Von hinten herum durchs Knie mitten ins Unterbewusstsein

Der Weg ins Herz der Konsumenten ist oft beschwerlich. Wie Werbung wirklich wirkt - Teil 8

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Teil 7: Kann Werbung wirklich Bedürfnisse erzeugen, die es vorher gar nicht gab?

Wieder einmal wird eine Sau durchs Dorf der Werbewirtschaft gejagt. Und wieder mal verspricht man sich von der Jagd einen wahren Quantensprung im Wissen darüber, wie Werbung wirkt. Die Aussichten dafür sind aber auch zu verlockend: Die Rede ist vom impliziten Gedächtnis - einer ziemlich Bahn brechenden Erkenntnis der Psychologie.

Doch ob das ein Aufbruch zu neuen Ufern ist oder ob die Werber am Ende wieder auf der schwarzen Sau zum Tore hinausgejagt werden, ist noch gar nicht so gewiss. Viele Kritiker sind ohnehin der Ansicht, da werde schon wieder eine ganz alte Sau durch die Gemeinde gehetzt - mit dem einzigen Unterschied, dass sich manche nicht mehr an die alte Sau von einst erinnern können oder mögen.

Früher war da mal von unbewusstem Verhalten und unterschwelliger Beeinflussung die Rede. Und die Kritiker wundern sich nur, dass die alte Sau nicht längst viel zu gebrechlich für die wilde Hatz ist. Der Entdeckung des unbewussten Unterbewusstseins folgten die unterschwelligen Werbetechniken, später die Techniken des Messens statt Befragens und seit Neuestem ganz neue Techniken und plötzlich wieder neue Apparate fürs implizite Gedächtnis, die auch nur messen (wenn vielleicht auch raffinierter), was die apparativen Verfahren maßen?

Heute herrscht unter Psychologen weitgehende Einigkeit darüber, dass im menschlichen Gehirn zwei Systeme operieren: das explizite System für bewusstes Wissen und das implizite System für unbewusst-automatische Wahrnehmungen.

Eine unterirdische Welt unbewusster Erinnerung

In den 1970er Jahren entdeckten Hirnforscher ein rätselhaftes Phänomen, mit dem sie zunächst nicht so recht etwas anfangen konnten. Unfallpatienten mit vollständiger Amnesie als Folge schwerer Kopfverletzungen waren im Stande, neue Fertigkeiten zu erlernen, konnten sich aber hinterher überhaupt nicht daran erinnern.

Zeigte man ihnen beispielsweise ein Puzzle mit der Bitte, es zu lösen, taten sie es. Tags darauf konnten sie sich zwar nicht mehr an das Puzzle erinnern, lösten die Aufgabe aber schneller als am Vortag. Am dritten Tag ging es noch schneller.

In einem solchen Fall, den der US-amerikanische Psychologe Daniel Schacter beschreibt, lernte eine Frau, am Computer zu arbeiten. Trotzdem behauptete sie jedes Mal, wenn sie sich davorsetzte, ein solches Gerät noch nie gesehen zu haben. Schacter schloss daraus, dass es in unserem Hirn "eine unterirdische Welt unbewusster Erinnerung" geben muss, die dem Bewusstsein nicht zugänglich ist. Er nannte sie implizites Gedächtnis.

Man erkannte, dass der Mensch vieles automatisch und unbewusst speichert und dass dieser Mechanismus im Gehirn unabhängig von der bewussten Erinnerung abläuft. Die Studien der Hirnforscher zeigten also, dass Amnesiepatienten ohne bewusste Erinnerung irgendetwas speichern, das ihr Verhalten nachhaltig beeinflusst. Schließlich erkannte man, dass die implizite Erinnerung auch bei gesunden Menschen manche Verhaltensweisen beeinflusst.

Die kognitive Psychologie unterscheidet heute zwei Systeme der menschlichen Informationsverarbeitung und Verhaltenssteuerung: Das eine System arbeitet bewusst und durchdacht und das andere operiert automatisch und unbewusst.

Beide Systeme werden unter unterschiedlichen Bedingungen aktiv und analysieren und bewerten Informationen aus der Umwelt, also zum Beispiel Werbung, unterschiedlich. Ähnlich wie einst Sigmund Freud bestätigt die moderne Gedächtnisforschung, dass es viele unbewusste Vorgänge im Hirn gibt.

Das ist inzwischen gesichertes Wissen: Vieles von dem, was ein Mensch tut, ist ihm nicht bewusst. Das bedeutet allerdings nicht - wie viele neuerdings meinen -, dass er quasi bewusstlos durch die Gegend stolpert und laufend Dinge tut, von denen er nichts weiß.

Implizit oder unbewusst sind motorische Fähigkeiten

Gesichert ist, dass die Inhalte des unbewussten oder impliziten Gedächtnisses sich auf motorische Fähigkeiten beziehen. Wenn man lernt, Fahrrad zu fahren oder zu schwimmen, macht man die Bewegungen, ohne darüber nachzudenken. Das funktioniert automatisch und aktiviert nicht den Hippocampus, der für das Abspeichern bewusster oder expliziter Erinnerungen zuständig ist.

Doch auch die menschliche Wahrnehmung wird zu einem großen Teil vom impliziten Gedächtnis gespeichert. Derart erkennt das Gehirn Objekte automatisch. Entscheidend ist, dass die Informationen des impliziten Gedächtnisses nicht zwangsläufig unbewusst sind.

Wer schwimmt, Fahrrad fährt oder sich die Schnürsenkel bindet, tut das bei vollem Bewusstsein. Aber er ist sich der einzelnen Bewegungen "erst der rechte Fuß, dann der linke …" nicht bewusst. Da läuft ein Automatismus ab, der nicht vom Bewusstsein gesteuert wird.

Explizit und implizit auf der einen und bewusst und unbewusst auf der anderen Seite sind also zwei verschiedene Gegensatzpaare. Das muss man sich genau vor Augen führen: Wer mit dem Fahrrad fährt, ist natürlich bei vollem Bewusstsein. Aber die Fertigkeit, dank derer er sich fortbewegt, läuft ohne bewusste Anstrengung ab. Sein Verhalten wird aus dem Unterbewusstsein gesteuert, während er sich dieses Verhaltens in vollem Umfang bewusst ist.

Weil er bei Bewusstsein ist, während er diese Handlungen vollzieht, bevorzugen die meisten Forscher heute den Terminus implizit. Da der Ablauf indes dennoch unbewusst verläuft, könnte man argumentieren, die Differenzierung trage nur unnötig zur Verwirrung bei.

Wie das Gedächtnis nach heutigem Stand funktioniert

Zunächst verarbeitet die Großhirnrinde alle Sinnesreize. Entscheidend ist: An diese Wahrnehmung existiert eine Erinnerung auch dann, wenn sie dem sich Erinnernden nicht bewusst ist. Die Forschung spricht vom impliziten Gedächtnis.

Das implizite Gedächtnis hat zwei Bestandteile: (1) Prozedurale Informationen wie Schwimmen, Fahrradfahren, Treppensteigen; (2) Priming (Bahnung): sämtliche Informationen der Wahrnehmung, die nicht das Bewusstsein erreicht haben.

Um überhaupt ins Bewusstsein zu dringen, müssen die Sinnesreize an den Hippocampus weitergeleitet werden. Er entscheidet darüber, welche Informationen an die Großhirnrinde zurückgesendet werden. Werden sie zurückgesendet, so bilden sie den Inhalt des expliziten Gedächtnisses.

Das explizite Gedächtnis wiederum besteht aus zwei Teilen: (1) Das episodische Gedächtnis speichert alle persönlichen Erlebnisse und die zugehörigen Emotionen. (2) Das semantische Gedächtnis speichert Fakten, Informationen, Kenntnisse.

Weitgehend unstrittig ist, dass prozedurale Informationen im impliziten Gedächtnis gespeichert sind. Darüber hinaus gibt es vielfältige Informationen der unbewussten Wahrnehmung, deren Status nicht ganz so klar und eindeutig ist.

Gesichert ist auf jeden Fall, dass die menschliche Informationsverarbeitung nur teilweise bewusst und kontrolliert verläuft und viele Aktivitäten unbewusst bleiben. Trotzdem können sie das Verhalten beeinflussen, das automatisch und ohne bewusste Steuerung abläuft.

Das bedeutet allerdings nicht, dass alles was der bewussten Wahrnehmung entgeht, umso besser wirkt, weil es unbewusst ist. Das ist ein fataler Fehlschluss, der in der gegenwärtigen Euphorie über das Implizite weit verbreitet ist.

Das kann man gar nicht oft genug betonen: Es gibt vieles, das bewusst wahrgenommen wird und den expliziten Gedächtnisinhalt darstellt. Es gibt auch vieles, das nicht bewusst wahrgenommen wird und den impliziten Gedächtnisinhalt darstellt. Und es gibt eine Fülle von Dingen, die weitgehend unbeachtet bleiben und ins eine Ohr hinein und aus dem anderen Ohr wieder herausgehen, jedoch zwischen den Ohren keine Spuren hinterlassen. Expliziter Gedächtnisinhalt ist das Wissen, das ein Mensch bewusst reproduzieren kann. Impliziter Gedächtnisinhalt beschreibt das Wissen, das er zwar nicht bewusst reproduzieren kann, das sich aber dennoch in seinem Verhalten niederschlägt. Sein Verhalten kann, muss ihm aber nicht bewusst sein.

Speziell für Werbungtreibende sind nun drei Aspekte des impliziten Gedächtnisses von Bedeutung:

  1. Das implizite Gedächtnis betrifft im Großen und Ganzen vor allem Verhaltensabläufe als Wahrnehmungen. Es speichert motorische Fertigkeiten, die man einmal gelernt hat. Es speichert jedoch keine Informationen wie zum Beispiel Werbebotschaften.

  2. Es ist völlig unabhängig von der bewussten Erinnerung.

  3. Emotionale Reaktionen sind eng mit dem impliziten Gedächtnis verknüpft. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass Empfindungen gegenüber Wörtern, Bildern oder Werbemitteln auf emotionaler Ebene unabhängig von einer expliziten Erinnerung sind: Emotionen und Gefühle können auf impliziter Erinnerung basieren.

Die Forschung zur impliziten Erinnerung erinnert stark an die einstigen Untersuchungen zur unterschwelligen Wahrnehmung. Das ist die alte Sau, die schon früher durchs Dorf getrieben wurde.

Neben den motorischen gibt es andere Prozesse, in deren Verlauf ein System durch äußere oder innere Anlässe in erhöhte Funktionsbereitschaft versetzt wird oder sich seine Organisation auf eine bevorstehende Operation hin verändert. In diesen Fällen spricht man von Priming oder Bahnung.

Eine Art unbewusster Mustererkennnung

Das Priming setzt unbewusst bereits bekannte Strukturen anhand ihrer Teile zusammen. Es stellt so eine Art unbewusste Mustererkennung dar. Man kennt nach den ersten Noten die ganze Melodie, man braucht nur kurz die Stimme eines vertrauten Menschen zu hören, und weiß, wer das ist. Man sieht auf große Entfernung am Waldrand eine schemenhafte Erscheinung und erkennt: Das ist ein Hirsch.

Im Gegensatz zum perzeptuellen Gedächtnis liegen hier keine bewussten Vorgänge im Gehirn vor. Das Priming hat in der Evolution eine große Rolle gespielt, da unbewusst sofort gefährliche Tiere erkannt und von beispielsweise jagdbaren unterschieden werden mussten, auch wenn nur Geräusche oder Teile des Tieres wahrzunehmen waren.

Priming ist also die förderliche Nachwirkung von Stimuli auf die spätere Verarbeitung gleicher oder assoziierter Reize ohne bewusste Erinnerung an die zuerst präsentierten Reize. Auf Grund des Primingeffekts wird ein Gedächtnisinhalt schneller abgerufen, wenn der Inhalt selbst oder die mit ihm assoziierten Kognitionen zuvor aktualisiert worden sind. Das klingt komplizierter, als es ist.

Der verstorbene Otto Graf Lambsdorff hat ein schönes Beispiel für das Prinzip der Bahnung gegeben, als er davon sprach dass "sieben Flaschen" eine äußerst bescheidene Bilanz seien, wenn man so seinen Weinkeller beschreibe, aber ein wahrer Horror, wenn man von den Mitgliedern der Bundesregierung spreche. Sieben Flaschen haben also je nachdem, welchen Inhalt man vorher erwähnte, eine ganz und gar andere Bedeutung.

Der zuerst erwähnte Inhalt bahnt gewissermaßen den Weg für das Verständnis des folgenden Inhalts. Deshalb werden Bahnungsstudien meistens durchgeführt, indem ein Stimulus (Prime) entweder vorher oder nachher sehr kurz dargeboten ("forward masking" oder "backward masking") wird.

Die US-amerikanischen Psycholinguisten David E. Meyer und Roger W. Schvaneveldt konnten zeigen, dass Personen schneller auf das Wort "Krankenschwester" reagieren, wenn kurz vorher das Wort "Doktor" präsentiert wurde und langsamer, wenn vorher das Wort "Baum" präsentiert wurde.

Erklärt wird dies durch die Aktivierungsausbreitung auf Grund der assoziativen Verbindung von "Krankenschwester" und "Doktor". Diesen Effekt nennt man semantisches Priming. Die US-amerikanischen Psychologen Russell H. Fazio, David M. Sanbonmatsu, Martha C. Powell und Frank R. Kardes wiesen nach, dass Personen bei Kategorisierungsaufgaben schneller reagieren, wenn ihnen vor dem zu bewertenden Wort ein anderes Wort präsentiert wurde, das die gleiche Valenz aufweist. Diesen Effekt nennt man affektives Priming. Er wird als Beleg für automatische Bewertung von Einstellungsobjekten betrachtet.

In Neurophysiologie und Psychophysiologie steht Priming für die differenzielle Aktivierung zentralnervöser Strukturen unter dem Einfluss von Reiz- oder Informationskategorien, die sie ansprechen. Werden bestimmte Nervenbahnen wiederholt erregt, so erhöht das den Wirkungsgrad von Reizen gleicher Stärke oder ermöglicht eine Erregung dieser Nervenbahnen schon auf Grund schwächerer Reize.

Das Prinzip der Bahnung ist ein alter österreichischer Hut

Der Begriff der Bahnung ist übrigens ein gehöriges Stück älter als die moderne Hirnforschung. Geprägt hat ihn 1894 der österreichische Physiologe Siegmund Exner (1846-1926). Und er meinte damit, dass psychophysische Funktionen, also Gedächtnis-, Assoziations-, Wahrnehmungsleistungen, umso flüssiger ablaufen, je häufiger sie wiederholt werden.

Wenn man etwas lernt, bildet sich eine Verbindung zwischen Neuronen. Wird das Gelernte immer wieder aufgerufen oder wiederholt, sprach Exner von "Bahnung". Die Neuronen legen gewissermaßen eine Schnellbahn an, auf der das Gelernte beschleunigt abgerufen werden kann.

In der Gedächtnisforschung ist Priming Inbegriff der Aktivierung von Erinnerungen, die in die gleiche Bedeutungskategorie fallen wie der auslösende Reiz oder Hinweis. Ironie des Gelehrsamkeit suggerierenden Fremdsprachengebrauchs: Einige amerikanische Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang gern von "The Concept of Bahnung" und demonstrieren damit penetrant ihre Polyglossie, während die deutschen Wissenschaftler Dasselbe bloß umgekehrt herum tun, indem sie eine deutliche Präferenz für den "Begriff des Primings" haben - verkehrte Welt.

Der Effekt des semantischen Primings äußert sich zum Beispiel darin, dass Probanden nach Nennung des Worts "Fleischklops" das Wort "McDonald’s" in einer Wortliste rascher herausfinden als beispielweise das Wort "Elektro-Druckluft-Generator".

Dementsprechend werden Gedächtnisinhalte schneller abgerufen oder automatisiert, wenn der Inhalt selbst oder die mit diesem Inhalt assoziierten kognitiven Inhalte zuvor aktualisiert worden sind.

Gemeinhin unterscheidet man drei Wirkungsweisen des Primings:

  1. Wortassoziationen: Durch die reine Bedeutung eines Begriffs können später Informationen besser verarbeitet werden.

  2. Motiv- und Affektzustände können durch einen unterschwelligen Reiz angesprochen werden. Wenn der Reiz zu einem bereits existierenden Bedürfnis passt, wird dieses Bedürfnis zusätzlich aktiviert. Der Reiz erzeugt aber kein neues Bedürfnis.

  3. Ein unterschwellig dargebotener Reiz kann einfach von einem Mere-Exposure-Effekt profitieren. Eine häufige, einfache, unverstärkte Darbietung bewirkt bereits bei überschwellig dargebotenen Reizen eine positivere Affektlage gegenüber diesen Reizen.

Nach dem derzeitigen Stand scheint es folglich doch wenigstens möglich zu sein, Bedürfnisse und Triebe durch Reize unterschwellig zu aktivieren. Hatte man also spätestens in den 1980er Jahren die unterschwellige Wahrnehmung mitsamt der unterschwelligen Kommunikation und Werbung zu Grabe getragen, kommt sie neuerdings mit Hilfe des impliziten Gedächtnisses wieder aus der Versenkung hervor und stiftet auf jeden Falle erst einmal gehörige Konfusion.

Für Psychologen haben alle Erkenntnisse zum impliziten Gedächtnis und die impliziten Verfahren eine immense Bedeutung. Sie eröffnen neue Erkenntnisse über die Rolle unbewusster Vorgänge. Welche Bedeutung die impliziten Verfahren für die Marktkommunikation haben könnten, ist einstweilen noch völlig offen.

Ganz sicher aber stehen die meist verwegenen Glaubensgewissheiten, die manche ihrer Anwender über die unbewusste Beeinflussung durch Werbung aus ihren Studien ableiten, auf mehr als wackligen Füßen; denn plötzlich kommen in der Werbung die Gurus der Manipulationskunst aus ihren Löchern hervorgekrochen und erklären einer - leider - beseligt lauschenden Gemeinde, welche ungeheure Wirkung man durch gezielte Nutzung von Primingeffekten in der Werbung erzielen kann:

  • So könne man durch wiederholte Darbietung und Nennung eines Produkts auf Plakaten, im TV, im Radio und im Supermarkt die im Gedächtnis gespeicherten Informationen über eine Marke zugänglicher machen. Und gerade weil die Konsumenten bei der Wahrnehmung solcher Werbemaßnahmen nicht sonderlich aufmerksam sind, sollen diese Informationen dann später das Kaufverhalten unbemerkt beeinflussen können.

  • Die Aktivierung eines Stereotyps, zum Beispiel bei der Werbung mit Prominenten, regt die Konsumenten dazu an, sich dem Stereotyp entsprechend zu verhalten: "Wenn Boris Becker Nutella isst, muss ich auch Nutella essen, denn ich will so erfolgreich sein wie er." Oder auch: "Wenn der das Zeug frisst, muss ich das noch längst nicht tun." Dieser Schuss könnte also in zwei Richtungen losgehen…

  • Außerdem sollen durch das Priming ausgelöste Assoziationen und Affekte auf eine Marke übertragen werden können. So werde in der Autowerbung oft ein Gefühl von Freiheit durch das Fahren in weiten Landschaften erzeugt. Dieses Gefühl könne so direkt mit dem Auto verbunden werden.

  • Und natürlich sollen latent vorhandene Bedürfnisse durch das Priming verstärkt werden, zum Beispiel wird das Bedürfnis nach Sicherheit in der Werbung für Versicherungen angesprochen.

Dass dies alles ein ziemlich unziemlicher Kokolores ist, weiß jeder ernst zu nehmende Psychologe, der sich eingehender mit dem Priming und dem impliziten System beschäftigt hat. Aber das ändert leider nichts daran, dass bei den Werbern nun wieder massenhaft Menschen umherlaufen, die behaupten, mit Hilfe des Primings ließen sich solche Wunderdinge bewirken.

Man kann nicht oft genug wiederholen, dass dies alles nicht geht. Die Forschung über das Priming gibt das auch gar nicht her; denn die Ergebnisse der vielfältigen Experimente sind allesamt eher bescheiden. Sie eröffnen in der Psychologie bahnbrechende Erkenntnisse ohne jeden Zweifel. Aber sie bieten der werblichen Manipulationskunst keine neue Keule, mit der sie sich die Konsumenten gefügig machen kann.

Die meisten Erkenntnisse zum Priming gehören zur Kategorie "Kinkerlitzchen"

Die Erkenntnisse zum Priming, die bisher im Zusammenhang der Werbewirkung gewonnen worden sind, lassen sich samt und sonders und ohne jede Ausnahme im günstigsten Fall der Kategorie "Kinkerlitzchen" zuordnen.

Dass man schneller an "Milka" denkt, wenn man vorher das Wort "Schokolade" gehört hat, und nicht ganz so schnell an "Schokolade" denkt, nachdem man zuvor das Wort "Mundgeruch" vernommen hat, hat möglicherweise nicht viel mit geheimnisumwitterten Gedächtnisprozessen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle und auch nicht mit in bestimmte Bahnen durch Manipulation umgeleiteten Neuronen zu tun, sondern mit objektiven Zusammenhängen.

Das gilt generell für viele der Zusammenhänge, die in der Forschung mit impliziten Verfahren hergestellt werden. Die größere Nähe zwischen "Milka" und "Schokolade" als die zwischen "Mundgeruch" und "Schokolade" weist nicht auf ein assoziatives Netzwerk im Hirn hin. Die Nähe ist bereits in der realen objektiven Welt vorhanden. Im Gehirn spiegelt sie sich. Das ist ein deutlicher Unterschied.

Einstweilen weiß man noch viel zu wenig über das implizite System

Gesichert ist einstweilen ja nur, dass es ein explizites und ein implizites System im Gehirn gibt. Und ein bisschen weiß man auch schon über die Funktionsweise des impliziten Systems. Aber das bedeutet noch überhaupt nicht, dass alles, was nicht zum expliziten System gehört, zwangsläufig Teil des impliziten Systems ist. Die Psychologen wissen sehr wohl, dass es da noch viel zu forschen gibt. Die Marktforscher und die Werber hantieren haltlos mit Unterstellungen darüber, was da so alles implizit funktioniere.

Es ist zwar plausibel anzunehmen, dass implizite Prozesse besser unter Low-Involvement-Bedingungen operieren. Aber das bedeutet unter gar keinen Umständen, dass grundsätzlich jede Handlung, die mit geringem Involvement geschieht, vom impliziten System gesteuert wird.

Am meisten Schindluder wird derzeit wohl mit der Rolle der Emotionen im impliziten System getrieben. Die einfache Faustformel der impliziten Marktforscher lautet: Emotionen sind grundsätzlich Bestandteile des impliziten Systems und wirken deshalb ungemein heftig und unter Umgehung des Bewusstseins direkt auf das Unterbewusstsein ein.

Damit kann man zwar große Begeisterung bei Marketingleuten in den Unternehmen auslösen, doch das hängt damit zusammen, dass die sich sowieso gern einen Bären nach dem anderen aufbinden lassen, wenn man ihnen eine neue Theorie darüber anbietet, wie man die blöden Konsumenten manipulieren kann. Zutreffend wird das dadurch nicht.

Heutzutage ist es in der Marktforschung geradezu Mode geworden zu unterstellen, dass alles, was nicht bewusst wahrgenommen wird, implizit im Untergrund des Unterbewusstseins wirkt. Das ist aber durch nichts gerechtfertigt, schon gar nicht durch empirische Befunde.

Und das funktioniert dann so: Da die Rezipienten bei irgendeinem Medium überhaupt nicht hinschauen oder hinhören und ihm nur minimale oder gar keine Aufmerksamkeit schenken, ist das dann implizit und wirkt daher besonders stark. Ein grandioser Quatsch.

Das Paradebeispiel für einen solchen Unfug ist eine im Auftrag der Radiozentrale, Berlin, und der ARD-Werbung Sales und Services, Frankfurt am Main, veröffentlichte Studie der Decode Marketingberatung, Hamburg, über "Die implizite Wirkung von Radiowerbung". Sie erhebt die Tatsache, dass Radio sich oft nur als Dudelfunk im Hintergrund versendet, geradezu zum Beweis seiner grenzenlosen Wirkmächtigkeit. Wenn die Leute gar nicht richtig hinhören, nehmen sie die Spots direkt im Unterbewusstsein wahr.

Radio ist das klassische Begleitmedium, das während des Autofahrens, im Büro oder bei Hausarbeiten als Geräuschkulisse dient. Die Aufmerksamkeit der Hörer liegt in der Regel bei anderen Tätigkeiten, so dass die Werbung nur unbewusst, also implizit wahrgenommen werde.

Forscher finden immer heraus, was sie herausfinden sollen

Genau hier liege eine große Chance für die Radiowerbung, postuliert die Studie, da 90 Prozent aller Konsumenten ihre Kaufentscheidung spontan und nach Gefühl treffen. Die Emotion gegenüber einer Marke oder einem Produkt werde dabei stark vom Unterbewusstsein des Konsumenten beeinflusst.

Alle Einflüsse, die das Gehirn nicht bewusst aufnimmt, würden daher über das implizite System wahrgenommen. Es prüfe als eine Art Autopilot die Reize auf Relevanz und verarbeite sie. Bei einer Kaufentscheidung spiele dieser Autopilot daher eine große Rolle. Wiederholten sich die unbewussten Kaufabsichten, so könne aus dem sporadischen Verwender schnell ein treuer, markenbewusster Kunde werden.

Und das sei ja so sehr viel besser, als wenn noch das kritische Bewusstsein davor geschaltet ist. Das könnte ja sagen: "Mein Gott, was für ein saublöder Werbespot das doch ist. Und die komische Marke interessiert mich sowieso nicht die Bohne."

Wenn das Bewusstsein ausgeschaltet ist, könne das nicht passieren. Dann geht die Botschaft direkt ins Unterbewusstsein und bringt den einfältig seinem impliziten System ausgelieferten Konsumenten dazu, unkritisch zu kaufen, was die Werbebotschaft ihm suggeriert. Ja, geht’s noch?

Das Wissen um das implizite System im menschlichen Gehirn ist längst zum Modegag verkommen. Heuer wird halt alles, was so passiert, über den impliziten Kamm balbiert. Und was sich nicht passend balbieren lässt, wird passend gemacht.

Unter dem Deckmantel der impliziten Werbeforschung breitet sich heuer bombastischer Unsinn aus. Und wie alle neumodischen Kapriolen findet er eine Zeitlang große Anhängerschaften und löst Wellen der Begeisterung aus - wie so viele frühere Moden in der Forschung, von denen heute niemand mehr spricht.

Er tut das vor allem deshalb, weil er auch den atemberaubenden "Beweis" zu liefern scheint, dass alle Dinge, von denen man bisher ganz gut wusste, dass sie wirkungslos verpuffen, in Wahrheit machtvoll wirken. Es bleibt nur zu hoffen, dass nicht allzu viele Marketing- und Werbeleute darauf reinfallen. Das müssten nämlich ihre Unternehmen mit kostspieligen, aber völlig wirkungslosen Kampagnen teuer bezahlen.

Von der Logik her gemahnt diese Art der Argumentation stark an die unentrinnbar zwingende Beweisführung des Mannes, der mir kürzlich erklärte, dass sich in jedem Weihnachtsbaum ein Krokodil verstecke. Und als ich ihm in meiner Einfalt erklärte, dass ich dort noch nie ein Krokodil entdeckt hätte, erwiderte er: "Ja, da siehste mal, wie gut die sich verstecken können."

Wolfgang J. Koschnick gilt in Deutschland, Österreich und der Schweiz als einer der bestinformierten Kritiker der internationalen Werbeforschung und Werbung. Er hat über 50 anerkannte Nachschlagewerke aus dem weiten Feld von Marketing, Management, Marktkommunikation, Werbe- und Mediaplanung, Markt-, Media- und Sozialforschung geschrieben, mit denen mehrere Generationen von Nachwuchswerbern, Marketingexperten, Werbe- und Mediaforschern ausgebildet werden. Dabei bewahrte er stets seine Unabhängigkeit und eine gewisse Streitbarkeit. Bei Bedarf legt er sich mit Werbungtreibenden, Werbern, Werbeagenturen und sonstigen Interessenvertretern ohne Ansehen der Personen, Organisationen und Institutionen an.