Vor der Wahl in Brasilien: Was ist das Erfolgsrezept des Bolsonarismo?

Seite 2: Schwache Bilanz

Allerdings hat Bolsonaros Popularität im Laufe seiner ersten Amts-zeit abgenommen, zumal nicht jeder, der 2018 für ihn abgestimmt hatte, ein begeisterter Anhänger des Bolsonarismo war. Stattdessen wählten ihn viele Brasilianer in der Annahme, er würde ihr Leben verbessern. Bedauerlicherweise haben die einfachen Leute jedoch nicht von Bolsonaros Präsidentschaft profitiert, da die brasilianische Wirtschaft durch die Haushaltspolitik seiner Regierung bleibenden Schaden genommen hat. Dies wiederum führte zu einem Inflationsniveau, dass es für Brasilianer schwierig macht, sich Güter des täglichen Bedarfs zu leisten.

So haben sich die Raten der Nahrungsmittelunsicherheit in Brasilien in den vergangenen zwei Jahren nahezu verdoppelt (von 19,1 Millionen Betroffenen im Jahr 2020 auf 33,1 Millionen im Jahr 2022). Außerdem hat Bolsonaros unverfrorenes Missmanagement der Covid-19-Pandemie den Tod von schätzungsweise 668.000 Brasilianern verursacht. Ironischerweise hat der Mann, der Brasilien die Wiederherstellung der Ordnung versprochen hat, das Chaos nur noch verschlimmert.

Aktuelle Umfragen deuten darauf hin, dass der PT-Kandidat und frühere Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, allgemein "Lula" genannt, die Wahlen im Oktober gewinnen wird. Auch wenn in ganz Brasilien noch niemand seine Stimme abgegeben hat, behauptet Bolsonaro bereits, dass auf die Ergebnisse der anstehenden Wahlen kein Verlass sei. Laut Bolsonaro wird Brasiliens elektronisches Wahlsystem, das seit 1996 bei Wahlen verwendet wird, zu seinen Ungunsten manipuliert werden.

Gleichzeitig verbreitet der Präsident Unterstellungen über den Obersten Wahlgerichtshof, ein unabhängiges Justizorgan, das über die Integrität der brasilianischen Wahlen wacht. Das Gericht werde die Wahlen manipulieren, um einen Sieg Lulas zu garantieren, so Bolsonaro. Dies ist bei Weitem nicht das erste Mal, dass Bolsonaro haltlose Wahlbetrugsvorwürfe erhoben hat. Selbst nach seinem Wahlsieg im Jahr 2018 bestand er darauf, dass die elektronischen Wahlmaschinen seinen Stimmanteil falsch berechnet hätten – ohne dafür jedoch auch nur einen Beweis vorlegen zu können

Wie wird Bolsonaro reagieren, wenn er nicht siegt?

Experten spekulieren bereits, dass Bolsonaro seine eigene Version des Umsturzversuchs vom 6. Januar inszenieren könnte. Im September 2021 nahmen bereits Tausende radikale Bolsonaro-Anhänger landesweit an Straßendemonstrationen teil, um ihre Unterstützung für Bolsonaros Angriffe auf das brasilianische Verfassungsgericht zu bekunden.

Es ist möglich, dass Bolsonaro ähnliche Aufmärsche organisieren könnte, um ein für ihn ungünstiges Wahlergebnis anzufechten oder sogar zu kippen. Beobachter zeigen sich ebenfalls besorgt über Bolsonaros Entscheidung, das Militär zur Wahlbeobachtung einzusetzen. Auch wenn die Militärführung behauptet, sie wolle lediglich Wahlbetrug verhindern, haben einige Richter und Journalisten bereits davor gewarnt, dass Bolsonaro einen Putsch vorbereiten könnte.

Bolsonaro, dessen Nostalgie für die Zeit der Militärdiktatur kein Geheimnis ist, bestreitet derweil, sich mithilfe des Militärs an der Macht halten zu wollen. Für viele Brasilianer repräsentiert die diesjährige Wahl eine Entscheidung zwischen zwei konkurrierenden Visionen für Brasilien: Eine Stimme für Lula ist eine Stimme für Gleichheit und Inklusion, während eine Stimme für Bolsonaro eine Stimme für Ordnung und Tradition ist.

Die Anziehungskraft von Bolsonaros Vision ist dabei nicht zu unterschätzen, zumal das wichtigste Versprechen des Bolsonarismo – Wiederherstellung der Ordnung – nach wie vor großen Anklang bei jenen Wählern findet, die in den Krisen des vergangenen Jahrzehnts ihr Status- und Sicherheitsgefühl verloren haben. Selbst wenn Bolsonaro diese Wahl verlieren sollte, wird die emotionale Macht des Bolsonarismo nicht nachlassen. "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch."

Aus dem Englischen von Angela Unkrüer

Andrew Woods, geb. 1993, promoviert am Centre for the Study of Theory and Criticism an der Western University in Canada. Im Mittelpunkt seiner akademischen Arbeit stehen politische Theorien, historische Studien zu den Americas und zu Brasilien. awoods42@uwo.ca