Vom Gartenhaus nach Buchenwald
Seite 3: Autogerechte Landschaftsverbundenheit
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Der Heimatschutz ging in der wehrstrategischen Zweckrationalität unter. Die Nazis ließen zunehmend wirtschaftlichen Pragmatismus walten und tasteten die Industrie und deren Eigengesetzlichkeiten nicht an. Wenn für den Brückenbau regionaltypische Natursteine zu knapp oder teuer waren, ging man zu standardisierten Stahlkonstruktionen über.
Neue Brücken wurden im Reich für eine ganz andere Art von Straßen benötigt: die Autobahnen. Sie verschafften den Landschaftsarchitekten eine Sternstunde. Unter der Leitung von Alwin Seifert wurden sogenannte Landschaftsanwälte eingesetzt, die entlang der Autobahnen das Bild der Heimat - wieder? - herstellen sollten. Das Begleitgrün vermittelt ein Heimatgefühl im Vorüberfahren.
Die Reichsautobahnen stellen nicht die kürzeste, sondern die "eldelste" Verbindung zwischen zwei Punkten her, hieß es. Als Blickfang konnte "Deutsche Eiche" gepflanzt werden, obwohl im Mythos doch die Eberesche den Vorrang hat. Auch ein altbekanntes Kraut taucht wieder auf:
Herbstliche Süße / Polster von Erika / die Autobahn entlang (...) in sich gekehrtes Kraut / das bald hinbräunt (...) ins Nieerblühte.
Gottfried Benn
Einen Höhepunkt des Heimatschutzstils, den die Nazis meinten, stellten die Tankstellen mit ihren gelegentlich abgewalmten Satteldächern über den Zapfsäulen und die Raststätten dar, deren Gasträume wie Wohnzimmer eingerichtet waren. Technik und Natur verbanden sich im Autobahnbau zu einem "völkischen Gesamtkunstwerk", sagte Fritz Todt. Hatte die Moderne Ende der Zwanziger Jahre die autogerechte Stadt eingeläutet, kamen die Nazis mit dem autogerechten Land hinterher.
Der Landschaftsanwalt Alwin Seifert, der auch Architekt war, kam wie so viele aus der Lebensreform. Seine Wende zum Antisemitismus und völkischen Denken suchte er mit seiner Sympathie für Anthroposophie und biologisch-dynamische Wirtschaftsweise zu verbinden. Im Konzentrationslager Dachau gelang ihm dies. Er nahm Anteil an Versuchen der SS mit einer 300 ha großen Heilkräuterplantage. Die Häftlinge verrichteten die Sklavenarbeit. Die Pointe von Karl Valentin ist nicht aus der Luft gegriffen: "Der Hitler hat Glück ghabt, dass er nicht Adolf Kräuter ghoaßn hat, sonst hätt ma immer 'Heil Kräuter' schrein müassn."
Als die hochrangigen Heimatstilplaner nach 1945 vor Entnazifizierungsausschüsse kamen, fiel ihnen rückwirkend ein, sich immer nur für "Landesverschönerung" eingesetzt zu haben. Meist hatten sie Erfolg, und sie konnten die Kontinuität ihres Stils wahren, etwa beim Bau von Jugendherbergen in Westdeutschland. Der "Wandervogel" lässt grüßen. In Düsseldorf brach 1952 sogar ein Architektenstreit aus, als würden die Fraktionen des Dächerkrieges wiederaufleben.
Das Pendant in der DDR waren Kinderheime sowie Freizeit- und Schulungsheime ("Pionierrepublik") für den Partei-Nachwuchs. Einem moderaten Klassizismus im Sinne Paul Mebes' kommen die "Arbeiterwohnpaläste" in der ehemaligen Stalinallee nahe, nun zum mehrgeschossigen Mietwohnungsbau aufgestockt. Das nannte sich "Bauen in nationaler Tradition". In Westdeutschland ließ man es kleiner angehen. Aus Heimat wurde Heim, heckengeschützt.
Ein letztes Mal tritt das Heidekräutlein auf, ebenfalls entpolitisiert. Da vom Konzentrationslager Bergen-Belsen nur noch vage Grundrisse übriggeblieben waren, empfahl der vormalige Landschaftsanwalt Wilhelm Hübotter statt Konservierung oder Restaurierung eine "landschaftliche Gestaltung" des Areals des Massengrabs. Als Vorbild schwebte ihm eine germanische Begräbnisstätte nach Art des "Sachsenhains" vor, den er selbst im Auftrag Himmlers entworfen hatte. Der Sachsenhain war eine Wallfahrtsstätte der Nazis. Zur Realisierung in Bergen-Belsen kam es nicht, aber wenigstens sorgte die bereits angepflanzte Heide für die Einbettung in eine Ideallandschaft im Heimatschutzstil. Es mutet wie eine nochmalige Schändung der Getöteten an.
Heimat- und Naturschutz sind ambivalente Strömungen
Einerseits wollten Heimat- und Naturschutz die Fesseln und Schnörkel des wilhelminischen Zeitalters durch eine Lebensreform abstreifen, andererseits fielen sie, weil die Industrialisierung ihnen in die Quere kam, in die Phantasmagorie eines biedermeierlich gemilderten Feudalismus zurück. Paul Schultze-Naumburg, Mitbegründer sowohl des "Deutschen Bundes Heimatschutz" (1904) als auch des Werkbundes, von dessen zahlreichen Werken das Schloss Cecilienhof in Potsdam hervorgehoben sei, stieß am weitesten in die Extreme vor. 1902 veröffentlichte er "Die Kultur des weiblichen Körpers als Grundlage der Frauenkleidung". Das große emanzipatorische Thema war die Befreiung der Frau vom Korsett. Die Reformkleider fielen weich und locker.
26 Jahre später verglich er in Wort und Bild die Malerei der Moderne mit pathologischen Deformationen. Die schmierige Welt aus verbogenen Leibern sei die "rohe Andeutung vertierten Untermenschentums". Das war die exakte Vorlage für die Ausstellung "Entartete Kunst", die 1937 folgen sollte. Schultze-Naumburg synthetisiert Kunst und Leben zu einem Menschenideal, das unmittelbar zu realisieren sei. Wer nicht in diesen Begriff von Schönheit passt, ist auszumerzen. Dem entsprach Hitlers Selbstbild: Der Künstler als Politiker - und Feldherr. Aus der Person wird ein Gesamtkunstwerk ohne Widerspruch.1930 fuhr Schultze-Naumburg fort: Zur "artgemäßen" Heimat gehört die "Ausmerzung des Lebensuntauglichen". Sie sind Fremdkörper.
Die SS reklamierte den Heimatschutzstil für ihre eigene Wohnumgebung. Unweit des Schauplatzes des Dächerkriegs wurde 1937-40 die SS-Kameradschaftssiedlung erbaut. Der Architekt hatte bereits bereits bei der konservativen Fraktion des Dächerkriegs mitgewirkt. Die Siedlung ist wie eine ideale Gartenstadt in die Waldlandschaft eingebettet. Ins Stadtzentrum ist es nur ein Katzensprung.
Wer heute dort wohnt und nicht gerade puritanischer Bauhaus-Anhänger ist, hat es gut getroffen. An der hierarchischen, den Dienstgraden der SS entsprechenden Gliederung der Wohneinheiten braucht man sich nicht mehr zu stören. Die Dachgeschosse können ausgebaut werden. Nach kriegslüsterner Provokation sieht es nicht aus, eher nach Idylle.
Gerade diese doppelte Eigenschaft ist die Provokation. Das Abschlachten und die massenhafte Tötung von Menschen verträgt sich mit der Suche nach dem kleinen Paradies, nach der "Schollenverwurzelung". Brutalität und Sentimentalität haben in einer Menschenseele Platz, besonders in der deutschen, die zwischen "romantisch" und "faustisch" schwankt. Goethes Weimarer Arkadien, das Gartenhaus, liegt nicht weit vom KZ Buchenwald entfernt.
Heimat ist als ministerielle Propaganda-Angelegenheit in schlechten Händen. Wer von Heimat säuselt und die dunkle Seite, das Potential an Gewalt verschweigt, begünstigt im Gegenteil, dass das eine - wieder - in das andere kippt. Heimat enthält Momente an Fremdheit, an nicht zu Verwirklichendem. Diese ambivalenten Momente sollten ihr belassen bleiben, statt sie zur Festung zu versteinern und bis zur territorialen Eroberung des Andersartigen auszubauen. Hölderlin wusste: Ohne Fremde gibt es keine Heimat.