Von Konzertveranstaltern und Schweinezüchtern

Seite 2: II. Wann und wie werden Konzerttourneen überhaupt wieder stattfinden können? Und wie ist die Situation von Konzertveranstalter*innen, Agenturen und Kulturarbeiter*innen?

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Die Konzertsäle und Opernhäuser sind wieder geöffnet, die Salzburger Festspiele und das Berliner Musikfest fanden statt, wenn auch mit stark eingeschränkten Publikumszahlen - ist also wieder alles gut?

Hier entsteht ein merkwürdig irrationaler Eindruck, besonders, wenn sich Artikel darüber, dass "der Kulturbetrieb endlich wieder läuft", ausschließlich mit Spielorten der hochsubventionierten Klassik beschäftigen, also mit der Berliner oder der Kölner Philharmonie, mit dem Konzerthaus Dortmund oder dem Münchner Gasteig und den einschlägigen Opernhäusern. Die Walküre findet wieder statt, "O süßeste Wonne!", alles super für die Kulturelite, "Hojotoho! Hojotoho! Heiaha! Heiaha! Hojotoho! Heiaha!"

Dass sich keine dieser Aufführungen und keines der Konzerte mit drastisch reduziertem Publikum auch nur ansatzweise wirtschaftlich darstellen lässt, bleibt in den Feuilletons meist unerwähnt.

Wenn eine Tochterfirma der CTS Eventim AG in der vom Konzern langfristig gepachtete Berliner Waldbühne Auftritte von Roland Kaiser, Sido, Helge Schneider, Peter Maffay oder eine "Schlagernacht - Special Edition" mit den vom Berliner Senat für Freiluftveranstaltungen genehmigten 5.000 statt der dort sonst üblichen mehr als 20.000 Fans anbietet, hat das ja mit dem gewohnten Konzertbetrieb ebenso wenig zu tun wie das von der deutschen Dependance von Live Nation, dem weltgrößten Konzertveranstalter, im Düsseldorfer Stadion mit 13.000 Fans geplante Konzert von Bryan Adams, Sarah Connor und The BossHoss, das als "Renaissance der Livemusik" angekündigt worden war, ehe man sich gezwungen sah, die Veranstaltung "angesichts steigender Infektionszahlen und im Raum stehender, nachträglicher Kapazitätsbeschränkungen" in den Spätherbst zu verschieben; wann und ob das Konzert stattfinden wird, bleibt offen.

"Rechnen" würden sich all diese Veranstaltungen nicht wirklich - was für Großkonzerne wie CTS Eventim oder Live Nation nachrangig sein mag, für die kleinen und mittleren, (noch) unabhängigen Konzertveranstalter allerdings ein massives Problem darstellt.

Tatsache ist: Konzerte der Zeitkultur werden in den nächsten Monaten kaum stattfinden. Allein schon, weil das internationale Tourneegeschäft derzeit und in absehbarer Zeit daniederliegt, und der größte Teil der hierzulande stattfindenden Konzerte wird nun einmal von internationalen Acts bestritten.

Zum einen gibt es nach wie vor Einreisebeschränkungen, von denen niemand weiß, wann sie enden: Musiker*innen aus den USA dürfen aktuell und, wenn man die Pandemie-Entwicklung im Trump-Amerika näher betrachtet, sicher noch eine ganze Weile nicht nach Europa einreisen. Hinzu kommen unterschiedliche und je nach Ausbrechen von neuen Pandemieherden ständig wechselnde Quarantäneregelungen.

Aktuell verlangt die britische Regierung beispielsweise für Reisende, die in den 14 Tagen vor ihrer Einreise nach Großbritannien Länder wie Belgien, Frankreich, die Niederlande, Österreich oder die Schweiz besucht haben, eine 14tägige Quarantäne. Und die Bundesregierung führt derzeit unter anderem die Regionen Genf, Prag und Wien sowie die Länder Belgien und Frankreich (mit Ausnahme der Region Grand-Est) als Risikogebiete, was bedeutet, dass auf Reisende, die sich in den letzten 14 Tagen in diesen Gebieten aufgehalten haben, eine "Pflicht zur Absonderung" (sprich: Quarantäne) zukommt.

Dies sind nur zwei Beispiele, die verdeutlichen, dass Tourneen innerhalb Europas derzeit und perspektivisch de facto unmöglich sind - jedenfalls, solange sie die klassischen und für die Durchführung von Tourneen essentiellen Städte wie London, Amsterdam, Berlin, Brüssel oder Paris tangieren, aber auch Städte wie Prag und Wien, die ebenfalls Stationen vieler internationaler Touren sind.

Hinzu kommt der regionale Flickenteppich von nationalen und regionalen Corona-Verordnungen, der die Organisation von Tourneen unnötig erschwert; natürlich ist es sinnvoll, wenn die Verantwortlichen bei sich neu entwickelnden Corona-Hotspots Vorsicht walten lassen und strenge Auflagen machen - ansonsten sollte allerdings bundesweit eine gewisse Einheitlichkeit der Regeln herrschen.

Wenn man dann noch berücksichtigt, dass Europatourneen größerer internationaler Acts einen Vorlauf von mindestens einem Jahr benötigen und selbst kleinere Clubtourneen mindestens sechs Monate im Voraus gebucht werden, weiß man, dass bis mindestens Sommer 2021 keine internationalen Bands und Musiker*innen hierzulande auf Tour sein werden - vereinzelte Ausnahmen werden diese Regel bestätigen. Die großen US-Acts haben ihre Europatourneen bereits auf 2022 verschoben.

Dies hat für das deutsche Konzertwesen dramatische Folgen. Wenn keine internationalen Acts touren, fehlen Tourveranstaltern, örtlichen Konzertveranstaltern, aber auch den Venues, also den Konzerthallen und Clubs, die Konzerte, die ihr Überleben überhaupt ermöglichen. Keine Shows, keine Einnahmen. Die Konzertbranche kämpft tatsächlich um ihre Existenz, und nicht wenige Konzertfirmen und Mitarbeiter*innen sind bereits in den Abgrund gestürzt:

• Sowohl renommierte größere als auch einige kleinere Tourneeveranstalter und Agenturen mussten bereits ihre Firmen auflösen; andere haben ihre Büroräume aufgegeben und mussten viele Mitarbeiter*innen entlassen. Wie ernst die Lage ist, zeigt, dass eine der weltgrößten Agenturen, die amerikanische Paradigm Talent Agency, in den letzten Monaten 180 Mitarbeiter*innen entlassen hat15; Paradigm vertritt Hunderte von Musiker*innen und Bands, u.a. Superstars wie a-ha, Coldplay, Billie Eilish, Herbie Hancock, Lorde, Randy Newman und Ed Sheeran, aber auch Acts wie Billy Bragg, Bon Iver, Chuck D, diplo, FKA twigs, Flying Lotus, Sigur Rós, Stormzy oder Stromae und die hierzulande bekannten Calexico und Mighty Oaks.16

• Renommierte hiesige Indie-Agenten leben von Hartz IV oder machen Umschulungen z.B. zum Pizzabäcker (ob das angesichts ähnlicher Probleme in der Gastronomie eine kluge Entscheidung ist, bleibt dahingestellt…)

• Die etwa 700.000 soloselbständigen Kulturarbeiter*innen - also zum Beispiel Bühnenarbeiter*innen, Stagehands, Securities, Roadies, Catering-Kräfte, Tourmanager*innen, Busfahrer*innen oder Ton-, Licht- und Backline-Techniker*innen - erfahren praktisch keine Unterstützung und müssen sich mit Hartz-IV durchschlagen. Je länger der Konzert-Shutdown im Bereich der Zeitkultur andauert, desto mehr dieser Kulturarbeiter*innen werden sich andere Jobs suchen müssen und in Zukunft der Konzertszene nicht mehr zur Verfügung stehen und somit das Veranstalten von Konzerten erschweren, wenn nicht unmöglich machen.

• Etliche unabhängige kleinere und mittlere Konzertveranstalter mussten bereits aufgeben oder sehen das Fortbestehen ihrer Firmen über den Jahreswechsel hinaus in Gefahr.

• Die meisten Venues und Clubs ringen um ihre Existenz und werden weitere Monate ohne Veranstaltungen nicht durchhalten.

Ich gehe davon aus, dass etwa 25 bis 30 Prozent der unabhängigen örtlichen Konzertveranstalter, Tourneeveranstalter, Clubs und Venues einen längeren Konzert-Shutdown nicht überleben werden. Schon die bisherigen sechs Monate ohne Konzerte sind für die gesamte Branche desaströs.

Und bisherige Hilfen, etwa für die Clubs und Venues, werden leider häufig nach intransparenten Kriterien vergeben, falls es sie überhaupt gibt: In Berlin existieren umfangreiche Hilfen für Clubs und Venues, in Hamburg hat die Kulturbehörde einen Schutzschirm aufgespannt und fördert die Club- und Venueszene mittels eines "Live-Concert Accounts" - während in vielen Bundesländern laut "LiveKomm"17 gar keine Clubförderung existiert, etwa in Baden-Württemberg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen.

Doch selbst da, wo es Hilfen für Clubs und Venues gibt, bestehen massive Probleme: Die staatlichen Finanzspritzen sind in der Regel viel zu gering dosiert, wie Pamela Schobeß, Vorsitzende der Berliner Clubcommission, betont:

"Wenn wir ehrlich sind, sind wir im Grunde eigentlich alle insolvent oder zumindest die meisten von uns, weil wir keine Rücklagen haben."18

Und Nanette Fleig vom legendären Berliner Club SO36 berichtet von einem anderen Problem: Schon früh in der Corona-Krise sammelte der Club Spenden, um die monatlichen 23.000 Euro Fixkosten zu stemmen. Genau wegen der paar Tausend Euro Spenden hat das SO36 aber keinen Euro der später aufgelegten Sonderhilfe des Senats erhalten.19 Generell fallen Clubs, die auf Sparflamme ihre Arbeit wieder aufgenommen oder Spenden gesammelt haben und entsprechend buchhalterisch "deckungsbeitragsfreie" Umsätze verzeichnen können, just wegen dieser meist marginalen Umsatzsteigerungen aus der staatlichen Förderung heraus, werden also dafür bestraft, aktiv zu sein und sich gegen das Corona-Desaster zu stemmen.

David Süß, einer der Betreiber des renommierten Münchner Clubs Harry Klein, stellt fest:20

"Die Clubs sind genauso wichtig wie die Staatsoper. Entweder lässt man uns hopsgehen, oder die Solidargemeinschaft entscheidet, dass Branchen wie unsere Entschädigungen bekommen, bis wir wieder öffnen."

Wenn nicht rasche und substantielle Hilfe geleistet wird, wird die reichhaltige Konzert- und Clubszene, wie wir sie kennen und schätzen, im Jahr 2021 schlicht nicht mehr existieren. Damit ist die sowieso durch die Imperiengeschäfte der Großkonzerne im Konzertbereich bereits ausgehöhlte kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaft so stark in Gefahr wie vermutlich noch nie in der Geschichte.