Vom Hoffnungsträger zum Sanierungsfall?

Seite 3: "Nichts, was einfach so weggeht"

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Das BIP-Wachstum, dass durch einen Yuan an Kreditaufnahme erreicht wurde, sank laut Chu von 0,85 Yuan auf 0,15 Yuan. Auch Anne Steveson-Yang, Gründerin der Pekinger Wirtschaftsberatungsagentur J Capital Research, schätzt die Lage dramatisch ein:

Sie befinden sich jetzt in einer Situation, wo die ganze Wirtschaft nur noch durch Schulden läuft.

China befinde sich nicht in einem Liquiditätsengpass, wie oftmals gemutmaßt, sondern in einer Schuldenkrise. Es sei "nichts, was einfach so weggeht."

Dabei werden Chinas massive Devisenreserven in Höhe von 3,4 Billionen US-Dollar kaum zur Überwindung der Krise beitragen können. Solle China damit anfangen, die Devisen zwecks Bekämpfung der Schuldenkrise im größeren Umfang zu verkaufen und in Yuan umzutauschen, würde dies die chinesische Währung massiv aufwerten - und der ohnehin angeschlagenen chinesischen Exportwirtschaft den Todesstoß versetzen. Eigentlich kann keiner das genaue Ausmaß des chinesischen Schuldenberges beziffern, doch er ist groß genug geworden, dass nur noch gigantische Liquiditätsspritzen das gesamte Finanzsystem Chinas vor dem Kollaps bewahren können.

Bezeichnend sind in diesem Zusammenhang die Umstände, die zur zwischenzeitlichen Beruhigung der eingangs geschilderten "Schockstarre" auf dem eingefrorenen chinesischen Interbankenhandel geführt haben sollen: Die chinesische Notenbank soll mittels einer abermaligen Liquiditätsspritze die zeitweilig extrem hohen Zinssätze abgesenkt haben, berichtete Bloomberg. Die chinesischen Notenbanker sollen somit genau das getan haben, um die Lage kurzfristig zu beruhigen, womit sie eigentlich aufhören wollen - und was in staatsnahen Erklärungen kritisiert wurde.

Eine Art von Zombieleben

Damit scheint die chinesische Führung regelrecht zu einem Gefangenen einer unkontrollieren Verschuldungsdynamik geworden zu sein, die der Politik nur verschiedene Wege in den Crash offenlässt: Entweder wird die Schuldenblase jetzt gezielt von der Politik zum Platzen gebracht, oder das System wird weiter mit Liquidität versorgt, bis es irgendwann von selbst kollabiert. Der chinesische Kapitalismus gleicht somit einem Schuldenjunkie, der kaum noch von seiner Droge loskommen kann, wobei deren Wirkung immer weiter nachlässt - und deswegen die Dosierungen immer weiter erhöht werden müssen.

Doch hierbei bildet ja China keine Ausnahme, sondern ist Teil eines spätkapitalistischen Weltsystems, das buchstäblich nur noch auf Pump läuft und so eine Art von Zombieleben weiterführen kann (was im Übrigen auch die ungeheure Popularität von Zombiefilmen und -spielen in der letzten Zeit erklärt).

Dabei leitete ausgerechnet das Platzen der vorletzten US-amerikanischen Spekulationsblase auf dem dortigen Immobiliensektor den Aufstieg dieser jüngsten chinesischen Kreditblase - aus der China gerade deswegen nicht mehr "herauswachsen" kann, weil sie viel schneller wächst als das BIP - ein. Die gigantischen Konjunkturprogramme und die expansive Geldpolitik Pekings, bei der Chinas Banken zu massiver Ausweitung der Kreditvergabe angehalten wurden, ließen die Einbrüche im Exportsektor kompensieren, die im Krisenjahr 2009 einsetzten (Hurra, der (Pseudo-) Aufschwung ist da!).

Dieser kreditbefeuerte Boom legte die Grundlagen für die gegenwärtige Schuldenkrise Chinas: In den Jahren 2008/2009 sei ein "dramatischer Anstieg der Kreditvergabe" in China festzustellen, bemerkte etwa die Newssite Business Insider (BI), der zeitgleich mit einer "bemerkenswertem Anstieg des Geldmengenwachstums" einsetzte.

Inzwischen habe die Verschuldung ähnliche Ausmaße erreicht wie in Japan im Jahr 1988 - kurz bevor die dortige Immobilienblase platzte und das Land in einer "verlorenen Dekade" aus Deflation und wirtschaftlicher Stagnation versank. Der heiß laufende Finanzsektor enthüllt auch die fundamentalen Probleme in der Waren produzierenden Industrie, die auch in der Volksrepublik unter massiven "Überkapazitäten" leidet - die nur durch die kreditgenerierte Nachfrage überdeckt werden konnten.

Problem Binnenmarkt: das Lohnniveau und Exportabhängigkeit

Es stellt sich abschließend die Frage, wieso die chinesische Führung diese riskante Aufblähung der Finanzsphäre zuließ - und nicht etwa die Stärkung des am Boden liegenden Binnenkonsums beförderte, wie sie jahrelang in Sonntagsreden chinesischer Politiker angemahnt wurde. Die chinesischen Arbeiter würden mittels Lohnsteigerungen zu ihren eigenen Konsumenten, der Anteil des Konsums am BIP würde steigen und die Ungleichgewichte mit den USA und Europa könnten ausgeglichen werden.

Die bittere Wahrheit liegt angesichts des Krisenverlaufs auf der Hand: China kann diese Exportabhängigkeit von Europa und den USA schlicht nicht abbauen, sondern nur durch eigene Schuldenexzesse und Blasenbildung zu kompensieren versuchen. Das Land ist trotz aller "Modernisierungserfolge" nicht in der Lage, einen selbsttragenden, auf dem Binnenmarkt beruhenden Aufschwung zu initiieren und so als neuer Weltwirtschaftsmotor zu fungieren.

Um einen Binnenmarkt zu etablieren, der sich in einer nachhaltigen Relation zu den Exporten steht, müsste das Lohnniveau massiv erhöht werden. Doch genau dies ist aufgrund des global in der Warenproduktion erreichten enormen Produktivitätsniveaus nicht möglich. Chinas Arbeiterschaft ist nur bei Hungerlöhnen konkurrenzfähig. Die Lohnabhängigen in der Volksrepublik befinden sich in einem Konkurrenzverhältnis mit den modernsten Errungenschaften der Produktionsautomatisierung. Sobald das Lohnniveau in der chinesischen Industrie übermäßig ansteigt, greifen automatisch Tendenzen zur Rationalisierung der Produktion

Längst ist die chinesische Exportindustrie dabei, immer mehr Produktionsstätten von der Küstenregion in die - noch - unterentwickelten westlichen Binnenprovinzen zu verlagern, um der wachsenden Verhandlungsmacht der chinesischen Arbeiterschaft auszuweichen und sich auf dem Weltmarkt noch behaupten zu können. Aufgrund des sehr hohen Produktivitätsniveaus, das der globalisierte Kapitalismus erreicht hat, können die rund 200 Millionen Lohnabhängigen, die in China vom Export abhängig sind, nur unter unerträglichen Konditionen ihre Arbeitsplätze behalten. Anderenfalls würden schlicht durch Roboter ersetzt (Roboter statt Arbeiter).