Vom Ölmanager zum Klimakommissar
Die Energie- und Klimawochenschau: Juncker findet Klimapolitik nicht besonders wichtig, die Türkei unterstützt IS nicht mehr ganz so offensichtlich und Kieler Geowissenschaftler haben zur Abwechslung mal gute Nachrichten
Jean-Claude Juncker, ab dem 1. November Präsident der EU-Kommission von Angela Merkels Gnaden, hat seine Vorschläge für die Kommission vorgestellt, und dabei demonstriert, was er von Klimapolitik hält: Wenig genug, um diese Zuständigkeit mit der Energiepolitik zusammenzulegen.
Noch deutlicher wird die Geringschätzung an der von ihm vorgesehenen personellen Besetzung: Energie- und Klimakommissar soll Miguel Arias Cañete werden, der nach Informationen der britischen Zeitung Guardian enge Verbindungen zur Ölindustrie unterhält. In einer Erklärung über seine Beteiligungen und etwaigen Interessenkonflikte, die er im Juni gegenüber dem EU-Parlament abgegeben hat, werden jeweils 2,5 Prozent Anteile an den spanischen Erdölunternehmen Ducor SL and Petrologis Canarias SL angeführt (siehe auch: Kanarische Inseln warnen vor einer schwarzen Flut). Das Dokument ist auf den Seiten des Parlaments veröffentlicht, trägt aber nicht seine Unterschrift.
2011 hatten seine Anteile einer Erklärung zufolge, die er seinerzeit gegenüber dem spanischen Parlament abgab, einen Wert von rund 326.000 Euro. Nebenbei ist dieser auch zu entnehmen, dass er zu diesem Zeitpunkt noch Aktionär der Banco Santander war, die von Bürgerinitiativen scharf kritisiert, weil sie Zwangsräumungen gegen Familien durchsetzt, welche die Kredite für ihre Wohnungen nicht mehr abzahlen können.
Außerdem gibt Arias Cañete an, Vorsitzender der Fundación FAES zu sein, eines konservativ-liberalen privaten Think Tanks mit engen Verbindung zur post-frankistischen spanischen Volkspartei PP (Franco-Opfer fordern Entschuldigung von Merkel). Auf deren Ticket - die PP ist Mitglied der EVP und damit Schwesterpartei von CDU und CSU - sitzt der umtriebige Spanier seit neuestem im EU-Parlament. Seine Karriere begann er übrigens laut Wikipedia in der Endzeit der Franco-Diktatur als Staatsanwalt, zu einer Zeit, als politische Gegner des Regimes noch zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden.
Vorbilder und Familienbande
Was in Sachen Energiepolitik von Arias Cañete zu erwarten ist, haben seine Parteifreunde in der Madrider Regierung in den letzten Jahren demonstriert. Der Ausbau der Windenergie, bei der Spanien einst zu den Pionieren gehörte, ist inzwischen südlich der Pyrenäen - sieht man einmal von Portugal ab - nahezu zum Stillstand gekommen. Auch der Ausbau der Solarenergie erfolgt nur noch sehr zögerlich, nachdem die Regierung 2011 in einer Nacht-und-Nebelaktion die Vergütungen massiv gekürzt hat (Spanien klemmt alle erneuerbaren Energien ab).
Angesichts dieses Hintergrunds der Personalie Arias Cañetes sind die Reaktionen aus dem EU-Parlament, das die Vorschläge Junckers ablehnen kann, noch sehr moderat. Bisher wurden lediglich Forderungen laut, der Andalusier müsse seine Anteile an den beiden Ölunternehmen abgeben, wenn er die Zustimmung des Parlaments haben wolle. Jo Leinen, der für die SPD im Umweltausschuss des Strasburger Parlaments sitzt, ließ den Guardian wissen, dass es keine Garantie für eine Mehrheit für Cañete gebe.
Inzwischen scheint der Kandidat seine Anteile bereits verkauft zu haben, wie das Internetportal Expansion.con berichtet. Aber ob das reicht, um die Unabhängigkeit des Möchtegern-Kommissars zu garantieren, darf bezweifelt werden. Nach Informationen des Guardian war Arias Cañete bis 2012 Präsident der beiden fraglichen Unternehmen und gab diese Funktion an Miguel Domecq Solis ab, den Bruder seiner aus altem andalusischen Adel stammenden Frau. Sein Sohn Miguel Arias Domecq ist außerdem bei einem der Unternehmen, bei Duncar, Mitglied des Vorstandes.
Die türkische Pipeline
In der letzten Woche hatten wir bereits kurz darauf hingewiesen (Profitiert Russland von EU-Sanktionen?), dass sich der sogenannte "Islamische Staat", das heißt, jene lange Zeit vom NATO-Mitglied Türkei und verschiedenen Verbündeten aus der Region protegierte Terrororganisation, die sich zur jüngsten Geißel der Völker des Nahen Osten entwickelt hat, ganz gut mit dem aus syrischen und irakischen Quellen geraubten Öl finanzieren kann. Auf der Seite Rojava Report wird exemplarisch beschrieben, wie das im Einzelnen bis vor kurzem noch ausgesehen hat.
Dabei geben die Autoren die Recherchen des türkischen Journalisten Fehim Tastekin wieder, die dieser auf Türkisch in der bürgerlich-liberalen Zeitung Radikal veröffentlicht hat. Demnach würde das Öl - offensichtlich handelt es sich nicht um Rohöl, sondern um mit primitiven Mitteln raffinierten Treibstoff - in dünnen Plastikpipelines von der syrischen Seite in ein türkisches Dorf gepumpt. Dort werde es auf verschiedenen Hinterhöfen gelagert und verkauft. Die Pipelines, Bilder zeigen dicke blaue Plastikschläuche von vielleicht zehn oder 15 Zentimeter Durchmesser, seien unter den Augen türkischer Grenzposten verlegt worden und liefen unter Äckern und Straßen hindurch.
Auch Tanklaster hätten in den vergangenen Jahren immer wieder unbehelligt die Grenze passiert. 30 bis 50 Wagen am Tag wird ein Bewohner zitiert. Nun versuche die Regierung die Geschäfte allerdings einzuschränken. Ein LKW-Fahrer versteht die Welt nicht mehr: "Mag sein, dass das Öl wegen der Maßnahmen gegen ISIS abgedreht wurde. Aber die Kämpfer können noch immer überall über die Grenze."
Inzwischen habe das Militär viele der Pipelines aus dem Boden geholt. Im März habe das angefangen, aber ein Teil des Geschäftes laufe noch immer, berichtet Tastekin aus dem Grenzdorf Hacipasa. Dieses ist in der türkischen Provinz Hatay westlich des syrischen Aleppos gelegen. Die Gebiete auf der syrischen Seite der Grenze sind aber nicht unter der direkten Kontrolle des IS, sondern anderer Oppositioneller, die demnach mit den Massenmördern zusammenarbeiten müssten (siehe Karte hier). Allerdings gab es in den vergangenen Monaten diverse Berichte in der internationalen Presse, die den schwunghaften türkischen Grenzhandel mit den Terroristen belegten.
Lichtblick für die Weltmeere
Und zu guter Letzt die gute Nachricht der Woche: Kalkalgen können sich besser als gedacht neuen Bedingungen anpassen und werden gegebenenfalls mit wärmerem Wasser und saureren Bedingungen gleichzeitig fertig. Wir hatten in der letzten Ausgabe über die drohende Versauerung der Ozeane durch die Aufnahme von CO2 geschrieben (Profitiert Russland von EU-Sanktionen?), die von den Meereswissenschaftlern als Bedrohung für die Welternährung angesehen wird.
Nun berichtet das Helmholtzzentrum für Ozeanforschung in Kiel (Geomar) über ein bisher einzigartiges Evolutionsexperiment, mit dem die wichtigste Kalkalge der Weltmeere, /Emiliania huxleyi/, schrittweise veränderten Bedingungen ausgesetzt wurde. Dabei kam heraus, dass sich die Alge anders als gedacht, zumindest unter Laborbedingungen, sowohl an ein saureres als auch wärmeres Milieu evolutionär anpassen kann.
Die einzellige Alge teilt sich etwa einmal am Tag, was das Experiment erleichtert hat. Von einem aus einem norwegischen Fjord stammenden Exemplar wurden zunächst verschiedene Kulturen gezüchtet. Diese wurden dann verschiedenen Bedingungen ausgesetzt: Jeweils fünf Kulturen unter Kontrollbedingungen (15 Grad Celsius) und bei erhöhter Wassertemperatur (26 Grad Celsius) kombiniert mit drei unterschiedlichen Konzentrationen an Kohlendioxid. Die erste entsprach heutigen Bedingungen, die zweite dem, was nach Berechnungen des IPCC gegen Ende des Jahrhunderts erreicht sein könnte, und die dritte dem höchstmöglichen Grad an Versauerung.
Das Ergebnis: Nach einem Jahr und etwa 460 Generationen waren unter warmen und sauren Bedingungen die Algen soweit angepasst, dass sie mehr als doppelt so viel Biomasse produzierten wie nicht angepasste Kontrollgruppen, die zeitweise den neuen Bedingungen ausgesetzt wurden.
Kalkalgen sind für den Kohlenstoffkreislauf wichtig, weil sie dem Meerwasser Kohlenstoff entziehen und im Sediment einlagern, wenn sie absterben und an den Meeresboden sinken. Thorsten Reusch, Leiter der Evolutionsökologie am GEOMAR, schlussfolgert aus dem Experiment daher, dass sie diese Funktion durch evolutionäre Anpassung auch unter erheblich veränderten Bedingungen erfüllen können: "Die Funktion des Ozeans als Kohlenstoff-Senke, welche die Folgen des Klimawandels abmildert, würde somit erhalten bleiben."
Die Kieler Ergebnisse können nun in Modelle des Kohlenstoffkreislaufs eingebaut werden, um die Projektionen zu verbessern. Allerdings muss sich noch unter den komplexen Bedingungen der Weltmeere zeigen, ob die Laborbedingungen nicht zu sehr idealisiert waren. Soll heißen, die Versuche haben das Verständnis der evolutionären Prozesse der wichtigen Algen-Gattung verbessert, Beobachtungen in der Natur sind aber weiter nötig, um zu sehen, ob die Einzeller sich in der "freien Wildbahn" genauso an Versauerung und steigende Temperaturen anpassen können wie im Labor an der Kieler Förde.