Von Fridays for Future zur Extinction Rebellion
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Kann der neue Umweltaktivismus das apokalyptische Denken ablegen und Teil einer Bewegung für ein schönes Leben für Alle werden?
Am Dienstagmittag war extinctionrebellion.de zeitweise nicht erreichbar. Die Webseite war dem Ansturm nicht gewachsen. Denn die Rebellion "gegen das Aussterben" wurde vor allem in Deutschland erst nach dem 15. April so richtig bekannt. An diesem Tag begannen die transnationalen Rebellion Weeks mit Schwerpunkt in London.
Dort kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Klimaaktivisten und der Polizei. Der schon seit Jahrzehnten bekannte umweltgefährdende Konzern Shell, der auch schon mal Privatdetektive auf Kritiker ansetzte, wurde attackiert. In Berlin blieben hingegen am 15. April die Aktionen auf dem Level des zivilen Ungehorsams.
Etwa 300 Menschen hatten mit der Blockade der Oberbaumbrücke zwischen Kreuzberg und Friedrichshain nicht nur für einige Stunden für bessere Luft gesorgt, sondern auch an eine der vielen fast vergessenen Kampagnen der außerparlamentarischen Berliner Linken erinnert. Unter dem Motto "Oberbaumbrücke bleibt Stadtringlücke" setzen sie sich in den frühen 1990er Jahren dafür ein, dass die Brücke für den Automobilverkehr gesperrt bleibt. Die Kampagne war zukunftsweisend, obwohl sich nicht mehr viele Menschen daran erinnern. In einem Nachbereitungspapier hieß es:
Eine Zeitlang stand die Brücke im Zentrum der Bewegung gegen Umstrukturierung. Am 9. November 1994 wurde die Oberbaumbrücke dann vom damaligen Bezirksbürgermeister Peter Strieder und dem regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen feierlich geöffnet. Von da an rollten die Autos und die Brückenini konstatierte: "Wir haben den Kampf gegen die Öffnung der Oberbaumbrücke verloren". Aber ihre Erfahrungen, die sie während dieser Zeit gesammelt hatten, wollten sie "nicht in den Gully fegen".
Papier der Brückenini vom November 1994
Damit wird deutlich, dass die Aktionen der neuen Umweltbewegung sich durchaus in der Tradition einer linken Praxis befinden, die schon vor mehr als 25 Jahren das Thema Stadtentwicklung, die Diskussion über eine lebenswerte Stadt, in der sich nicht nur Reiche das Wohnen in angesagten Bezirken leisten können, mit der Drosselung des Automobilverkehrs verbunden hat.
Wäre die Oberbaumbrücke damals Stadtringlücke geblieben, wäre das Berliner Spreeufer nicht mit hochpreisigen Lofts zugebaut, der Druck auf Mieter mit geringen Einkommen wäre in der Umgebung nicht so stark und die Umwelt wäre auch sauberer.
Umwelt, Mieten und eine Stadt, in der nicht nur die Reichen leben können
Es sind genau die gleichen Fragen, die heute wieder viele in Berlin bewegen - Umwelt, Mieten und darüber hinaus eine Stadt, in der nicht nur die Reichen leben können. Da gäbe es also für die neue Klimabewegung genügend Ansätze für eine Verbreiterung ihres Widerstands. Eine Stadt wie Berlin möglichst autofrei zu machen, wäre ein lohnendes und auch durchaus realistisches Ziel.
Es knüpft tatsächlich an Bewegungen wie die genannte der Brücken-Initiative gegen die Oberbaumbrücke an, aber sie kann sich auch auf die Erfahrungen vieler Menschen berufen, die keinen Sinn darin sehen, mit dem Auto durch eine Stadt wie Berlin zu fahren, nur um von einem Stau in den nächsten zu geraten.
Die zunehmend zahlreicheren und mit wachsendem Selbstbewusstsein ausgestatteten Radfahrer sehen es genau wie die passionierten Fußgänger und Flaneure weniger denn je ein, dass ihnen anachronistische Automobile Platz rauben und die Luft zum Atmen nehmen. Natürlich muss, wer sich wie die Brückenbesetzer vom 15. April 2019 für eine autofreie Stadt einsetzt, auch über eine andere Mobilität Gedanken machen.
Auch dazu liegen bereits seit Jahren für viele Städte machbare Pläne in den Schubladen. Es geht um den Ausbau eines günstigen, möglichst kostenfreien Nahverkehrs ohne Barrieren jeglicher Art. Dazu gehören auch die oft vergessenen sozialen Gründe. Wenn man sich schließlich damit beschäftigt, warum in fast allen Städten seit Jahrzehnten gegen jegliche Vernunft, gegen die menschliche Gesundheit und die Umwelt der Automobilverkehr gefördert wurde und noch immer wird, landet man beim kapitalistischen System, das auf Profit basiert.
So wie in der Verkehrsfrage kann auch an vielen anderen Beispielen, die in der Umweltbewegung heute diskutiert werden, die kapitalistische Schranke festgestellt werden. Wenn die Klimaaktivisten die Parole "System change not climate change" fordern, sind sie schon auf der richtigen Spur. Die Teilnehmer der Brückenblockade machten auch durchaus den Eindruck, als würden sie diese Spur weiterverfolgen.
Gelingt der Umweltbewegung der Abschied vom apokalyptischen Denken?
Es wird sich zeigen, ob sich eine solche Orientierung durchsetzt gegen das apokalyptische Denken, das wie in vielen anderen kleinbürgerlichen Umweltbewegungen auch bei der Extinction Rebellion zu sehen ist. Das fängt schon beim Namen an, eine Bewegung gegen das Aussterben hat eher Anklänge an Bewegungen des Spätmittelalters, als der Totenkult allgegenwärtig war und der Welt- bzw. Menschenuntergang in den verschiedenen Formen zelebriert wurde.
Damals war der Tod durch Hunger, Epidemien etc. allgegenwärtig. Wenn heute in einer Gesellschaft, in der der Stand der Produktivkräfte ein schönes Leben für die große Mehrheit möglich machen würde, ein solches apokalyptisches Denken wieder Zulauf bekommt, liegt das auch am Versagen einer Linken, die in ihrer Theorie und Praxis oft mit Recht selbst mit "Tonnenideologie" und unkritischer Industrieverherrlichung verwechselt wird.
Dabei wird übersehen, dass sich sowohl in den Arbeiten von Marx und Engels als auch in verschiedenen Schriften von ökosozialistischen Autoren Ansätze einer egalitären Gesellschaft finden, die auch das Mensch-Umwelt-Verhältnis beachten.
Würden solche Ansätze auch in der neuen Umweltbewegung mehr berücksichtigt, bestünde die Hoffnung, dass sich die Bewegung vom apokalyptischen Denken verabschiedet und auch von einem mystischen Naturbegriff, der den menschlichen Fingerabdruck nicht als Ausdruck der Zivilisation, sondern als zu behebenden Makel ansieht.