Von Gott gesandte Wesen
Frankenstein vs. das Phänomen: Die Krise der Sportvermarktung, Hollywoods erster Fußballfilm und Latinos als Allheilmittel
Fußball ist ein Blockbuster. Dies wird besonders bei Spielen deutlich, die zur Prime Time übertragen werden. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen konkurrieren die Einschaltquoten mit Europas größter Fernsehshow „Wetten das..?“. Die privaten Sender verzichten derweil auf Werbeblöcke, um die Show nicht zu unterbrechen. Auf diese Weise wird die Live-Übertragung mit dem Film als Kinoerlebnis identisch, spannend wie eine Hollywood-Produktion allemal. Die Kommentatoren neigen entsprechend dazu, gelungene Aktionen auf dem Spielfeld mit Worten zu beschreiben, die den Rasen zum heiligen Ort und den Spieler zu einer übermenschlichen Kreatur erklären. Die Welt der Stars ist nun mal eine Paralleldimension, sie ist den Bedingungen des Alltags weit entrückt und für den Normalsterblichen quasi unerreichbar.
Die Sportartikelkonzerne setzen bei der Vermarktung von Fußball auf die gleiche Karte. Sportler erscheinen in den Werbeclips von Nike, Adidas, Puma und Co. als Stars mit Superhelden-Qualitäten. Ihre ohnehin schon außergewöhnlichen Eigenschaften werden durch die Filmtechnik um ein Vielfaches gesteigert. Sie schweben und fliegen; kurz, sie haben übernatürliche Kräfte und sehen übernatürlich gut aus. Ihre Körper sind Bio-Maschinen nach Maß. Jeder Muskel ist perfekt ausgebildet, jeder Schweißtropfen untersteht einer Ökonomie der Effizienz.
Die Produktion solcher Übermenschen reißt nie ab, jedes Jahr, so scheint es, betreten neue von Gott gesandte Wesen die Arena. Doch nur wenige werden den hohen Erwartungen gerecht, die Betriebsunfälle der Starmaschine häufen sich dagegen.
Real Frankenstein
Das beste Beispiel in diesem Zusammenhang ist Real Madrid. Die Spieler sind als „Die Galaktischen“ bekannt, sprich: als eine Zusammenstellung von herausragenden Talenten, die zusammen in der Lage sind, etwas zu vollbringen, das nicht von dieser Welt ist. Doch was haben die selbsterklärten Spieler vom anderen Stern in letzter Zeit zu bieten? Durchschnittliche Leistungen, zu wenig Tore und noch weniger Siege. Wenn Real Madrid schlecht spielt oder einfach nur mittelmäßig, also nicht so, wie man es von der Mannschaft erwartet, dann wird die Krise der Starmaschine besonders deutlich erkennbar. Fußball als Blockbuster ist ein Drahtseilakt, bei dem nicht abzusehen ist, wie lange die Realität auf dem Spielfeld durch die Fiktionen des Marketings überformt werden kann.
So sehr sich die Spieler als Schauspieler in Szene setzen mögen, immer häufiger erweisen sie sich als Protagonisten des Hier und Jetzt. Die zunehmenden Brüche zwischen Industrie-Projektion und Wirklichkeit lassen die Krise offen zu Tage treten. Je künstlicher das Produkt, desto offenkundiger die Unmöglichkeit, die Fiktion aufrechtzuerhalten.
Das Resultat dieses Versuchaufbaus wird von dem spanischen Schriftsteller Javier Marias eloquent als „Frankenstein“ beschrieben. Augenzwinkernd verweist der Autor von „Salvajes y Sentimentales“ („Alle unsere frühen Schlachten“) darauf, dass auch der „echte Frankenstein ein paar Probleme mit dem Laufen hatte.“ In diesem Sinne können die Galaktischen als die paradigmatische Missgeburt angesehen werden. Statt Superhelden bekommen wir Superfreaks zu sehen.
Zeit für einen Mythos
Es ist sicherlich kein Zufall, dass just in diesem historischen Moment ein Real Madrid-Film auf den Markt kommt: „Real, la película“ (Real, der Film). Die Geschichte erzählt von fünf verschiedenen Fans der galaktischen Stars, die in Städten so unterschiedlich wie Tokio, Caracas, New York, Madrid und Ziguinchor zu Hause sind. Die geografische Anordnung des Films erinnert nicht zuletzt daran, wie viel Märkte von der königlichen Marketingmaschine gleichzeitig erfasst werden. Wie unterschiedlich sie sein können und wie weit verstreut. Die Produktion führt aber auch vor Augen, wie absurd das Rollenspiel der Spieler als Stars geworden ist, denn sie können diese Eigenschaft nur mittels einer tautologischen Operation erfüllen. Als Filmschauspieler, die sich selbst spielen: Umjubelte Stars eines Spiels, das, so ließe sich im übertragenen Sinne sagen, auch jenseits der Kinoleinwand „Real, la película“ heißt.
Wie gesagt, der Fall von Real Madrid ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Krise betrifft den Fußball als Ganzes. Das lässt sich auch den Tendenzen ablesen, Fußball zu einem Mythos zu verklären. Die allgemeinen Bedingungen der gegenwärtigen Mythosproduktion lassen sich vom Fall Real Madrid ableiten: Kaum jemand will der Krise offen in die Augen blicken. Die Strategie besteht vielmehr darin, das Problem auszublenden und wahnwitzigerweise nicht die Unterschiede zwischen Sport und Hollywood, sondern die Gemeinsamkeiten zu betonen. Eine Bestätigung für diesen Befund findet sich nicht zuletzt im Nervenzentrum der Traumfabrik, wo ebenfalls Stimmen hörbar werden, die den Sport mit einer massenmedialen Unterhaltungsform gleichsetzen. Die Aussagen des Regisseurs Danny Cannon sprechen für sich:
Ich habe mich mit Graeme Souness darüber unterhalten, dass man Parallelen zwischen der Unterhaltungsindustrie und Profifußball ziehen kann denn die Sportler müssen auf die selbe Weise funktionieren und Leistung bringen wie die Leute in der Unterhaltung. Der Wettbewerb ist wahnsinnig hart. Man hat permanent den Druck der Konkurrenz oder das Risiko einer Verletzung.
Cannon, der bislang mit Hollywoodgrößen wie Harvey Keitel, Viggo Mortensen, Sylvester Stallone und Ray Liotta drehte, hat nun einen Film mit Fußballspielern gemacht. Der von Fifa unterstützte Movie heißt Goal! und läuft in diesem Moment in mehr als zehn europäischen Ländern gleichzeitig an. Als Trilogie angelegt, erzählt „Goal!“ die Geschichte eines Mexikaners, der „ein internationaler Fußballstar“ werden will. Ja, genau das und nicht etwa: ein herausragender Fußballer. Der junge Auswanderer Santiago Munez, gespielt von Kuno Becker, zieht im ersten Teil von den Slums East-L.A.s nach Newcastle und wird dort Profi. Im zweiten Teil spielt er in der Champions League zusammen mit Real Madrid. Im dritten Teil nimmt er schließlich an der Weltmeisterschaft teil.
Allheilmittel Latino
„Goal!“ erzählt eine klassische „From rags to riches“-Story wie man sie schon unzählige Male gesehen hat. Aschenbuttel lässt grüßen. Aber auch alle Jugendlichen, die in den massenmedial verbreiteten Geschichten des 20. Jahrhunderts davon träumen, Schauspieler, Tänzer, Sänger oder Musiker zu werden. Als sich mit den fünf „Rocky“-Filmen (1976-1990) erstmals auch der Sportler im großen Stil in dieses Erzählparadigma eingeschrieben hat, war Boxen längst Gegenstand von Filmen. Spätestens mit Alfred Hitchcocks „The Ring“ (1927) wurde der Sport auf die Leinwand gebracht. Die Autorentradition ist auf diesem Gebiet dann von Regisseuren wie Stanley Kubrick („Killer’s Kiss“ - 1955), Shuji Terayama („Boxer“ - 1977), Martin Scorsese („Raging Bull“ - 1979/1980) und Michael Mann („Ali“ - 2002) fortgeschrieben worden.
Parallel dazu ist Boxen von Sportartikelherstellern und Fernsehanstalten vereinnahmt worden. Heute ist Boxen als globales Unterhaltungsprodukt groß. Ein Millionengeschäft. Und wenn die Klitschko-Brüder in der Werbung auftauchen, dann werden wir daran erinnert, dass Boxen selbst Pop-Ikonen hervorbringt. Doch sind die Klitschkos Ausnahmen und der popkulturelle Einzugsbereich dieses Sports kaum zu vergleichen mit der Starmaschine Fußball. Das gilt in unseren Breitengraden im Grunde auch für alle anderen Sportarten; selbst Tennis und Basketball können Fußball nicht das Wasser reichen. Das erstaunliche daran ist, dass Fußball von Hollywood nicht ansatzweise so umfassend beworben worden ist wie beispielsweise Boxen. Während die Box-Produktionen mit der Zeit immer aufwändiger wurden und mit „The Hurricane“ (2000) einen vorläufigen Höhepunkt erreichten, hatte es zwischen Hollywood und Fußball noch keine tieferen Berührungspunkte gegeben.
Die aktuellen Fußballfilme sind die ersten Traumfabrik-Produktionen. Denn obwohl das Kino den Fußball früh entdeckte - vermutlich war Robert A. Stemple mit „Das große Spiel“ (1941) der erste - sollte er zwar zu einem Marketing-Blockbuster avancieren, aber niemals in den Mittelpunkt eines Hollywoodfilms rücken. Wohlgemerkt bis heute, schließlich kommt mit „Goal!“ nun die erste Blockbuster-Produktion in die Kinos. Und damit die Verarbeitung eines Sports auf jenem Niveau, auf dem seine Vermarktung seit geraumer Zeit dimensioniert ist. Wozu braucht der Fußball das Kino überhaupt noch? Die bevorstehende Weltmeisterschaft scheint der ideale Rahmen für die Lancierung dieses Produkts zu sein. Ich bin allerdings der Meinung, dass hier nicht nur eine perfekte „Absatzatmosphäre“ gefunden worden ist, sondern „Goal!“ auch maßgeblich zu jener Mythosproduktion beiträgt, die dazu dienlich ist, die Krise der Starmaschine zu verwinden.
Wenn der Fußball nun mit einer aufwändigen Produktion an die Kinokassen stürmt, dann nur augenscheinlich, um seinen Königsstatus zu bestätigen. Unter der Oberfläche brodelt die Legitimationskrise dieses Sports, dessen Kommerzialisierung Übermenschlichkeit zu einer unerfüllbaren Grundvoraussetzung gemacht hat. Um dieses Anforderungsprofil zu erfüllen, wird mit Santiago Munez nicht zufällig ein Latino eingewechselt. Der Regisseur des Films bestätigt: „Santiago sollte unbedingt Mexikaner sein.“ Immerhin scheinen Latinos das Versprechen der Übermenschlichkeit noch am ehesten einzulösen. Sie treten als „Phänomen“ in Erscheinung - also als außergewöhnliches oder unerklärliches Ereignis - und handeln auf dem Spielfeld oftmals „gegen jede Vernunft“.
Als jüngster Agent in dieser Mission empfiehlt sich derzeit der Ex-Madrider Iván Sánchez-Rico, genannt Riki. Er ist gerade dabei, sich einen Namen als der Godzilla von Getafe zu machen. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob solche Figuren das Gegengewicht zu der wachsenden Armee der Frankensteins im Fußball herstellen können, oder ob ihnen früher oder später ebenfalls „Probleme beim Laufen“ nachgesagt werden.