Von der Arktis bis Afrika: Willkommen im Klimachaos

Seite 2: Und das ist erst der Anfang

Mariama Williams:

In der Karibik haben wir es auch mit Hurrikans zu tun. Die Insel Dominica zum Beispiel wurde vor Jahren von schweren Regenfällen und Überflutungen heimgesucht. Wie die Weltbank herausfand, wurde dabei 90 Prozent des BIP der Insel zerstört. Das kann ein einzelnes Wetterereignis anrichten – und es war ja nicht einmal der Hurrikan selbst, sondern die Regenfälle im Nachgang des Hurrikans, die Brücken und Gebäude weggeschwemmt haben.

Pablo Solón:

Das Phänomen El Niño (veränderte Meeresströmung im Zuge der Erwärmung, Telepolis) richtet bereits Schäden in Südamerika an. Die Wissenschaft, die Nasa, alle sagen übereinstimmend: In Zukunft werden Strömungsänderungen noch viel weitreichender sein als in der Vergangenheit. Wir werden El Niño Godzilla erleben – mit enormen Ausmaßen. Es handelt sich dabei nicht um ein Phänomen, das einmal auftaucht und dann fünf oder sieben Jahre pausiert. Es kann deutlich öfter auftreten. Die Auswirkungen in Form von Überschwemmung und Dürre werden tragisch sein. Noch hat es nicht wirklich begonnen. Und dennoch beobachten wir jetzt schon Naturkatastrophen überall in Amerika, insbesondere Lateinamerika. Es ist nur der Anfang.

Alice Bows-Larkin, Klimawissenschaftlerin, ehemalige Direktorin des Tyndall Centre for Climate Change Research, Großbritannien:

Wenn wir uns Studien anschauen, die von einem Temperaturanstieg von drei bis vier Grad Celsius ausgehen, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass dies ja nur weltweite Durchschnittswerte sind. Aufgrund der thermischen Trägheit der Ozeane steigt die Meerestemperatur langsamer an, sodass der Anstieg an Land effektiv höher ist. Was wir als Menschen wahrnehmen, sind ja nicht globale Durchschnittstemperaturen, sondern Wetterlagen oder extreme Wetterereignisse. Also müssen wir uns daran orientieren. Der heißeste Tag eines Jahres, in einer Hitzewelle, könnte bei einem Vier-Grad-Szenario sechs, acht oder zehn Grad wärmer ausfallen. Man stelle sich vor: Man lebt in einer Großstadt und eines Tages ist es sechs bis zehn Grad wärmer als jemals zuvor. Derartige Temperaturanstiege haben große Auswirkungen auf die Landwirtschaft und damit auf unsere Ernährungssicherheit. Wenn die Temperatur um vier Grad ansteigt, könnte das einen Rückgang der Mais- oder Reisernten um 30 bis 40 Prozent bewirken. Das wäre verheerend für die weltweite Ernährungssicherheit.

Kevin Anderson, Klimawissenschaftler, ehemaliger Direktor des Tyndall Centre for Climate Change Research, Großbritannien:

Mit den steigenden Temperaturen schmilzt der Permafrost. Die Tundra beginnt in großen Teilen Russlands zu tauen. In den Böden dort sind große Mengen Methan gebunden, Unmengen an Methan. Methan ist ein sehr starkes Treibhausgas. Wenn nun also die Tundra auftaut, steigen wiederum die Temperaturen. Mehr Methan gelangt in die Atmosphäre. Dieses Methan hat wiederum einen weiteren Treibhauseffekt zur Folge, was den Permafrost noch schneller zum Schmelzen bringt und noch mehr Methan freisetzt. Eine andere Kettenreaktion geht von den Meeren aus: Mit der globalen Erwärmung erwärmen sich auch die Ozeane. Und je wärmer sie werden, desto mehr gebundenes CO2 geben sie in die Atmosphäre ab. Es gibt also eine Reihe von möglichen Rückkopplungen, die die Situation immer weiter verschlimmern. Und das kann am Ende sogar noch mehr Gewicht haben als unsere eigenen CO2-Emissionen. Ich finde es sehr unvernünftig, dass wir diesen Aspekt in unseren derzeitigen politischen Maßnahmen nicht berücksichtigen – obwohl wir wissen, dass es diese Kettenreaktionen gibt, diese "Kipppunkte" im Klimasystem, die die Gesamtsituation auf verheerende Weise beeinflussen können. Allerdings wissen wir in den Klimawissenschaften noch nicht im Detail, wann genau diese Reaktionen auftreten werden. Es gibt zum Beispiel immer noch unterschiedliche Meinungen dazu, welcher Temperaturanstieg in der westlichen Antarktis welche Schmelzgeschwindigkeiten hervorruft. Das Gleiche gilt für Grönland oder den Permafrost. Es ist noch unklar, ob das bei einem konstanten Temperaturanstieg von ein oder 1,5 Grad bereits geschieht, oder ob wir bis zu einem Anstieg von 2,5 oder drei Grad relativ sicher sind. Diese Fragen sind noch nicht ausreichend verstanden, um in den Klimamodellen präzise abgebildet zu werden. Wir müssen also vorsichtig sein und können nicht sagen, dass es bei 1,5, zwei oder 2,5 Grad der Fall sein wird. Wir wissen aber, dass ein weiterer Temperaturanstieg die Wahrscheinlichkeit für solche Kettenreaktionen mit ihren katastrophalen Auswirkungen weiter erhöhen wird. Jede einigermaßen kluge, umsichtige Gesellschaft – mal angenommen, das sind wir –, jede einigermaßen vernünftige Politik würde sich für den sicheren Weg entscheiden. Wir haben nur diesen einen Planeten und sollten mit ihm keine Experimente anstellen. Wenn wir also Hinweise darauf haben, dass die oben beschriebenen Phänomene relativ früh auftreten können – Hinweise, wie sie der US-Klimaforscher James Hansen liefert –, dann sollten wir diese Hinweise als Grundlage unserer politischen Entscheidungen benutzen. Berücksichtigen wir also die Rückkopplungseffekte, dann verringert sich unser CO2-Budget auf einen Schlag radikal, also die Menge an Treibhausgasen, die wir noch emittieren dürfen, ohne gefährliche Schwellen zu überschreiten. Dieses Budget schrumpft dann zusammen, weil die Natur selbst bereits einen Großteil davon in Anspruch nimmt.

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