Von der Schöpfung zur Erschöpfung
Über schlappe Spermien und andere Formen der Schöpfungsunlust
Das Ende der Menschheit kennt viele düstere Verlaufsformen. Die Apokalyptiker werden nicht müde, ihre saisonal wechselnden Endzeitparolen anzupreisen: Ökologisches Fiasko mit Nebenwirkung (Die Verblödung schreitet voran), atomare Selbstzerstäubung, postbiologische Herrschaft der Maschinen, Vernichtung durch Aliens ... Und wem das immer noch nicht reicht, der mag sich am Wärmetod aufheizen, an der maximale Entropie, die jede Hoffnung auf irdische Ewigkeit der Menschheit begräbt.
Doch vielleicht leitet sich das Ende der Menschheit viel weniger spektakulär ein. Schottische Männer produzieren signifikant weniger Spermien als je zuvor. Das "Aberdeen Fertility Centre" in Schottland stellt in einer nichtrepräsentativen Studie fest, dass gegenwärtig im Durchschnitt 29 Prozent weniger Samenzellen als vor zwölf Jahren produziert werden. Das ist nicht die erste Warnung, dass die Spermienkonzentration zurückgeht und der sperm race immer müder wird (Vom homo sedens und anderen Mißbildungen). In anderen Wohlstandsgesellschaften fehlen wohl lediglich die Studien, um den schleichenden Austrocknungsprozess des Lebenssaftes zu belegen.
Wird die spendierfreudige Natur immer lustloser, ihr altes Spaßprogramm mit kostspieligen Langzeitfolgen zu reproduzieren? Waren früher laut Hexenhammer die bösen kinderlosen Frauen für menschliche Impotenz und weibliche Unfruchtbarkeit zuständig, könnte heute die Biologie selbst bzw. ihre zivilisatorischen Entstellungen durch Industriechemikalien und Gifte jeder Art das Ende besorgen. Andererseits: Warum brauchen wir so viele Spermien? Künstliche Besamung, In-vitro-Fertilisation, "Klonpower" und alle anderen Verheißungen) einer allmächtigen Gentechnologie setzen nicht auf Natürlichkeit, sondern auf Technologie (Spermien aus der Petrischale). Noch weiter gehende, transhumane Zukunftsprospekte speisen sich ohnehin aus der Hoffnung auf langlebige Datenbanken und selbstreplizierende Robotern, demnach der Mensch zum Auslaufmodell oder Maschinenhybrid einer seit Anbeginn fragilen Schöpfung wird.
Entwirken, entschöpfen, das ist die einzige Aufgabe, die der Mensch übernehmen kann, wenn er sich - und alles weist darauf hin - vom Schöpfer unterscheiden will.
Emile Ciorans Klage über den Nachteil, geboren zu sein, bleibt vielen Spermien erspart. Insbesondere jenen Spermien, die die Natur bisher so reichlich übermunitioniert, damit der Fortpflanzung nur ja nicht der Stoff der Stoffe ausgeht. Indes: Vor der "Entschöpfung" geht es zunächst um soziale und individuelle Erschöpfungen, die sich der Reproduktion des Nachwuchses versagen.
Zumindest die westlichen Gesellschaften begegnen höchst unterschiedlich motivierten Gebär- und Zeugungsstreiks. "Der Spiegel" hat ihn jedenfalls schon entdeckt, den letzten Deutschen, der das finanzielle Schwergewicht der Greisen-Republik stemmen soll. Der scheinbar so selbstverständliche Generationenvertrag ist eine sozialpolitische Fiktion, die weniger mit sozialer Verantwortung zu tun hat als mit einer politisch schwer beeinflussbaren Geschäftsgrundlage: Lust oder Unlust auf Kinder.
Viel Kinder, viel Segen, ist zumindest als sozioökonomische Formel gründlich widerlegt. Die Kinderarmut in Deutschland nimmt zu und das heißt nichts anderes, als dass bereits viele Familien in der Armutsfalle sitzen. In den nächsten Jahren wird die Zahl sozialhilfeabhängiger Kindern von einer Million auf 1,5 Millionen steigen. Selbst wer das Brutgeschäft weniger menschheitspessimistisch als Cioran betrachtet, hat also gute Gründe, mit Spermien und Nistplätzen haushälterisch umzugehen.
Vom Engel am Herd zur glücklichen Stressmutti
Kinder, Küche und Karriere, es wächst nicht zusammen, was nie zusammen gehörte. Denn die Erfolgsmärchen von allein erziehenden Müttern, die nebenher noch vier Sprösslinge aufziehen, glaubt jenseits des Talkshow-Selbstbespiegelungen, dass Superfrauen eben auch Supermuttis sind, ohnehin niemand: "Ohne Beruf bin ich nicht glücklich. Wie sollen dann meine Kinder glücklich werden. Und wie sollen Kinder glücklich sein, wenn sich alles nur um sie dreht?"
Wir kennen die pseudoemanzipierten Frauenbilder, die den real existierenden Wahnsinn einer beruflich-familiären Mehrfachbelastung schön reden. Da gibt es jene fröhlich am Laptop hämmernde Mutti mit den zwei Rangen, die nicht minder fröhlich am Boden krabbeln und nur dann phasenweise aufmucken, wenn es ihrer geistig-seelischen Entwicklung dient. Männer sind dagegen reklameideologisch am Laptop wie bei anderen lebenswichtigen Tätigkeiten immer ohne Kinder zu sehen.
Muttermythen hat es zahllose gegeben: Die Große Mutter der Altsteinzeit, der "Engel am Herd", die Rabenmutter, die amerikanische Übermutter (Vgl. etwa Portnoys Beschwerden, Philip Roth) bis hin zur gebärfreudigen Muttergekreuzigten, seitdem die Nazis ihren Marienkult für höchst säkulare Zwecke seit 1939 mit dem Mutterkreuz krönten. Das war die logistische Maßnahme, um schon im Kinderzimmer zukünftige Heere vorzubereiten.
Die wahre Mutti von heute ist auch eine militärische Fantasie, wenngleich die Schlacht in der Zivilgesellschaft ausgetragen wird. Mama ist ein familiäre Allzweckwaffe, die ihren Filofax-Berufsalltag in Idealzeit abarbeitet und danach noch glücklich in Echtzeit auf ihre Familie abstrahlt. Doch was gilt für die Vielen, die nicht im Windkanal des allgegenwärtigen Leistungsprinzips getrimmt sind und keinen Bock auf Kind und Küche haben? Was gilt für jene, die nicht assistiert durch always-ultra-kooperative Männer den Weg vom Berufsalltag zum Töpfchen und zurück als freie Entfaltung ihrer stressbereiten Mutterschaft nehmen?
Die gute Mutter, das zeigt die Geschichte, ist eine kulturelle Erfindung - kein unumstößliches Gesetz der Natur, sondern etwas vom Menschen Erschaffenes.
Die Psychologin und "Mutterforscherin" Shari Thurer ("Mythos Mutterschaft")
Mag sein. Aber wenn Thurer wie unzählige andere die vollintegrierte Mutti "mit Beruf und Kindern" fordern, ist das nicht weniger eine entlarvungswürdige Selbstverklärung, ein durchschaubarer Emanzipationsmythos, den auch jeder Arbeitgeber gegenzeichnen würde - solange die Blagen der beruflichen Pflichterfüllung von Supermutti nicht in die Quere kommen.
Richard Sennett hat den flexiblen Menschen, der sich lässig bis zum Umfallen sämtliche Anforderungen einer sozial und technisch hochverschalteten Lebenswelt aufbuckelt, als Mythos des nomadischen Turbo-Kapitalismus diskreditiert. Der flexible Mensch respektive die emotional und sozial hochelastische Mutter ist jener Robot, der seine eigene Überforderung noch als Selbstverwirklichung verkauft, während die Sicherungen durchbrennen (vulgo: burn out).
Doch die "Beruf-plus-Kind-Mutti", die Thurer wohl dem aktuellen Zeitgeist folgend für natürlich hält, ist nichts anderes als eine Fälschung. Denn Kinderaufzucht respektive Kindererziehung ist ein Beruf - insbesondere in der Kita-Diaspora Deutschland mit nahezu unbezahlbaren Tagesmüttern. Allerdings ein Beruf mit der schwächsten Lobby und so unbezahlbar, dass er nach alter Väter Sitte erst gar nicht oder höchst bescheiden bezahlt wird. Rund 75 % der ökonomischen Belastungen, die durch ein Kind entstehen, werden von den Eltern selbst getragen.
Seid fruchtbar und mehret euch? Der göttliche Appell will in eigensüchtigen "Elementarteilchen"-Gesellschaften, deren Mitglieder regelmäßig nicht von mitgeschöpflichen Motiven allzu sehr beunruhigt werden, kaum mehr überzeugen. Denn die guten Gründe gegen Kinder, ökonomische respektive egoistische, sind eben zugleich plausible Glaubensverluste gegenüber dem scheidungsgefährdeten Glück der Familie und der Chimäre des Weiterlebens im Nachwuchs.
Der Kampf wider Zeugungsunlust und Gebärstreiks
Julius Moses provozierte 1913 mit der "Gebärstreik-Debatte" nicht nur die deutsche Sozialdemokratie. Moses forderte das Proletariat wegen dessen ökonomischer und sozialer Notlage auf, das Gebärgeschäft einzuschränken. In Phil Jutzis eindringlichem Film "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" (Deutschland 1929) wird der Selbstmord in sozial unerträglichen Umständen zum einzigen Ausweg aus der Misere. Klara Zetkin sah das anders. Denn nicht nur würden den Militaristen dann ihre menschlichen Spielzeugsoldaten fehlen, auch die von Massenbewegungen abhängigen Klassenkämpfer würden zu Opfern des Gebärstreiks.
"Emma" räsonierte 2001 auch im Blick auf die Kinderfolgen - Verlust an Einkommen und Ansehen, Karriereende bis hin zur Altersarmut - über diese ultimative Waffe im Kampf gegen das neomalthusianische Elend. Besonders beeindruckt reagierte die Politik auf solche gebärpolitischen Kampfansagen bisher kaum. Adenauer konnte noch auf das übliche "Gedöns" (Kanzler Schröder) der Familienpolitik mit der Freizeichnungserklärung reagieren: "Kinder kriegen die Leute sowieso". Doch die Situation verschärft sich immer drastischer. Heute müssen Zeugungs- und Gebäranreize her, wenn der selbstbezogene Zeitgenosse sich um Gesellschaft und Schöpfung verdient machen soll. In Frankreich will man es unter anderem mit einer Geburtsprämie richten, die jedem Zeugungswilligen und Nachwuchsbereiten 800 Euro beschert.
Doch wir brauchen nicht lediglich Kindergeld und "Geburtsprämien", sondern eine Mutti - oder/und einen Vati - zum Volltarif. Inklusive Elternführerschein wäre das eine Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahme, die nicht einmal neue Industriestandorte benötigt, sondern lediglich die gesellschaftliche Anerkennung und das freilich nicht vorhandene Budget. Seitdem Kanzler Schröder den Konsum predigt, wäre es im Blick auf eine innovative Familienpolitik doch dringlich, das Kinderkriegen als gleichermaßen konsumistischen wie sozialen Akt der Extraklasse zu begreifen. Kinder werden zur Kapitalanlage für die ganze Gesellschaft, für die folgerichtig dann auch alle zahlen müssen. Doch reicht das langfristig?
Alle diese Maßnahmen, Steuervergünstigungen, Kindergelderhöhungen, Erziehungsgelder, Zeugungsprämien, die wohlfeilen Loblieder auf das Glück in der Familie, werden die Lust am eigenen Kinde nicht zwingen.
Kündigt sich hinter vordergründigen Klageliedern über die sozialen Fährnisse, Kinder in die Welt zu setzen, eine fundamentale Lustlosigkeit der Schöpfung an? Sind diese Klagen das Eingeständnis der "Idiotie der Fortpflanzung der Fortpflanzung" (Rainald Goetz), dass es so nicht weitergeht? Nicht mit dieser Menschheit. Nicht mit diesem Menschen, der seinem Mitmenschen - mit und ohne Aufklärung - zum Wolf wird.
Selbst "Bernd, das Brot", verkündet heute schon für die Kids von Chili-TV, also jene Spermien, die es gerade noch mal geschafft haben, einen Uterus zu finden: Lasst jede Hoffnung fahren. Das ist indes nicht mehr die Botschaft des dantischen Infernos, jenseits von Eden und Erde, sondern katastrophenbereiter Medienalltag für Kinder, die sich schon mal geistig-seelisch auf die verkalkte und verarmende Altersgesellschaft "Deutschland" vorbereiten sollen. Bernd, der misanthropische Kinderberater, weiß zudem mit Jean-Paul Sartre: "Die Hölle, das sind die Anderen." Eben. Und darum könnte das lebensfrohe Motiv nicht mehr mächtig werden, noch mehr Leidensbereite in diese Hölle respektive dieses Rentenloch zu setzen.
Mitgeschöpfe, um die sich niemand kümmert, gibt's doch ohnehin genug. Warum also noch eigene in die Welt setzen? Beobachten wir einen Devolutionsmechanismus der noch unbekannten Art, dass sich das Ende der Menschheit als mehr oder minder bewusstes Motiv gegen das Leben einleitet? Der Transhumanist Max More formuliert das positiv:
Für uns Extropianer und andere Transhumanisten ist das Menschliche eben nicht genug, wir wollen mehr als menschlich sein - wir wollen die Menschheit überwinden. Die besten Eigenschaften der Menschen behalten, aber andere weiter ausbauen.
Doch auch in diesem schwer vorstellbaren Formelkompromiss ist vor allem die Botschaft unüberhörbar, dass die alte "conditio humana" nicht länger zu ertragen ist. Menschheitsdämmerung hieße: Die Schöpfung ist Betrug am Menschen und folglich entsolidarisiert sich das Leben mit sich selbst.