren der Gesellschaft, für das Weiterbestehen des Wettbewerbs, ist es erforderlich, dass die sinnliche Begierde zunimmt, sich ausbreitet und das Leben der Menschen verzehrt.

Psychoanalytisch gesprochen: In den reaktionären Gesellschaften, vor allem im Faschismus, werden die Triebe unterdrückt, die Libido wird im Stahlbad des Krieges aufgelöst. In den postmodernen Gesellschaften stimuliert die Werbung die Triebe ins Unermeßliche, sex sells anything. In beiden Fällen verkümmert das Ich, das die eigenen Bedürfnisse mit denen des Nächsten und der Gesellschaft souverän ins Verhältnis setzt und allein die Grundlage für eine solidarische Welt sein kann.

Verbindet sich der anarchistische Impuls mit einer egalitären Wirtschaftsordnung, wie es die Achtundsechziger zunächst anstrebten (eine Liaison, die sich bei einer kleinen Minderheit auch noch heute finden lässt), so wird das eigene Glück mit dem Glück der anderen verbunden. Geht der Anarchismus aber einen Pakt mit der Marktwirtschaft ein, wie es sich spätestens mit dem Zerfall der Studentenbewegung Ende der sechziger Jahre abzeichnete, so entsteht ein deregulierter Manchesterkapitalismus, in dem es "verboten ist zu verbieten":

Der kapitalistische Hedonist will abends um zehn Uhr noch shoppen gehen - also muss das Ladenschlussgesetz fallen. Der kapitalistische Ökologe will im eigenen Land keinen Atomstrom erzeugen - also werden die ärmeren Länder zur Lieferung der schmutzigen Energie gezwungen. Die kinderlose Feministin und der schwule Yuppie wollen Aufstiegsmöglichkeiten für sich und ihresgleichen - zur Hölle mit Familienförderung und Rentensystem, nach uns die Sintflut. Der entfesselte Individualismus und die sogenannte sexuelle Revolution "vernichtete das letzte, was zwischen dem Individuum und dem totalen Markt stand: die Liebe und die Familie" (Houellebecq).