Von Fridays for Future zur Extinction Rebellion
Seite 2: Für wen läuft die Sanduhr ab?
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Dann könnte die Sanduhr, die auf den Fahnen der neuen Bewegung zu sehen ist, aufzeigen, dass die Zeit für den Kapitalismus abläuft und gerade dadurch die Chance bestünde, dass für das schöne Leben für alle näher rückt.
Übrigens haben auch die spätmittelalterlichen Todesapokalytiker das Ende der Feudalgesellschaft mit dem Ende der Menschheit bzw. dem Weltuntergang kurzgeschlossen. Die heutigen Apokalyptiker handeln also in einem notwendigen Irrtum, wenn sie Spätkapitalismus in seiner Endphase mit dem Ende der Welt verwechseln. Wenn schon mal "der Tod auf Probe für den Klimaschutz" ausgerufen wird, werden solche irrationalen Tendenzen verstärkt.
Die Auseinandersetzung mit dem apokalyptischen Denken ist eine der zentralen Aufgaben, die sich die neue Bewegung stellen muss. Gelingt das nicht, ist sie offen für allerlei esoterische, irrationale und auch offen rechte Bewegungen. Unter einer "Bewegung gegen das Aussterben" können sich alle möglichen versammeln. Da kann auch einer Ökodiktatur das Wort geredet werden. Fiktiv wird dieser Möglichkeitsraum längst bearbeitet. Wir kennen genügend Filme, in denen nach einer großen Katastrophe starke Männer und ihre Gefolgschaft dem Rest das Leben diktieren.
Es gab in den letzten Jahren einige Bewegungen, die schnell durch das Internet an Bedeutung gewannen und genauso schnell wieder verschwanden. Erinnert sei nur an die Occupy-Bewegung und die Bewegung der Platzbesetzungen. Einige haben sich in der Bewegung politisiert und wurden Teil von sozialen Bewegungen in Stadtteilen oder an den Arbeitsplätzen.
Schnelles Verschwinden oder Kooperieren mit anderen sozialen Bewegungen ist auch die Perspektive der neuen Umweltbewegung. Dabei hat Extinction Rebellion schon mal den Vorteil, dass sie nicht mehr mit Greta Thunberg identifiziert wird und auf Vordenker oder gar Gurus verzichtet.
Gegen den wohlwollenden Paternalismus
Dabei sind die größten Gegner der Klimabewegung nicht die, die sich noch immer über Jugendliche empören, die für einige Stunden ihre Schulpflicht verletzen. Das sind ja vorhersehbare Reaktionen.
Gefährlicher sind die, die sich so vollständig in die neue Bewegung hineinversetzen, dass sie feuchte Augen über die "widerständige Jugend" kriegen und gleichzeitig froh sind, dass sie doch so viel vernünftiger und realpolitischer als die früheren linken Bewegungen ist. Das zeigt beispielsweise eine Kolumne von Klaus Raab in der Wochenzeitung Freitag:
"Ich habe mit Gleichgesinnten gegen das Wettrüsten demonstriert, gegen Hunger und für eine Zukunft ohne Atomkraft - aber immer war klar, dass es sich gegen die herrschende Klasse richtete", schrieb dieser Tage ein Kolumnist, der alterstechnisch knapp dreimal erwachsen ist. Heute dagegen, ach je: "Selbst die Bundeskanzlerin hat ihre Sympathie bekundet. Wie soll man einen Jugendprotest nennen, der mit dem Segen der Erwachsenen durchgeführt wird?" Von Gegenbewegung könne man jedenfalls nicht sprechen. Dass die Jugendlichen womöglich gar keine Gegenbewegung sein wollen, sondern einige Jahrzehnte weiter sind als wir alten Zausel, die wir seinerzeit aber auch nicht in einer als derart komplex vermittelten Welt aufgewachsen sind: Die Möglichkeit scheint nicht denkbar zu sein. Und wenn es eine "Dafürbewegung" wäre, weil billiges Dagegensein dank der Zausel längst nur noch Pose ist? Wenn es nicht um das Stürzen der "herrschenden Klasse" ginge, sondern nur darum, dass die endlich ihre eigenen Klimaabkommen umsetzt? Aber wo kämen wir denn hin, wenn wir Jugendliche wie handelnde und denkende Subjekte behandeln würden? Nö, lieber Adultsplaining.
Klaus Raab, Freitag
Hier wird deutlich, dass ein Kolumnist vorgeblich einen Paternalismus älterer Menschen kritisiert und selbst paternalistisch argumentiert. Denn wie bei jeder realen Bewegung ist Kritik das Beste, was ihr passieren kann. Wenn es dann noch eine Kritik von Menschen ist, die bereits in ähnlichen Bewegungen der Vergangenheit Erfahrungen gesammelt haben, dann kann daraus eine Auseinandersetzung, aber auch eine Kooperation entstehen.
Es ist reiner Paternalismus, wenn nun die Kritik von Erwachsenen damit abgewehrt wird, dass man die Jugendlichen nicht bevormunden will. Das heißt doch in Wirklichkeit, man nimmt sie nicht ernst. Sonst würde man nicht an sie andere Maßstäbe als an andere Bewegungen ansetzen. Zudem ist es schon bedenklich, dass der Bewegung wohlwollende Kommentatoren wie Raab so betonen, dass es eine Jugendbewegung ist. Es war immer schon eine Taktik von Etablierten, neue Protestbewegungen, in denen schon häufiger die Jugend tonangebend war, auf genau die Altersfrage festnageln zu wollen.
Das ist dann auch eine Form von Entpolitisierung, weil der Jugend das Privileg eingeräumt wird, kritischer und rebellischer zu sein. Obwohl die Apo um 1968 zwar von der damals jüngeren Generation an den Hochschulen, aber auch in den Ausbildungsstellen, angeführt wurde, war sie aber nie eine reine Jugendbewegung. Es gab die vielfältigsten theoretischen und auch praktischen Kontakte zu älteren Linken.
So ist auch die neue Umweltbewegung keine reine Jugendbewegung. Das hat sich am 15. April in Berlin deutlich gezeigt. Wer die Bewegung unterstützen will, sollte deshalb solche Zuschreibungen wie "Jugend" nicht noch verstärken. Dagegen muss Kritik das Ziel haben, den neuen Umweltaktivismus als Teil einer dringend benötigten Bewegung für ein schönes Leben jenseits von Kapitalismus und Wertgesetz zu machen, unabhängig vom Alter der Beteiligten.