Von Mauern und Schatten
Seite 2: Chance für Mexiko
Generell sind die Ursachen einer Projektion auch von ihrem Urheber zu bearbeiten. Wie kann nun Mexiko mit der riesigen Projektion verfahren, die das Land aus nördlicher Richtung traktiert? Ich denke, es ist von fundamentaler Bedeutung, geeignete Wege zu finden, sich von ihr abzugrenzen und die mit ihr verknüpften Inhalte an den Absender zurück zu reichen. Dabei ist der eskalationsbereite emotionale Zündstoff zu beachten, der in Projektionen geborgen liegt.
Ihre entschiedene Zurückweisung im Fall USA ist daher ein Prozess, der Mut, Besonnenheit, Klarheit und Fingerspitzengefühl erfordert. Dennoch könnte in ihm für Mexiko auch eine fulminante Chance liegen, gelänge er. Eine ganze Reihe zentraler Problematiken innerhalb des Landes weisen eine starke Komponente von hartnäckiger Verstrickung mit den USA auf. Mexiko hat somit nun die Chance, seine Verbindungen zum nördlichen Nachbarn neu zu justieren und aus der eigenen Souveränität heraus zu definieren.
Geht es darum, was der US-amerikanischen gen Süden gerichteten Politik aus der Vergangenheit an verdrängungsrelevanten Inhalten zur Verfügung steht, gibt es einiges zu bemerken. Hierbei muss man noch gar nicht einmal bis zur unheilvollen Mittelamerika-Politik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausholen, die die betroffenen Staaten um Jahrzehnte zurückwarf, was bis heute von dort zu einem starken Migrationsdruck in Richtung Norden führt. Nein, alleine das Geflecht des mexikanisch-amerikanischen Verhältnisses bietet an teils sorgsam verborgenen Stellen schon genügend Stoff.
Wie die USA in Mexikos Politik eingreifen
Um Mexiko in die von ihnen gewünschte Spur zu bringen, konnten die Vereinigten Staaten nicht gar so grob und offensichtlich vorgehen, wie sie dies weiter im Süden taten. Das heißt nicht, dass die Einflusskreise aus dem Norden zimperlich waren. Infiltration, Korruption und Drogenhandel waren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Werkzeuge der CIA zur verdeckten Sicherung der Interessen. In der 1947 gegründeten mexikanischen Sicherheitspolizei Dirección Federal de Seguridad (DFS) liefen Jahrzehnte lang die Fäden zusammen - sie soll ein Produkt der US-Agency gewesen sein.2 Beinahe sieht es aus, als wären die alten Gespenster aus Mexikos vorrevolutionärer Zeit nie richtig verschwunden.
Das alles spielte sich zu Zeiten des Kalten Krieges ab, und zumindest jener Zusammenschluss illegaler Zirkel wurde 1985 noch vor Zusammenbruch des Sowjetreichs aufgelöst. Die DFS ging in das Centro de Investigación y Seguridad Nacional (CISEN) über.
Es ist zu vermuten, dass inzwischen neue Strategien entwickelt wurden, mit denen die USA Einfluss ausüben konnten. Seit 1982 wurde Mexiko, wie auch andere Länder in Lateinamerika von einer Schuldenkrise gebeutelt, die ihre Ursachen zum Teil in Unstabilitäten auf dem weltweiten Ölmarkt hatte. In der Behandlung dieser Krise durch die internationalen Organisationen gibt es Parallelen zur Vorgehensweise der Troika in Griechenland während der vergangenen Jahre. Unter Führung von IWF und Weltbank wurde Mexiko zu einer drastischen Austeritätspolitik mit Marktliberalisierung gezwungen, während sich private Banken, überwiegend aus den USA, am Schuldendienst der ins Schlingern geratenen Staaten mitunter eine goldene Nase verdienten. Präsident der Weltbank war von 1981 bis 1986 Alden W. Clausen, der vor und nach dieser Zeit die damals weltgrößte Handelsbank, die Bank of America, leitete.
Ein vielleicht nicht unwichtiges Detail am Rande ist, dass der damalige Chef der Deutschen Bank Alfred Herrhausen 1987 nach einem Gespräch mit dem mexikanischen Präsidenten de la Madrid einen Schuldenerlass für die Krisenländer durchführen wollte. Nun konnte Herrhausen, der intern auch als "intellektueller Snob" gesehen wurde, andere Menschen durchaus seine Arroganz spüren lassen. Doch er war auch ein Mann mit Visionen, der sich so leicht nicht beirren ließ.
Sein Vorhaben löste bei diversen Kollegen in der Bankenwelt hysterische Reaktionen aus. Bevor er es allerdings richtig umsetzen und damit auch andere Kreditinstitute in Zugzwang bringen konnte, fiel Herrhausen 1989 einem Attentat zum Opfer, um das sich heute noch viele Rätsel und Mysterien ranken. Sein Plan verschwand nach seinem Tod postwendend in der Versenkung.3