Von den Nachwirkungen einer Raumfahrt-Tragödie

Seite 2: Endes eines Traumes

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Doch nur 73 Sekunden nach dem Start geschieht in einer Höhe von 15 Kilometer ohne jede Vorwarnung das Undenkbare. Von einem Moment auf den nächsten stirbt der amerikanische Traum von einer sicheren bemannten Raumfahrt. Die Hoffnung auf einen direkten Weg ins All endet vorerst.

Der strahlend blaue und wolkenfreie Himmel über Cape Canaveral verändert seine Farbe. Ein Feuerball erfüllt den Himmel. Die Challenger verschwindet hinter einer großen Nebelwolke aus Explosionsgasen, weißen Wolken und Rauchspuren.

Was vielen Zuschauer in Florida und vor den Fernsehern zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst ist - sie sind soeben Zeugen der bis dahin größten Katastrophe in der Geschichte der bemannten Raumfahrt geworden.

Als die Challenger vor genau 30 Jahren explodierte und dabei sieben Astronauten ihr Leben verloren, konnten Menschen das erste Mal in der Geschichte via TV eine High-Tech-Katastrophe live und in Farbe verfolgen. So mag es nicht verwundern, dass sich das NASA-Desaster von 1986 fast genauso tief in das kollektive Gedächtnis der USA und über die Grenzen hinweg eingebrannt hat wie die Apollo-11-Mission.

Die USS Guam birgt die Nase eines Feststoff-Boosters der Challenger 220 km vor der Küste Georgias (1. Februar 1986). Bild: U.S. Navy

Gewiss, beide Ereignisse markierten jeweils eine völlig andere Zäsur. Während die erste Mondlandung im Juli 1969 als supranationales Ereignis prospektiv und langfristig den Sprung vom Homo sapiens zum Homo spaciens symbolisierte und viele Hoffnungen weckte, zerstörte das Challenger-Unglück retrospektiv gesehen die Hoffnung der Amerikaner mit einem Schlag, einen rein amerikanischen Zugang in den Orbit zu etablieren.

Der Traum, Raumflüge so alltäglich werden zu lassen wie Flugreisen, rückt mit einem Mal in weite Ferne. Aus dem Traum wurde ein nationaler Albtraum, eine nationale Tragödie. Der Image-Schaden der NASA erreichte seinen Höhepunkt.

Nachwirkungen und Columbia

Die Nachwirkungen dieser Katastrophe sind noch heute zu spüren und haben kausal dazu geführt, dass die NASA derweil über kein eigenes Transportsystem mehr verfügt, mit dem sie in absehbarer Zeit Astronauten in die Erdumlaufbahn hieven kann.

Dass die NASA zurzeit ihre Astronauten nur mithilfe von russischen Trägersystemen zur Internationalen Raumstation (ISS) zu befördern vermag, spricht Bände und spiegelt die eigenen Versäumnisse und Fehler früherer Tage und die gegenwärtige Realität wider.

Ein Wrackteil der Challenger wird in ein aufgegebenes Minuteman-Raketensilo auf der Cape Canaveral Air Force Station abgesenkt. Bild: NASA

Denn als sich 1986 herausstellte, dass die Challenger-Mission nur wegen eines in einem der wiederverwendbaren Feststoffraketen installierten, spröde gewordenen Gummidichtungsrings so tragisch scheiterte (was zum Austreten von Treibstoff führte), fror die NASA das Shuttle-Programm zwar für vier Jahre ein, überholte die drei verbliebenen Fähren Columbia, Atlantis und Discovery von Grund auf und nahm an dem System insgesamt 2000 Modifikationen vor.

Trotzdem präsentierten sich die Raumfähren nach der Wiederaufnahme des Flugbetriebs 1988 noch anfälliger als zuvor. Die Fehlerquellen wurden immer größer - und das Management zur Beseitigung der selbigen immer ineffizienter. So fanden im Juli 2002 Techniker praktisch in letzter Minute beim Überprüfen der Leitungen im Treibstoffversorgungssystem bei den Raumfähren Atlantis und Discovery geringfügige Anomalien in Form von haarfeinen Rissen.

Sensibilisiert von dem Challenger-Desaster und mit Blick auf die statistische Wahrscheinlichkeit eines weiteren Shuttle-Unglücks, reagierte die US-Raumfahrtbehörde sofort und ließ auch die Columbia auf dieselben Risse hin nochmals auf Herz und Nieren überprüfen.

Und trotzdem verlor die NASA am 1. Februar 2003 just diesen Orbiter: die Columbia mitsamt ihrer Crew. Erneut bedingte eine scheinbare Banalität den Absturz der Fähre (STS-107). Ein simples Stück Isolierschaum löste sich beim Start von dem Außentank, prallte auf die Vorderkante des linken Flügels und deformierte den Hitzeschild.

Von den Nachwirkungen einer Raumfahrt-Tragödie (11 Bilder)

Der Start zur Unglücksmission STS-51-L am 28. Januar 1986. Bild: NASA

Angesichts der beiden Shuttle-Katastrophen kritisierte am 18. März 2003 der Ex-Shuttle-Astronaut und Politiker Bill Nelson die NASA mit harten Worten und warf der Behörde vor, nichts aus dem Challenger-Unglück gelernt zu haben. Die beiden Abstürze seien auf die Arroganz des NASA-Managements und auf fehlende Kommunikation untereinander zurückzuführen, so sein Fazit, das von vielen Kritikern geteilt wurde. Tatsächlich reagierte die NASA nach dem Columbia-Desaster entschlossener und optimierte das Shuttle-Programm auf allen Ebenen und führte es in seine beste Ära.