Vorauseilender Gehorsam bei der Deutschen Oper

Die Absetzung der Opernaufführung Idomeneo aus Sorge vor einer möglichen Reaktion von Islamisten stößt auf breite Ablehnung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die 1781 uraufgeführte Oper „Idomeneo“ von Wolfgang Amadeus Mozart wird von der Intendanz aufgrund einer potentiellen Gefährdung durch eine mögliche Reaktion radikaler Moslems vom Spielplan der Deutschen Oper in Berlin genommen. Als Grund für diese Entscheidung wird eine Szene aus dem Epilog angeführt, in der vom Helden, König Idomeneo, die abgeschlagenen Köpfe von Poseidon, Jesus, Budda und Mohammed aus einem blutigen Beutel auf vier Stühle gestellt werden.

Dass nicht die ersten drei Köpfe Anlass zum Wirbel geben, ist in der gegenwärtigen Lage klar. Zu deutlich sind im Hintergrund noch die Auseinandersetzungen im Karikaturenstreit und die aktuelle Empörung über das von Benedikt XVI. angebrachte Zitat über den Islam zu spüren.

Ausschlag zu der Entscheidung, den „Idomeneo“ vom Spielplan zu nehmen, war eine „Gefährdungsanalyse“ des Landeskriminalamtes, die zwar keine konkreten Bedrohungen benennen kann, aber ein Gefahrenpotential sieht. Der Hinweis auf die benannte Szene als möglichen Stein des Anstoßes kam durch einen Anruf zustande, der auf die Gefahr von Überreaktionen hinwies. Der Berliner Polizeipräsident Dieter Glietsch dazu in einem Interview:

Wir haben auch nicht gesagt, es gibt konkrete Hinweise darauf. Dass solche Situationen entstehen können. Wir haben gesagt, vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen insbesondere mit dem Karikaturen-Streit müssen wir davon ausgehen, und müssen darauf hinweisen, dass solche Reaktionen oder ähnliche Reaktionen wieder eintreten können.

Vom Landeskriminalamt (LKA) aus wird betont, dass nicht das LKA die Verantwortung für die Einstellung des Stückes trägt, sondern die Leitung der Deutschen Oper um die Intendantin Kirsten Harms. Diese entschied, das Stück, das am 5., 8., 15. und 18. November aufgeführt werden sollte, nicht auf dem Spielplan zu lassen, um eine Gefährung von Publikum und Mitarbeitern auszuschließen.

Dabei ist Oper die in dieser Inszenierung nicht neu im Programm, „Idomeneo“ steht seit März 2003 auf dem Spielplan der Deutschen Oper in Berlin. Der Regisseur Hans Neuenfels sei nicht bereit gewesen, Änderungen an den Aufführungen durchzunehmen, so Frau Harms, deshalb habe sie entschieden, sie vom Spielplan zu nehmen. Neuenfels kam schon bei der damaligen Inszenierung, die zu Publikumsprotesten führte, in die Kritik und er sieht sich jetzt „vorausgeeiltem Gehorsam und Hysterie“ ausgesetzt.

Mit dieser Kritik steht er nicht allein. Nach dem Bekanntwerden der Entscheidung sprachen sich Künstler und Politiker gegen eine Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam aus. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, kritisiert die Entscheidung: „Unsere Vorstellungen von Offenheit, Toleranz und Freiheit müssen offensiv gelebt werden. Eine freiwillige Selbstbeschränkung gibt denen, die unsere Werte bekämpfen, eine vorauseilende Bestätigung, die wir ihnen nicht zugestehen sollten.“ Wolfgang Börnsen, Kulturexperte der Unionsfraktion im Bundestag warnt vor einem „Kniefall vor Terroristen“, Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) sieht „die demokratische Kultur der freien Rede in Gefahr“, wenn aufgrund der Möglichkeit von radikalen Reaktionen eine Selbstzensur stattfindet. Auch die kulturpolitische Sprecherin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt sprach von einer „Kapitulation in vorauseilendem Gehorsam“. Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste, wies ebenso auf die Gefahren des vorauseilenden Gehorsams hin, der die Kunstfreiheit unzulässig einschränke.

Aus der Richtung der muslimischen Stellvertreter sind unterschiedliche Reaktionen festzustellen. Ali Kizilkaya, der Vorsitzende des Islamrats, befürwortet die Absetzung der Oper, da die genannte Szene religiöse Gefühle von Moslems verletzt. Er fordert „mehr Sensibilität“ und „Respekt vor Anderen“. Dabei muss aber die Frage gestellt werden, ob es genügt, Respekt einzufordern, oder ob nicht auch Respekt gegenüber dem Kulturkreis gezollt werden muss, in dem die Deutsche Oper steht und in der Kunst als frei angesehen wird. Eine derartige Position findet sich zum Beispiel bei Kenan Kolat, der sich gegen eine Absetzung der Oper ausspricht. Kolat ist Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde. Er betont die Freiheit der Kunst und empfiehlt „allen Muslimen, bestimmte Sachen zu akzeptieren“. Er will Kirsten Harms zu einer Auführung ermutigen, auch wenn die Gefahr besteht, dass es zu Auseinandersetzungen wie im Karikaturenstreit kommen kann und möchte das Problem bei der Islam-Konferenz morgen, am 27. September, bei Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zur Sprache bringen.

An der Oper „Idomeneo“, die den Aufstand des Menschen gegen die Götter thematisiert, was durch die Inszenierung von Neuenfels in zugegebenermaßen provokanter Weise hervorgehoben wird, zeigt sich die Schwierigkeit, Glaubensprobleme in der aufgeheizten Stimmung öffentlich zu diskutieren. Statt sich auf eine mögliche Diskussion einzulassen, wird diese gemieden, auch wenn keine konkrete Gefährdung besteht.

Wenn die Oper jetzt noch aufgeführt wird, so wird dies nach der im Augenblick laufenden Diskussion aller Voraussicht nach als eine noch deutlichere Provokation aufgefasst werden, weshalb von einer Entscheidung für die Wiederaufnahme nicht auszugehen ist. Es besteht zum einen die Gefahr, dass Kirsten Harms einen Präzedenzfall geschaffen wird, der in der Zukunft Karriere machen wird, zum anderen aber auch die Chance, dass dieser Fall unfreiwillig die Grundlage einer Diskussion wird, in der die Frage nach der Freiheit von Kunst und Toleranz gestellt wird.