Von Anerkennung bis "Arschloch": Klimaproteste und Reaktionen
Seite 2: "Wir bekommen bei 'Letzte Generation' jetzt viele Zuschriften von Künstlern"
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Nur macht die Österreichische Volkspartei natürlich eine legitime Ansage, wenn sie meint, die Leute sollen selbst entscheiden können, wie schnell sie fahren. Gut, das ist eine politische Meinung, aber es ärgert mich, wenn man sagt, Tempo 100 bringt nichts, denn das stimmt nicht. Der zweite Trick heißt dann immer: Zuerst müssten die Kohlekraftwerke in China abgeschaltet werden. Aber an ein Kohlekraftwerk in China sich ankleben ist keine gute Idee.
Diese Aktion und ähnliche werden immer wieder auch deshalb kritisiert, weil sie insbesondere bürgerlichen Kreisen, die gerne das Leopold Museum besuchen, die Möglichkeit bieten, sich moralisch zu erhöhen. Klima-Aktvisten seien totalitär, unreif und hätten keine Ahnung von der Kunst und insbesondere der "Freiheit der Kunst". Wie gehen Sie damit um?
Florian Wagner: Die erniedrigen sich doch eher selbst moralisch. Wir bekommen bei "Letzte Generation" jetzt viele Zuschriften von Künstlern und Kulturschaffenden. In Deutschland gibt es sogar eine Soliidaritätsbekundung, wo Hunderte ihre Solidarität öffentlich erklärt haben. Was mir gesagt wird, es sei da so eine biedere Männerklicke die den Kulturbetrieb in Österreich beherrscht.
Es gibt da anscheinend Angst vor diesem Kreis mächtiger Player in der Wiener Kunstszene, aber da wird jetzt auch mehr aufgemuckt. Ein bisschen so, als hätten manche auf unsere Aktion gewartet. Also zumindest nehmen einige jetzt diese Diskussion als Anlass um sich zu organisieren und einen Beitrag zu leisten. Es geht darum neue Bilder zu erzeugen, um die Gesellschaft zu transformieren.
Visionen dafür, dass Ökonomie ökologisch ist, dass Wirtschaft nicht bedeutet Ausbeutung der Natur. Weg von dem feindschaftlichen Begriff gegenüber der Natur, der sie beherrschen will. Viele im Kunstbetrieb finden das gut, andere tun sich noch schwer damit. Das Leopoldmuseum ist hier zumindest nicht gerade vorbildlich.
Mit hat ein Wiener Kunstschaffender gesagt, die Touristen sehen im Flugzeug schon den Klimt und Schiele und dann rennen sie ins Museum, um genau das Bild zu sehen, so als gäbe es sonst nichts in Wien von Wert. Nur diese wenigen zu Ikonen fetischisierten Werke. Institutionen wie das Leopold-Museum setzen dann alles dran diese Touristen einzufangen und denen teure Tickets zu verkaufen.
Sie behaupten dann sie betreiben Kunstvermittlung. Sie haben eigentlich nichts vermittelt, sondern beuten nur die bekannten Wien-Klischees aus. Dafür müsste eigentlich niemand ins Flugzeug steigen, das wäre dann auch ökologischer. Eine lebendige Kunstszene, die Bilder für eine neue Gesellschaft findet, ist allerdings schon ein guter Grund, Wien zu besuchen…
Die Kunst hat ja eigentlich ein Faible für Revolte.
"Wir sollten bereit sein, Gesetze zu brechen, um die Schöpfung zu bewahren"
Florian Wagner: Nicht nur die Kunst. In einer Diskussion der "European Public Sphere" hat der Präsident der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien, Reinhard Bödenauer gesagt, die Heiligen haben immer die Gesetze gebrochen, um sich für eine bessere Welt einzusetzen. Wir sollten bereit sein, Gesetze zu brechen, um die Schöpfung zu bewahren.
Ich mein, ich sage jetzt was er gesagt hat und ich halte uns nicht für Heilige. Aber diese Katholiken wollen weg von dem Paradigma: "Mach dir die Erde untertan", hin zu dem Gedanken wir Menschen haben die Fähigkeit von Gott erhalten, die Wirkungen unserer Handlungen zu erkennen und deshalb tragen wir die Verantwortung uns auch um die Natur zu kümmern.
Dieser dogmatische und ideologische U-Turn ist doch wohl der schönste Hoffnungsschimmer. Vielleicht kann die ÖVP den auch irgendwann hinkriegen. Oder auch die SPÖ, wenn dort der Arbeitsfetisch nicht zu stark verankert ist?
Wie kriegen die Sozialdemokraten den überwunden?
Florian Wagner: Indem wir gemeinsam Vorstellungen entwickelt für eine neue Arbeitswelt. Und die Idee, dass wir das gerade deshalb schaffen können. weil wir auch Künstler sein können, weil es schöne Kunstwerke gibt, wie "Tod und Leben". Deshalb können wir uns ganz neue Vorstellung davon machen, was es bedeutet zu wirtschaften und zu arbeiten.
So wie die Soziale Plastik?
Florian Wagner: Ja, das hat Joseph Beuys so gesagt. Es ist jetzt schon eine soziale Plastik. Nur sind Ronald Reagan und Maggie Thatcher noch stärker. Der Thatcherismus will uns weismachen: "There is no such thing as a society". So wie die ÖVP sagt, jeder Einzelne kann entscheiden, ob er 100 auf der Autobahn fährt, dann ist das die Marktlogik des Marktfundamentalismus. Dabei schiebt man den angeblich "Freien" die volle Verantwortung zu. Aber die Individuen können als Konsumenten nichts Maßgebliches beitragen.
Sie können im Supermarkt nur kaufen, was es da gibt und das meiste ist in Plastik verpackt. Ich kann bestenfalls als Bürger die Grünen wählen, mich über sie ärgern und demonstrieren. Direkt demokratisch kann ich nicht aktiv werden. Deshalb haben meine Repräsentanten in einer repräsentativen Demokratie die Verantwortung, die großen Probleme wahrzunehmen, zu kommunizieren und zu versuchen sie zu lösen. Das kann ich den einzelnen Menschen nicht in die Schuhe schieben. Das ist falsch.
Genau das versucht ja auch die Industrie. So wie sich British Petrol den "CO2-Fußabdruck" ausgedacht hat, um die Menschen inaktiv zu halten, die sich wegen ihres individuellen Fehlverhaltens schämen.
Florian Wagner: Es geht noch weiter, denn auch die in den Konzernen sind sehr unfrei und gebunden. Die OMV agiert in dem politisch so eingerichtet System einer sozialen Marktwirtschaft. Innerhalb diesen Systems wird gesagt, ihr müsst neue Bohrungen im Weinviertel machen. Das ist genau das richtige, weil damit euer Profit steigt. Wenn euer Profit steigt, dann sagt das System, dann ist das gut für die Gesellschaft. Dann kann ich nicht sagen, die OMV ist schuld an allem. Es ist hier eindeutig eine staatliche Verantwortung.
Aktienunternehmen sind gegenüber ihren Shareholdern zum Profit verpflichtet.
Florian Wagner: Die Diskussion, die bösen Menschen zu suchen und die zu verurteilen ist immer ein Blödsinn. Wir müssen Wege finden, das System der Wirtschaft, der Arbeit und der Verteilung so zu gestalten, dass dabei nicht die Natur zerstört wird. Das kann man nicht den einzelnen Menschen in die Schuhe schieben. Denn wenn wer arbeiten geht, seine Familien hat, sich in Vereinen und bei der freiwilligen Feuerwehr engagiert, dann kann er sich nicht über all dies Gedanken machen, das ist nicht seine Verantwortung.
Die Güterabwägung ist kurios, auf der einen Seite sehen wir dass der Fortbestand der menschlichen Zivilisation gefährdet ist, auf der anderen Seite geht es um "gesunde Unternehmen". Aber weite Teile der die Politik schlagen sich zuverlässig auf die Seite letzterer, wie aktuell zu sehnen ist beim Protest der "Letzten Generation" am Flughafen Berlin-Brandenburg.
Florian Wagner: Das Bewusstsein ist einfach noch nicht da, dass das Fortbestehen der Zivilisation auf dem Spiel steht. Dieses Ausmaß haben die wenigsten realisiert. Aus dem Grund sind drastische Protestformen notwendig, weil die genau dies transportieren, dass die Situation eben sehr drastisch ist.
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres hat längst das Maximum an drastischer Rhetorik ausgereizt: "Wir sind auf dem Weg zur Hölle". Er kann nicht mehr sprachlich eskalieren, aber die Ergebnisse des Klimagipfels sind gering. Weil sprachliche Überzeugung kaum mehr funktioniert, gehen die ersten Wissenschaftler hin und kleben sich nun auch auf die Straße.
Wenn man zwei Stunden lang den Verkehr anhält und verlangsamt, dann ist das eine winzige Blockade. Es sind jetzt schon in der beginnenden Klimakatastrophe mehr Menschen an deren Folgen gestorben als an Corona.
Die Lockdowns haben 42 Milliarden in Österreich gekostet und es hieß vom Finanzminister: "Koste es, was es wolle". Es wurde bewiesen, man kann handeln und Krisen ernst nehmen, wenn man nur will. Die Klimakrise ist unvorstellbar viel größer und nun wird so getan, als sei das "Klimaticket" ein Mittel, das in den Griff zu kriegen und Tempo 100 auf Autobahnen sei übertrieben.
Ein Wort noch zum Protest in Berlin.
Florian Wagner: Da haben sich zwei Leute auf die Rollbahn geklebt und zwei sind mit dem Radel gefahren. Das versteh ich die Aufregung nicht ganz. Es kann kein Sicherheitsrisiko entstanden sein, denn es wurde ja alles der Polizei angekündigt. Da wird jetzt viel Wirbel gegen uns gemacht und es besteht natürlich die Gefahr, dass man sich jetzt rechtliche Konsequenzen ausdenkt um zu verschärfen.
Aufhalten wird uns das aber nicht. In Rheinland-Pfalz hat gestern ein Verfassungsrechtler und Richter geurteilt und jemanden von "Letzte Generation" freigesprochen, mit der Rechtfertigung, die Handlung sei ein "Rechtfertigender Notstand" gewesen. Das ist natürlich gut. Wenn das standhält, dann wird es bald mehr Menschen zum Protestieren bewegen, weil sie nicht mehr Strafen fürchten müssen.
Zugegebenermaßen bieten Sie aber auch vielen konservativen Kreisen tatsächlich eine Steilvorlage, wieder einmal nicht über die seit langem unter den Tisch gekehrte Klimafrage zu reden, oder?
: Florian Wagner: Das passiert sowieso, wer ignorieren will, der macht das auch so. Der Ernst Jandl hat mal sinngemäß gesagt, man kann den Menschen nur den Kopf waschen, aber nicht das Gehirn. Da müssen sie selber machen. Das innere Seelenleben, die eigenen Gedanken erreicht man nicht. Aber die Leute sind nicht blöd, alle erkennen doch, dass da jetzt wieder versucht wird unter den Teppich zu kehren, auf was wir aufmerksam machen wollen.
Es wurde ja schon wissenschaftlich untersucht, welche Auswirkungen solche Aktionen auf die Bevölkerung haben. Das Ergebnis war uneindeutig. Man kann nicht sagen, ob es mehr Menschen abschreckt oder mobilisiert. Letztlich scheint es mir eine Frage des Glaubens zu sein. Glaube ich, dass Menschen fähig sind ein Verständnis für die Klimakatastrophe zu entwickeln und etwas zu ändern oder glaube ich das nicht.
Wir wissen, dass wir vielleicht nicht die Sympathie der Mehrheit bekommen, aber wir schaffen einen Raum, in dem wir zeigen, wie wichtig uns unser Anliegen ist. Manche sagen dann das verstehen sie, finden aber die Art, wie wir es vorbringen, falsch. Die schließen sich dann vielleicht moderateren Protestformen an.
Wir haben ein grundsätzliches, politisches Problem, da wir den Schutz unserer Atmosphäre, des Klimas und überhaupt des Überlebens auf diesen Planeten nicht außer Streit stellen. Wie kann es gelingen, dass Menschen, die ein möglicherweise sehr divergierendes Gesellschaftsbild haben, sich dennoch gemeinsam für die Rettung des Klimas einsetzen?
Florian Wagner: Ich finde es gut, einen Klimarat einzurichten. Die Bürger:innenräte sind sehr interessant. Dort treffen die radikalsten Klimaschützer und Bürger zusammen, die vielleicht meinen, alles sei überbewertet und die auf ihr Recht auf Individualverkehr pochen. Trotzdem haben sich diese Bürger nach sechs Wochenenden auf wirksame Klimaschutzmaßnahmen in Österreich einigen können, die deutlich weitergehen als das, was die Politik plant.
So sollte man weitermachen und dies als Mittel kollektiver Willensbildung und des ausgehandelten Konsens nutzen. Die Politik muss dann aber auch den Vorschlägen der Räte folgen, sonst wirkt das ja wie ein Hohn.
Zu Beginn dieses Gesprächs sagten Sie, Sie seien optimistisch. Warum?
Florian Wagner: Ich denke, es wird immer mehr gelingen, Menschen zum Protest zu inspirieren und damit einen gesellschaftlichen Wandel zu erreichen. Die Ziele sind gar nicht utopisch. Wir müssen den Energiekonsum nur auf den Level der 1970er-Jahre bringen. Das ist ja nicht unmöglich. Wir haben heute so viele sinnvolle Möglichkeiten uns zu beschäftigen ohne hohen Energieverbrauch.
Es ist kein schlechteres Leben, wenn es nicht mehr so verschwenderisch ist. Ein gemäßigtes, gutes und lustvolles Leben ist erreichbar. Die Vorstellungen für diese notwendige Erneuerung müssen auch aus der Kunst kommen.
Man hat die patriarchale Gesellschaft teilweise überwunden, zumindest in einer Weise, wie man sich das vor 70 Jahren nicht vorstellen hätte können. Warum sollten wir die Dekarbonisierung nicht schaffen? Sie ist technisch gut zu machen und wirtschaftlich. Wir müssen es nur wollen und endlich konsequent damit anfangen.
Wie wird es jetzt konkret weitergehen?
Florian Wagner: Wir gehen mit Straßenblockaden in die Bundesländer. In Innsbruck hat sich eine Gruppe gefunden, die sich dem zivilen Ungehorsam anschließen wird. Der Aufstand der letzten Generation in Österreich wächst.
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