Vom "lebendigen Fluss" zum "genormten Kanal"
Seite 2: Ende der Artenvielfalt in der Oder
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In seinem Büro kramt Michael Tautenhahn Luftbildaufnahmen eines Uferstücks der polnischen Seite hervor: "Hier wurde schon mal probehalber gebaut." Die Buhnen sind mit einer Art Mauer verbunden, der Zwischenraum mit Sand verfüllt. "So machst du aus einem lebendigen Fluss einen genormten Kanal". Nicht, dass die Oder nicht auch heute schon durch Buhnen reguliert wäre. "Das derzeitige Buhnensystem ist aber genau das, was hier noch so eine reiche Artenvielfalt erhalten hat", sagt der Fischereiingenieur.
An manchen Stellen sorgen die Buhnen für eine starke Strömung, Strudellöcher entstehen, die im Winter nicht zufrieren, hier können Fische überwintern. Andererseits gibt es Schlammbänke mit geringer Strömung – wichtig für die Kinderstube seltene Arten. Ziel der Flussbauarbeiten sei, dass sich der Fluss tiefer in sein Bett eingräbt. Das wird im Sommer unmittelbare Auswirkungen auf die Auenwildnis haben: "Die letzten Jahre waren bei uns durch extreme Niedrigwasserphasen geprägt.
Wenn die Oder dann tiefer fließt, zieht sie das letzte Wasser aus den Auen."Im April erteilte die polnische Behörde eine Genehmigung der Umweltverträglichkeit, allein auf Höhe des Nationalparks sollen 65 Buhnen neu gebaut werden. "Wir haben dagegen Widerspruch eingelegt", erklärt ein Sprecher des Brandenburger Umweltministeriums. Denn die Prüfung der Umweltverträglichkeit habe nur die kurzfristigen Schäden begutachtet, nicht aber die Langzeitfolgen.
Noch gibt es keine Reaktion aus Warschau, Experten haben aber bereits eingeräumt, dass man schlechte Karten habe. Theoretisch könnte Brandenburg bei der EU gegen die polnischen Pläne klagen. Ob die Bundesregierung eine Klage aber unterstützt, ist äußerst fraglich: Die deutsch-polnischen Beziehungen sind wegen des europäischen Rechtsstaatsmechanismus derzeit ohnehin sehr angespannt. Nicht nur im Nationalpark soll die 162 Kilometer lange Grenzoder ausgebaut werden, auch bei Frankfurt, bei Küstrin, und südlich von Schwedt.
"Jeder Euro ist gut investiert", sagt Kapitän Leszek Kiełtyka, fünf Schubkähne und zwei Motorfrachtschiffe gehören seiner Firma. Seit 40 Jahren befährt er die Oder, im Ausbau sieht er die Zukunft seines ganzen Berufsstandes. Nach dem polnischen "Schifffahrtsentwicklungsplan" soll die Fracht auf rund 28 Millionen Tonnen Güter im Jahr nahezu verdoppelt werden.
Beata Szydło, damals Polens Premierministerin, erklärte 2017: "Die Entwicklung von Binnenschifffahrt, Häfen und Werften sind Prioritäten der polnischen Regierung." Für das "Odra-Vistula Flood Management Project" stehen insgesamt 1,202 Milliarden Euro zur Verfügung, darunter 460 Millionen von der Weltbank. Auch die EU trägt zur Finanzierung bei.
Eisenbahn wäre effizienter
Polnische Umweltschützer halten dagegen, dass die Eisenbahn problemlos doppelt so viele Güter wie die Binnenschiffe auf der Oder transportieren könnte. "Es gibt keine Rechtfertigung dafür, dass die Regierung mit öffentlichen Mitteln einen künstlichen Wettbewerb für die polnische Staatsbahn schafft, die im Laufe der Jahre modernisiert und subventioniert wurde", heißt es in einer Stellungnahme der "Koalicji Ratujmy Rzeki", der "Koalition Rettet die Flüsse".
Auch diese hat angekündigt, gegen die Pläne vor Europäische Gerichte ziehen zu wollen.Derzeit sind viele Polder an der Grenze zu Polen geflutet, Polder – das sind durch Deiche eingeschlossene Flächen. "Früher ging es darum, Wasser schnell abfließen zu lassen", sagt der stellvertretender Leiter des Nationalparks Unteres Odertal.
Doch in Zeiten des Klimawandels sei es notwendig, "Wasser so lange wie möglich in der Landschaft zu halten".Jetzt ist hier sehr viel Wasser ringsherum, bis zum Frühling bleiben die Wiesen geflutet, die Auenlandschaft hat ihr Lebenselixier zurück. Aber dieser heilsbringende Rhythmus der Natur könnte mit dem Oderausbau zu Ende gehen.
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