Von Mauern und Schatten

Grenzzaun zu Mexiko in Kalifornien. Bild: dhs.gov

Zu Trumps Abschottung gen Süden

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Aus Zufall und einem eigentlich ganz und gar unpolitischen Motiv heraus hatte ich wenige Wochen vor den vergangenen US-Präsidentschaftswahlen begonnen, das Buch "México negro" von Francisco Martín Moreno1 zu lesen. Es handelt von der Entwicklung des Ölabbaus in Mexiko vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis Ende der 30er Jahre, und so wird auch die Okkupation durch amerikanische und europäische Ölkonzerne in Zeiten vor der mexikanischen Revolution erzählt, die etwa ab 1910 ihren langwierigen Lauf nahm.

Die Lektüre bis dahin ist bitter. Es ist nachzulesen, wie angetrieben von der Gier der Konzerne Präsidenten des Landes gemacht und gestürzt, gleichzeitig Bündnisse mit korrupten Politikern vor Ort geschlossen wurden. Es ist zu lesen, wie Bevölkerung und Boden geschunden wurden, während der Wahnsinn der Rädelsführer aus Amerika und England immer noch weiter eskalierte. Es ist auch zu lesen, mit welch abgrundtiefer Verachtung jene Ölmagnaten aus dem Ausland unter Rückendeckung von ihren eigenen Regierungen die Menschen in Mexiko damals überschütteten.

Der von Donald Trump dem südlichen Nachbarn gegenüber angeschlagene Ton erinnert mich an den Duktus der ausländischen Usurpatoren aus jenen geschilderten Anfangszeiten der mexikanischen Ölausbeutung. Er ist bösartig, degradierend und zutiefst beleidigend. Der nun mächtigste Mann der Welt wollte eine unüberwindliche Mauer zwischen Mexiko und den USA hochziehen und die südlichen Nachbarn, so stellte er sich das vor, sollen diesen Unfug auch noch bezahlen. Inzwischen ist Trumps Mauerprojekt gehörig ins Wanken geraten: Mexiko denkt natürlich nicht im Traum daran, auch nur einen Peso für das Ding zu löhnen.

Anfang April ruderte der amtierende US-Heimatschutzminister John Kelly im Vorfeld eines Treffens mit dem mexikanischen Außenminister Luis Videgaray denn auch zurück. Fürs Erste sollen nur strategisch wichtige Teilgrenzstücke verbarrikadiert werden, so die Botschaft. Am Ende desselben Monats drehte der US-Kongress vorläufig den Geldhahn im eigenen Land zu: Er genehmigte einen Übergangshaushalt, der bis September keine Finanzmittel für das geplante Beton-Ungetüm vorsieht. Der US-Präsident allerdings bleibt stur: "Lasst Euch von den Fake Medien nicht erzählen, ich hätte meine Position zur Mauer geändert", twitterte er, als ihm klar wurde, dass er die Kröte schlucken musste.

Trump erscheint als Mensch von bestenfalls mediokrer Intelligenz mit eingeschränktem Bildungshorizont, ist dafür aber ausgestattet mit einem inflationär aufgeblasenen Ego. Das macht ihn gefährlich. Dennoch ist der nordamerikanische Präsident nicht eigentliche Ursache des Problems, sondern er ist die logische Konsequenz einer Schieflage, die sich über viele Jahrzehnte aufgebaut hat. Auch der geplante Mauerbau ist kein neues Thema: Ganz unterschiedliche US-Regierungen haben in der Vergangenheit schon an Grenzkonstruktionen zum südlichen Nachbarn gebastelt.

Für den ganzen amerikanischen Kontinent hat Mexiko eine Schlüsselposition inne

Die Schlüsselposition Mexikos liegt einerseits an seiner geographischen Position, aber auch am Reichtum des Landes und seiner kulturellen Fundamente. Ein Staat Mexiko, der selbst bestimmt und selbstbewusst seinen Weg geht, wäre ein starkes Signal an ganz Lateinamerika mit weltweiter Beachtung. Nun weiß man das auch im nördlichen Nachbarstaat, und es deutet so einiges darauf hin, dass ihm ein solches Szenario weder heute noch zu früheren Zeiten recht gewesen ist. Die hierbei vorherrschende Haltung mag in vielfacher Hinsicht exemplarisch für das in der US-Politik abgebildete Verständnis zur Welt im allgemeinen sein.

Denn die übergeordnete Schieflage besteht darin, dass jene Politik im Hintergrund von den Eigeninteressen der Wirtschafts- und Finanzeliten dominiert wurde und wird. Auch das Scheitern vieler Vorhaben von Trump-Vorgänger Barak Obama lässt sich letztendlich zu einem erheblichen Teil daraus erklären. Mit dem Fall der Berliner Mauer von 1989 ist Europa offensiv auf den Zug aufgesprungen, das neoliberale Zeitalter wurde von da an auch dort offiziell ausgerufen. Auf Kosten der Bevölkerung dürfen sich die Konzerne seitdem beinahe alles erlauben. Das ist auch in den USA nicht viel anders, und so stellt die Wahl Trumps in erster Linie einen Protest gegen eine Politik dar, welche die soziale Schere landauf, landab weiter und weiter auseinander klaffen lässt.

Der Demokrat Bernie Sanders hätte, wäre er Präsidentschaftskandidat geworden, Trump womöglich verhindern können. Denn er war in seinem Anliegen der Gegensteuerung glaubwürdiger als Hillary Clinton mit ihrer hohen Affinität zum Finanzsektor. Ich unterstelle Clinton denn nun auch, dass sie Sanders nicht aus Überzeugung bekämpft hat, sondern aus Motiven persönlichen Machtstrebens.

Abschottung als Ergebnis einer Projektion

Donald Trump enthüllt uns jetzt ungeschminkt, was uns die tatsächlichen Urheber dieser Schieflage nie offen ins Gesicht zu sagen gewagt, aber dennoch verschleiert getan haben. Er ist, ebenso wie die angesichts seiner in Freudentaumel verfallenen europäischen rechtspopulistischen Parteien, Schatten einer Politik, welche die Gemeinschaften der Erde bereits in der Vergangenheit an die Ränder diverser Abgründe führte, sie teils hinein stieß und doch nie bereit zur Umkehr war. Es ist dies eine Politik, die längst nicht mehr bemüht war, dem Ganzen zu dienen, sondern die das Ganze in den Dienst treten ließ eines kleinen Kreises von Konzernen, Machthungrigen und Spekulanten.

Die Welt grenzt sich ab (19 Bilder)

Grenzzaun zwischen Mexico und den USA in Arizona. Bild: U.S. Customs and Border Protection / Public Domain

Ebenso wie das von Trump gewollte Einreiseverbot für Angehörige bestimmter muslimischer Staaten und die Hatz auf die Einwanderer ist auch der aktuelle Plan des Mauerbaus zwischen Mexiko und den USA eine klassische Projektion. Die Bösen sind immer die anderen, sie sollen draußen bleiben. Das Gute haben wir gepachtet, und das müssen wir schützen. America first! Eine beinahe analoge Projektion findet derzeit auch in Europa statt. Die Abschottung gegen die Flüchtlingsströme aus den Krisenherden Afrikas sowie des Nahen und Mittleren Ostens gewinnt zusehends brutale Züge.

Das Problem wurde - so wirkt es - in der Vergangenheit jahrelang schlichtweg übersehen. Europa war mit sich selbst beschäftigt - will sagen, mit wirtschaftlicher Expansion oder einschlägiger Strategienschmiede. Damit hat es ordentlich zum Entstehen von Fluchtursachen beigetragen. Die Sache ist noch längst nicht ausgestanden, aber schon jetzt steht der ganze Kontinent vor einer Zerreißprobe, die extremistische Tendenzen befeuert. Die härtesten Konsequenzen dieser Projektion Europas allerdings haben diejenigen zu tragen, die außerhalb der Festung bleiben, mitsamt all ihres Leides und ihrer Verzweiflung.

Eine Projektion beruht immer auf Verdrängung des eigenen Anteils an einer ungewünschten Situation. Wie die Trump-Wahl und die in den letzten Jahren erstarkten rechtspopulistischen Strömungen Europas zeigen, hat sie kollektive Wirksamkeit. Die Brisanz einer Projektion liegt darin, dass die verdrängten Inhalte unbewusst weiter wirken, und zwar unter Rückfall auf eine archaisch geprägte Stufe. Sie entziehen sich somit dem vom Bewusstsein erarbeiteten allgemeinen Wertekontext. Der neue amerikanische Präsident ist hierfür ein pathologisch "sehr schönes" Beispiel, und genau dieser Punkt macht seine Gefährlichkeit aus.